Süddeutsche Zeitung

"Tao Jie - Ein einfaches Leben" im Kino:Vertauschte Rollen

In Ann Huis preisgekrönter Tragikomödie "Tao Jie" übernimmt ein Filmproduzent die Pflege seines früheren Kindermädchens. Ein glasklar komponierter Film über das Altern in Würde und die Fürsorge als Essenz eines gelungenen Lebens.

Von Rainer Gansera

Wie "Altern in Würde" aussehen könnte, diese Frage wird in den aktuellen Debatten über die Zukunft der Altenpflege immer wieder gestellt. Ann Huis vielfach preisgekrönter Film zeigt genau das in bewegender Weise - als Meditation über das Für-andere-da-sein. Ann Hui, seit dreißig Jahren Galionsfigur des poetisch-realistischen Hongkong-Kinos, präsentiert darin die Summe ihrer Porträtkunst: Glasklar komponierte Bilder, in denen die Kraftlinien der Räume und Gesten ausbalanciert sind; das Spiel von Distanz und Nähe; die Poesie des Alltäglichen.

Im Alltäglichen offenbart sich die Essenz des Lebens. Mit Bedacht und Hingabe bereitet Tao Jie (Fräulein Tao) das Essen. Der Reis muss im Tontopf garen, auf keinen Fall gehört er in die Mikrowelle. Der junge Herr nimmt ihre Sorgfalt wie alle ihre Dienste als Selbstverständlichkeit. Er blickt nicht vom Essen auf, streckt nur die Hand aus und weiß, dass Tao Jie hinter ihm steht, um ihm die Reisschale zu reichen. Ein Ritual, in dem die Distanz zwischen Hausmädchen und Herr deutlich wird, aber "Tao Jie -Ein einfaches Leben" wird davon erzählen, wie Rituale der Distanz in Momente der Komplizenschaft verwandelt werden.

Seit sechzig Jahren ist Tao Jie Haus- und Kindermädchen der Familie Leung in Hongkong. Nachdem die meisten Familienmitglieder in die USA emigriert sind, führt sie den Haushalt nur mehr für den jungen Herrn Roger (Andy Lau), einen Mittvierziger, Junggesellen und leidlich erfolgreichen Filmproduzenten in Hongkong. Plötzlich erleidet Fräulein Tao einen Schlaganfall, und Roger wird klar, was sie ihm bedeutet. Sie war die Seele des familiären Lebens und sein Schutzengel in den Tagen der Kindheit und Jugend.

Fräulein Tao kann in ihrer Bescheidenheit unendlich dickköpfig sein. Es ist ihr peinlich, anderen zur Last zu fallen. Schließlich willigt sie ein, in ein Altersheim umzuziehen, das anfänglich wie eine grimmige Hölle der Abschiebung lästig gewordener alter Menschen erscheint. An dieser Stelle wird die Erzählung tatsächlich zur satirisch zugespitzten Kritik sozialer Verhältnisse. Entscheidend aber ist das Persönliche: dass sich Roger nun fürsorglich um Tao Jie kümmert. Es entstehen Szenen eines wunderbaren Einverständnisses, wenn sie sich gegenseitig wegen ihrer Ticks und amourösen Abenteuer auf den Arm nehmen. Sie ist stolz wie auf einen eigenen Sohn, wenn Roger sie zu einer Filmpremiere mitnimmt und als seine "Patentante" vorstellt.

All dies zeichnet Ann Hui nüchtern, ohne Rührseligkeit, und findet gerade darin die würdevolle Kontur der Heldin. Einer Heldin, die klaglos bleibt, ohne Selbstmitleid, auch nach dem zweiten Schlaganfall. Wenn die Rollen nun vertauscht sind und Roger sich um Tao Jie kümmert, erhält die Geschichte das Relief philosophischer Lebensweisheit. Das Für-andere-da-sein, zuerst die Berufsbeschreibung der Dienstmagd Tao Jie, wird als zärtliche Fürsorge und letztlich als Essenz eines gelungenen Lebens erkennbar.

Tao Jie, Hongkong 2011 - Regie: Ann Hui. Buch: Roger Lee. Kamera: Yu Lik Wai. Mit: Deanie Yip, Andy Lau, Quin Hailu. Fugu-Verleih, 119 Minuten.

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SZ vom 28.04.2014/pfn
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