Tanz:Entpuppungen

Robin Orlin

Ambivalent: Wie Albert Khozas Trans-Körper hat auch das heutige Südafrika keine eindeutige Gestalt.

(Foto: Jerome Seron)

Orangenmassaker im Muffatwerk: Robyn Orlin und Albert Khoza

Von Eva-Elisabeth Fischer

Robyn Orlin stammt aus Johannesburg. Sie ist weiß und agiert, ja agitiert hochpolitisch. Sie inszenierte einmal eine Aids-Kampagne als Wandertheater und zog damit in die Townships, jede Menge Kondome zu Demo-Zwecken im Gepäck. Man nannte sie eine "permanent irritation", was sie in ihrer unerschrockenen, warmherzigen Art wohl als Auszeichnung empfindet. Mit den Jahren wurden ihre Inszenierungen immer komplexer und gleichermaßen tauglich für die Bühne wie fürs Museum. Weil das nicht genug ist, dreht sie auch noch Filme. Für die zierliche Tänzerin Robyn Orlin steht jedoch immer noch die Bewegung im Zentrum, auch wenn ihre Stücke mit ihren Videoscreens und zahlreichen Requisiten inzwischen perspektivischen Stillleben gleichen.

Afrika und immer wieder Afrika, die Apartheid und die Zeit danach, die Kolonialisierung und ihre Folgen, darum dreht sich alles, versehen mit überlangen Titeln und pompös dekoriert. In Orlins bewegter Bühnenorgie "Oh Louis ..." zelebriert sich der in die Jahre gekommene Pariser Danseur étoile Benjamin Pech, umhüllt von barockem Prunk, vor allem selbst. Sein Ego kollidiert mit seiner Rolle, mit der des Sonnenkönigs Ludwig XIV., der nicht nur den Tanz als danse d'école kodifizierte, sondern 1685 auch den so genannten Code Noir erließ, ein selbstredend autoritäres Dekret, das den Umgang mit Frankreichs schwarzen Sklaven regeln sollte. Solches Frachtgut, wie es zu Hunderten bei der Verschiffung über den Atlantik verendete, stellt vielleicht auch Albert Khoza dar.

Der schneidet sich größtenteils selbst mit einem scharfen Messer aus den engen Schichten von Frischhaltefolie, die seinen schwarzen Körper wie eine Mumie umschließt. Die Befreiung, die mit der Entblätterung einhergeht, versetzt ihn in die Jetzt-, die Postapartheidzeit. Nach einem sinnlich-safttriefenden Orangenmassaker, ähnlich dem, wie es auch Pech in "Oh Louis ..." anrichtet, holt sich Khoza seine Sklaven aus dem Publikum, drei an der Zahl, die auf Befehl brav seinen überbordenden Trans-Körper waschen. Er gibt seinerseits den absolutistischen Potentaten, ausgestattet mit einem Pfauenrock, gehalten von Peitschen gleich jenen, mit denen einst seinesgleichen geschlagen wurde. Ihn begleitet Mozarts "Requiem", der mächtige Abgesang Wolfgang Amadeus Mozarts, der bei den Herrschern seiner Zeit in Lohn und Brot stand.

Albert Khoza spiegelt sich in "And so you see ... our honourable blue sky and ever enduring sun ... can only be consumed slice by slice ..." unausgesetzt selbst in einem Live-Video. Man schaut also auf seinen Rücken und gleichzeitig auf sein gefilmtes Konterfei von vorn - fasziniert und gleichermaßen abgestoßen von dem schmatzenden Mund, dem scharfen Messer, gezogen durch lüsterne Lippen. Er spielt mit dem Gold und den Juwelen, das nach wie vor fremde Mächte ausbeuten, lässt Putin, der vielleicht gar nicht mit einem wie ihm tanzen mag, als Marionette tanzen. Er sagt: "Wir tanzen mit unseren Waffen" - im Gegensatz zu den anderen, die mit Waffen töten. Manchmal klingt Robyn Orlin in ihrem Idealismus schon auch ein bisschen naiv.

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