Türkei:Die Wunde Istanbuls

  • Auf dem Istanbuler Taksim-Platz entstehen derzeit eine Moschee und ein Kulturzentrum.
  • Die beiden Bauten symbolisieren die zwei Gesichter der Türkei: das konservative und das säkulare.
  • Das Kulturzentrum, dessen Grundstein am Sonntag gelegt wird, soll ein Konzerthaus, eine Galerie, ein Kino, Theatersäle und ein Dachrestaurant beherbergen.

Von Christiane Schlötzer

Wasserwerfer stehen als Dauerparker am Eingang des Istanbuler Gezi-Parks, der vor sechs Jahren Zentrum des Aufruhrs war. Wo Bürgerkinder in Zelten schliefen und dazwischen die Philharmoniker gastierten, bilden Polizeiwagen einen Kordon, Tag und Nacht. Die Gezi-Revolution ist lange vorbei, der Platz vor dem Park, der Taksim, der berühmteste der Republik, aber ist seitdem kein Ort mehr zum Verweilen. Demonstranten wagen sich sowieso nicht mehr aus der Deckung, aber auch Passanten eilen gewöhnlich so schnell vorüber, als sei der Platz in Istanbuls Mitte kontaminiert. Der Taksim ist eine urbane Brache, möbliert mit Fahnenmast und Aufzügen zu U-Bahn und Busbahnhof im Untergrund. Öder geht es kaum. Doch jetzt gibt es Hoffnung.

Auf der Westseite des Taksim wachsen schon seit einer Weile zwei Minarette in den Himmel. Der Bau einer Moschee an diesem zentralen Ort, an dem seit 1928 auch das Republikdenkmal steht, war lange umstritten und vor Gerichten umkämpft. Am 9. Februar 2017 begannen die Arbeiten, die große Kuppel ist schon fast fertiggestellt. An diesem Sonntag wird nun auf der Gegenseite des Platzes der Grundstein für einen zweiten Kuppelbau gelegt. Eigentlich wird es eine Halbkugel sein, in leuchtendem Rot, hinter einer spektakulären, transparenten Fassade. Unter dieser Kuppel wird die Istanbuler Oper Platz finden, mit 2500 Plätzen. Das Gebäude soll auch ein Konzerthaus, eine Galerie, ein Kino und Theatersäle beherbergen sowie ein Dachrestaurant mit Bosporus-Blick.

Moschee und Opernhaus - das sind die zwei Gesichter der Türkei

Moschee und Opernhaus symbolisieren die zwei Gesichter der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğans konservativ muslimische AKP bekam bei Wahlen zuletzt jeweils etwa die Hälfte der Stimmen, die anderen 50 Prozent teilten sich die verschiedenen Parteien der Opposition, inklusive der säkularen. Diese türkische Dichotomie wird sich künftig auf dem Taksim spiegeln. Murat Tabanlıoğlu, der Architekt des Opernhauses, hofft, dass man dann "endlich Frieden" auf diesem Platz findet.

Wo die neue Oper stehen wird, klafft jetzt noch eine Riesenlücke. Dort stand das Atatürk-Kulturzentrum, abgekürzt AKM (von Atatürk Kültür Merkezi). Das galt als türkischer "Palast der Republik", als Ikone des Laizismus, mit einer Alu-Fassade aus den progressiven Sechzigerjahren. Während der Gezi-Wochen stand das Kulturhaus schon leer, unter anderem, weil eine Asbestsanierung dringend geboten war. Als Werbefläche für den politischen Widerstand aber erlebte das AKM eine kurze Renaissance. "Wir beugen uns nicht" stand damals in Riesenlettern auf der Fassade, und "Schweig Tayyip". Vom hohen Flachdach winkten jeden Abend die Demonstranten. Danach war das Ende des Baus zwar noch nicht beschlossene Sache, aber im Juni 2017 kündigte Erdoğan den Abriss an. Die Istanbuler Architektenkammer protestierte, sie nannte das AKM einen unverzichtbaren Teil der urbanen Erinnerungskultur - alles vergebens.

Dann wurde befürchtet, anstelle des AKM könnte noch eine Shoppingmall entstehen. Aber da versprach Erdoğan im November 2017 überraschend die Wiederauferstehung des Kulturzentrums, in einer Rekonstruktion, die allerdings mehr futuristisch anmutender Neubau als Nachbau sein wird. Für Kontinuität steht vor allem der Name des Architekten, Murat Tabanlıoğlu, er ist der Sohn von Hayati Tabanlıoğlu, dem Erbauer des alten AKM. Seinen Entwurf durfte Tabanlıoğlu junior dem Präsidenten persönlich präsentieren.

