Tanz und Geschichte:Späte Spurensuche

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Die israelisch-deutsche Koproduktion "Bombe spricht" nähert sich der vereitelten Flugzeugentführung 1970 am Flughafen Riem mit den Mitteln des Tanztheaters

Von Egbert Tholl

Am 10. Februar 1970 versuchten drei Terroristen, während der Zwischenlandung am Flughafen München Riem eine Maschine der israelischen Fluglinie El Al zu entführen, ihre Flugnummer war LY 435. Drei Tage später gab es einen Brandanschlag auf das jüdische Altenheim in der Reichenbachstraße in München. Während der Brandanschlag, bei dem sieben Bewohner des Altenheims starben, unter ihnen zwei Holocaust-Überlebende, nicht ganz aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden, aber gleichwohl immer noch viel zu wenig bekannt ist, scheint die Erinnerung an den 10. Februar wie ausgelöscht. Vielleicht überwölbt von der Drastik des Olympiaattentats 1972. Und während man auch heute noch nicht weiß, wer die Attentäter von der Reichenbachstraße waren - die Spurensuche im radikal islamischen, im deutschen Neonazi- wie auch im linksradikalen Milieu verlief offiziellen Angaben nach erfolglos - wurden die Terroristen des Riemer Anschlags verhaftet. Ein Ägypter, zwei Jordanier. Doch auch ihre Spur verliert sich, vermutlich letztlich in einem Geiselaustausch. Viel später.

Beamte sperren den Tatort für die Spurensicherung mit einem Seil ab. Im Hintergrund: die zersplitterten Fenster der Transithalle. (Foto: Gerhard Rauchwetter/picture-alliance/dpa)

Damals in Riem starb der junge Arie Katzenstein, er warf sich im Bus auf dem Rollfeld auf eine Handgranate und rettete damit seinem Vater und weiteren Passagieren das Leben. Uri Cohen, der Pilot der El-Al-Maschine, überwältigte einen der Täter, im Transitbereich detonierten zwei Handgranaten, eine dritte warf der Ägypter in den Bus. Diese tötete Arie Katzenstein, die beiden anderen verursachten Verletzungen und Zerstörungen. Unter den Fluggästen war die berühmte israelische Schauspielerin Hanna Maron - sie war in Berlin geboren und wirkte als Kind in Fritz Langs Film "M" mit - sowie Assaf Dajan, Sohn des israelischen Außenministers Mosche Dajan.

Hier sind zwei der Waffen zu sehen, die die Attentäter mit sich führten. (Foto: imago)

Die Geschehnisse der ersten versuchten Flugzeugentführung in Deutschland treiben Rolf Baumgart seit Jahrzehnten um. Er ist der intellektuelle Kopf der Tanzcompagnie Bodytalk, die derzeit am Pumpenhaus in Münster residiert, die choreografische Leiterin ist Yoshiko Waki. Zusammen waren sie vor drei Jahren bei einem Festival in Jerusalem und sahen dort das Video einer Tanztruppe, das sie mehr begeisterte als alles, was sie live sahen. Es waren Tänzer des Ensembles "Between Heaven and Earth". Gemeinsam erarbeiteten sie "Bombe spricht", eine Annäherung an die Geschehnisse und an die Bombe an sich, Premiere ist am Donnerstag, 12. September, um 21 Uhr im Schwere Reiter, das so zum wiederholten Mal zum Ort eines internationalen Theateraustauschs wird.

Orthodoxe Juden verarbeiten die Geschehnisse in einem Tanzstück. (Foto: Lukas Zerbst)

Chanania Schwarz trägt einen schicken Hut, schaut aus wie ein Hipster, die rituellen Schaufäden - sie sind ganz neu - hängen aus seiner Lederjacke heraus. Darauf angesprochen, holt Yuval Azoulay seine Fäden hervor und sagt, in Deutschland, wo er gerade zum ersten Mal ist, stecke er die Kippa lieber in die Tasche. Sie gehören zu diesem Ensemble orthodoxer Juden, die tanzen. Die ein Ritual aus der Synagoge heraustragen und mit modernem Tanz verbinden. Tanzende Orthodoxe? Schwarz, der tanzende Rabbi des Jerusalemer Ensembles, sagt, "wenn du ein guter Rabbi sein willst, musst du Feinde haben". Eyal Ogen meint trocken, dass die Ultraorthodoxen in Jerusalem keinerlei Ahnung von der Tanztruppe hätten. Für Ziv Frenkel, in Israel geboren, aber die vergangenen Jahrzehnte Teil der Truppe von Johann Kresnik, sei die Zusammenarbeit die erste Konfrontation mit Religion - er stammt aus einem Kibbuz. Und, ach ja, am Video sitzt einer, der hat gerade ein Stipendium in Ramallah.

Die Jungs sind fabelhaft. Auf der Bühne stellen sie die Frage, was denn "unsere Bomben in uns selbst" seien, sie wollen die Wand durchbrechen, die - wie in der Synagoge - Männer und Frauen trennt. Yoshiko Waki brachte die Tänzerinnen hinzu; gemeinsam wollen sie Geschichte und Geschichten erzählen, von Religion und Menschsein ( www.pathosmuenchen.de).

© SZ vom 11.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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