Süddeutsche Zeitung

Tanztheater-Festival:Animation auf Israelisch

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Die Kibbutz Contemporary Dance Company 2 eröffnet "Think Big!"

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

"Think Big!", der Festival-gewordene Appell an die Jungen, in großen Zusammenhängen zu denken, eröffnete heuer weniger künstlerisch erhellend denn aktiv belebend. Zu Gast am ersten Tag der Performance-, Tanz- und Musiktheater-Reihe demonstrierte die Kibbutz Contemporary Dance Company 2 (KCDC2), wie von israelischen Tänzern nicht anders erwartet, geballte Kraft, Energie und Temperament. Und diese hier, die neun Mitglieder auf Zeit beim jugendlichen Ableger der weltweit unglaublich erfolgreichen Hauptkompanie gleichen Namens, 1970 gegründet von der Auschwitz-Überlebenden Yehudit Arnon in ihrem Kibutz Ga'aton in Galiläa, beabsichtigen, ihr Publikum richtig aufzumischen. Solche Animation allerdings gelingt dank der vergleichsweise prüden Zurückhaltung hierzulande nur bedingt, wofür der stürmische Schlussapplaus aber reichlich entschädigt.

Zwei Zuschauerreihen sind in der Muffathalle in einem Karree um die Tanzfläche angeordnet. Das garantiert die unmittelbare Nähe von Publikum und Akteuren - und auch den direkten Zugriff. Einige Tänzer warten bereits auf Treppchen zwischen den Zuschauern auf ihren Einsatz. "360⁰", so der Titel des Stücks, umreißt den Radius für die in klar strukturierten Formationen über den Tanzboden hechtenden, springenden und kreiselnden Tänzer und Tänzerinnen, die sich immer wieder ihre Tanzpartner aus der ersten Reihe schnappen. Widerstand zwecklos.

Ebenso gut könnte man dieses fünfzigminütige Powertanzen mit "Je-mu-mi" übersetzen, jeder muss mitmachen. Denn "360⁰' ist, wie andere Stücke der KCDC2 auch, interaktiv angelegt, um mit Drive und hochenergetisch zu beweisen, dass jeder und jede tanzen und riesigen Spaß dabei haben kann. Die Tanzenden entsprechen körperlich denn auch keineswegs dem immer noch grassierenden Balletttänzer-Klischee, sondern sehen aus wie die Kids im Publikum - allenfalls muskulöser.

Sie bleiben ein Jahr, längstens zwei Jahre bei der KCDC2. Ein oder zwei maximal, also die Begabtesteten, werden in die Hauptkompanie übernommen. Danny Eshel und Gali Kalef Hayun, Leiter und Leiterin der KCDC2, vergleichen die Zeit in der Juniorkompanie mit der Grundausbildung beim Militär. Geschenkt wird den Tänzern nichts. Sie sind dann Teil eines Gemeinschaftsgefüges, wie es im heutigen Israel ziemlich aus der Zeit gefallen ist. Die Tanzkompanien tragen neben einer Wellpappen-Fabrik und dem landwirtschaftlichen Betrieb als Non-Profit-Unternehmen zum Unterhalt des Kibbuz bei.

Garant für den nachhaltigen Erfolg ist der reichlich dekorierte Choreograf Rami Be'er, selbst Sohn von Holocaust-Überlebenden und Gründungsmitgliedern von Ga'aton. Seit 1996 künstlerischer Leiter der KCDK und damit Arnons Nachfolger, hat er seinen Kibbuz zu einem regelrechten Tanzdorf mit Trainingsräumen und eigenem Theater ausgebaut. Er vergleicht es mit einem Zelt, mit der Hauptkompanie obenauf, den Junioren mittendrin und den ausländischen Tänzern als Basis, die dort gegen Bezahlung fünf Monate lang in Residenz bleiben oder Sommerkurse belegen können. Und schließlich ist der Kibuzz beliebtes Ausflugsziel von Touristen.

Weil Ga'aton ganz im Norden Israels fernab der Regierungsgeschäfte liegt, bleiben Be'er und die Seinen unbehelligt von der mächtig umstrittenen Kulturministerin Miri Regev und deren ideologisch diktierten Erlassen. All dies hätte man nach der Vorstellung prächtig diskutieren können...

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Quelle:
SZ vom 16.07.2018
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