Der Architekt, dessen Istanbuler Büro an vielen Orten der Welt baut, hatte nicht mit einem solchen Auftrag gerechnet, sagt er. Erdoğan zeigte er dann Bilder der Mailänder Scala, der Opernhäuser von Sydney und Oslo und der Hamburger Elbphilharmonie. In der berechtigten Annahme, Erdoğan habe sich bislang noch nicht mit Opernhäusern beschäftigt. Als der Präsident jüngst erstmals ein Konzert des türkischen Pianisten und Komponisten Fazıl Say besuchte, löste diese Premiere in der Türkei fast einen Kulturkampf aus.

Die transparente Fassade soll auch als Riesenbildschirm dienen

Tabanlıoğlu war wichtig, dass das neue Kulturzentrum die alte Reverenz an den Republikgründer in seinem Namen behält. Schließlich verschwindet der schon andernorts. Sein Vater, der 1994 starb, baute auch am Istanbuler Atatürk-Flughafen mit. Der wird bald geschlossen. Der neue Airport heißt nur noch "Istanbul", Atatürk ist gestrichen.

Der Bauzaun an der Ostseite des Taksim ist auch eine Leinwand, darauf gemalt sind Männer in schwarzen Anzügen und Frauen in feiner, schulterfreier Abendkleidung. Auf der anderen Platzseite werden die Frauen ihre Köpfe hingegen bedecken, wenn sie in die Moschee gehen.

Dem Architekten aber schwebt vor, dass die ganze Stadt etwas von seinem AKM hat. In Deutschland - wo schon Modelle des Baus in Ausstellungen in Berlin und München zu sehen waren - hat er sich das Konzept "Oper für alle" abgeschaut, die transparente Fassade soll auch als Riesenbildschirm dienen, der das Bühnengeschehen von draußen sichtbar macht, zum Platz hin öffnet. Und "365 Tage" soll im neuen AKM etwas los sein, Kino und Musik sollen junge Leute ins Haus holen. Für bürgerliche Istanbuler aus der Generation Tabanlıoğlus - er wurde 1960 geboren - sind günstige Sonntagskonzerte des Staatsorchesters im alten AKM Teil der kollektiven Erinnerung. Atatürk sah in der Förderung von westlicher Kunst und Kultur ein Mittel zum Zweck, die Türken sollten Richtung Europa schauen. Bis heute gehören Kenntnisse über klassische Musik oder moderne Malerei zu einem laizistischen Bildungskanon. Auch für die Architektur galt, was Hakan Dağıstanlı, Architekt und Autor, sagt: "Der Gründungsmythos der türkischen Republik fußt auf der Moderne."

Die Nationalisten, die Erdoğan hofiert, zeigen eigentlich wenig Begeisterung für Hochkultur

Erdoğan hatte, als er 2003 erstmals an die Macht kam, auch Anhänger im Lager der säkularen Türken, weil er mit Tabus brach, wie zum Beispiel dem Verbot von kurdischem Liedgut oder Literatur. Seit er die Stimmen dieser Liberalen verloren hat, hofiert er die Nationalisten. Von denen war bislang wenig Begeisterung für Hochkultur zu hören. Zudem steckt die Türkei gerade in einer tiefen ökonomischen Krise. So passierte auf der AKM-Baustelle lange fast nichts, während auf der anderen Seite des Platzes die Minarette gen Himmel strebten. Dass nun der Grundstein gelegt und die Lücke geschlossen wird, wirkt deshalb fast wie ein Wunder.

Mit dazu beigetragen hat womöglich auch der aktuelle Kommunalwahlkampf. Wer Istanbul verliert, der verliert die Türkei, sagt Erdoğan gern. Erdoğan war auch einmal Bürgermeister der größten Metropole der Türkei, die bis heute die heimliche Hauptstadt des Landes geblieben ist, auch wenn Atatürk den Sitz der Regierung nach Ankara verlegt hat.

Der Architekt der Moschee am Taksim ist Şefik Birkiye, er hat auch Erdoğans Palast in Ankara gebaut. Dieser lehnt sich an spätosmanische Bauten an, kennt in seiner Dimension aber kein Vorbild. In dem umzäunten Palastkomplex soll übrigens, das hat Erdoğan jetzt angekündigt, auch ein Opernhaus entstehen.

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