Süddeutsche Zeitung

Tanz:Alan Lucien Øyens Choreografien

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Von DORION WEICKMANN

Bergen an der Südwestküste Norwegens ist eine bezaubernde Stadt - nur nicht im Winter. Kalt und trist nieselt das Wetter vor sich hin und schlägt auch den Einwohnern aufs Gemüt. Gut möglich, dass Melancholiker in diesem Klima besonders prächtig gedeihen. So einer ist der Choreograf, Regisseur und Autor Alan Lucien Øyen, 1978 in Bergen geboren und im Dunstkreis des Theaters aufgewachsen, wo sein Vater als Garderobier anderer Leute Mäntel verräumte. Der hoch gewachsene, stets etwas bewölkt dreinblickende Brillenträger weiß feinmaschige Bewegungs- und Textnetze zu knüpfen, in denen sich seine Protagonisten höchst kunstvoll verfangen. Bis sie darin wie wehrlose Gefangene der Condition humaine zappeln, deren elementarer Wucht niemand entkommt. Liebe, Hass, Zorn, Sehnsucht, Selbstzweifel und Zerstörungswut regieren die Gefühlsökonomie schließlich auch in Zeiten von Tinder & Co. Davon erzählt "Story.story.die", Øyens jüngste Produktion, die am Samstagabend noch einmal beim Berliner Festival "Tanz im August" zu sehen ist. Sieben fabelhafte Tänzer spiegeln die Mechanik unserer Selbstinszenierung, die letztlich nur einen Antrieb und eine einzige Botschaft hat: hab(t) mich lieb! Da ist die Frau, die von körperlichem und seelischem Selbsthass palavert, sich dabei aber dauerlächelnd begatten lässt. Oder der Kahlkopf im Fellanzug, der sich grinsend eine Selbstmassage verpasst, bevor seine Riesentatze einen erzfreundlichen Zeitgenossen erst liebkost und dann zusammenfaltet - blitzschneller Umschlag von narzisstischer zu destruktiver Energie. Ein schüchterner Typ bekennt die brennende Angst, von aller Welt vergessen zu werden. Prompt pinseln ihm die Anderen ein Skelett auf den halbnackten Leib, als wäre er längst lebendig begraben.

Seine enorme Begabung als Theatermacher hat Alan Lucien Øyen im vergangenen Jahr schon beim Wuppertaler Tanztheater unter Beweis gestellt, wo er einen eher sanftmütigen Episodenreigen arrangierte. Die eigene Kompanie Winter Guests schont er dagegen nie. "Story.story.die" bringt physisch wie psychisch hartes Geschütz auf dem zwischenmenschlichen Minenfeld in Stellung. Auch darüber kann man durchaus zum Melancholiker werden.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2019
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