Süddeutsche Zeitung

"Take This Waltz" in der SZ-Cinemathek:Quälendes Verlangen

Das Feuer großer Gefühle kann jeden ergreifen, auch wenn es gerade nicht passt: Michelle Williams spielt in "Take This Waltz" eine Frau, die sich in einer Beziehung allzu sachlich eingerichtet hat, als in ihr das Begehren für einen anderen Mann aufwallt. Die allgemeine Ratlosigkeit, die daraus resultiert, erzeugt magische Momente.

Von Martina Knoben

Nun wird es ja auch hierzulande endlich Frühling. Der Sommer aber, den wir in "Take This Waltz" erleben, den uns die Bilder mit glühendem Licht, Ventilatoren im Schlafzimmer, mit schweißglänzender Haut und nächtlichen Spaziergängen im Trägershirt vor Augen führen, ein solch märchenhafter Filmsommer weckt dann doch ein riesengroßes Sehnen. Sind das nicht die besten Tage des Jahres, wenn die Zeit scheinbar stillsteht?

Um das Feuer großer Gefühle geht es in dem Film von Sarah Polley, und um die Lücke, die sich in jedem Leben irgendwann auftut, weil Leidenschaft nun mal nicht andauert.

Margot (Michelle Williams) ist seit fünf Jahren mit dem Kochbuchautor Lou (Seth Rogen) verheiratet. Sie hat sich eingerichtet in dieser Beziehung, bei Zimmertemperatur gewissermaßen, als sie den attraktiven Daniel (Luke Kirby) kennenlernt und mit einer Hitze des Begehrens konfrontiert wird, die sie vollkommen überfordert.

Im Flieger nach Toronto sitzen die beiden nebeneinander; sie reden über irgendwas - dass man im Flieger doch keine Milch bestellt zum Beispiel. Und während sie reden, breitet sich leise, aber unübersehbar eine fundamentale Erschütterung im Gesicht von Michelle Williams aus.

"Take This Waltz" hat nur wenig äußere Handlung, was geschieht, passiert zwischen den Schauspielern. Michelle William war großartig in "Meek's Cut Off" und in "Blue Valentine", mit jedem neuen Film aber scheint sie immer noch besser zu werden.

Sie kann Margots Innerstes nach außen kehren, so subtil, dass wir von ihrem Gesicht nicht wegsehen mögen. Und es ist ja auch gar nicht eindeutig, was wir sehen. Wirkt Margot in einem Moment fast kindlich in ihrem Pünktchen-Badeanzug, mit Karobluse und Babyspeck, kann man sie sich im nächsten als Matriarchin einer Großfamilie vorstellen, während sie im übernächsten Augenblick als äußerst begehrenswerte junge Frau erscheint.

Indikator für alles Falsche

Für Margot selbst ist dieses Dazwischen so quälend, wie es für den Zuschauer fesselnd ist: Dass sie einen Horror vor Flughäfen habe, weil sie das Dazwischen von Anschlussflügen nicht ertragen könne, erzählt sie Daniel im Flugzeug.

Luke Kirby verkörpert Daniel vor allem als erotische Versuchung, die Margot zu allem Unglück noch ständig vor Augen ist: Daniel wohnt in der selben Straße, im Haus gegenüber. So kann Margot ihr anderes Leben, das Leben im Konjunktiv, das sich ihr mit Daniel bietet, nicht übersehen. Und Daniel ist ja nicht nur eine erotische Alternative, wie ein Lackmustest wird er zum Indikator für alles Falsche in Margots Leben.

Damit ist nicht unbedingt Margots Ehemann gemeint. Seth Rogen spielt ihn sehr differenziert. Lou ist ein Netter, er ist vielleicht ein bisschen langweilig, und Margots Rastlosigkeit macht ihn womöglich zu passiv. Wenn man über eine Krise nicht redet - eine solche Haltung kennen wir alle - geht sie vielleicht von selbst vorbei, denkt der nette Lou, der ansonsten eigentlich fast alles richtig macht in dieser Beziehung.

Für die 34-jährige Sarah Polley, die zuvor selbst als Schauspielerin unter anderem für Atom Egoyan, Wim Wenders und Isabel Coixet arbeitete, ist "Take This Waltz" der zweite Film, nach "Away from Her", 2006, der von einem alten Ehepaar erzählte, dem die Liebe über die Alzheimer-Erkrankung der Frau (beinahe) verloren geht.

"Take This Waltz" hat ein ähnliches Thema, allerdings ist er ein Sommer-Film, in jeder Beziehung. Zwei Songs geben die Atmosphäre vor. Da ist zum einen der leicht hysterische Ohrwurm der Buggles, "Video Killed the Radiostar". Schwungvoll und mitreißend begleitet er eine Karussellfahrt von Daniel und Margot, die sich einen gemeinsamen Tag gestohlen haben - jetzt werden sie in ihrer Gondel herumgeschleudert, lachen, sind wie im Rausch.

Dann geht plötzlich das Neonlicht an, eine hässliche Halle ist zu sehen, und ein sehr dicker Mann öffnet die Türen der Kabinen. Was für eine Ernüchterung! Und was für eine Metapher für diese Beziehung! Das Karussellmotiv, in dem das Motiv des Reigens steckt und die Mechanik des Rauschs, wird dann am Ende wieder aufgenommen, als der Titelsong, Leonard Cohens melancholisch-hypnotisches, ganz und gar rätselhaftes Lied "Take This Waltz" - nach dem Gedicht "Kleiner Wiener Walzer" von Federico Garcia Lorca - erklingt. Als ob eine mächtige Mechanik plötzlich offen vor uns läge, so treibt Sarah Polley die Geschichte voran.

Einen ganzen Film lang haben Margot und Daniel - und auch die Zuschauer - der Erfüllung ihres Begehrens entgegengefiebert - nun werden alle Stadien ihrer Beziehung in einer einzigen, scheinbar ununterbrochenen Kreisfahrt der Kamera komprimiert.

Mehr darf man leider nicht verraten. Aber dieses Liebeskarussell ist ja auch nur eine von vielen grandiosen Szenen. Wenn man am Ende des Kinojahres an dessen magischen Momente denkt, werden gleich mehrere aus diesem traurigen, verführerischen, wunderschönen Liebesfilm darunter sein. Auch eine herrliche Szene in einer Gemeinschaftsdusche, in der drei junge und drei alte Frauen über die Liebe diskutieren. Dass neue Dinge glänzen, darüber sind sich die Frauen einig. Die Alten, die faltig und etwas aus der Form geraten an einer Seite der Dusche stehen, aber wissen: Auch neue Dinge nutzen sich ab. Es werden alte daraus.

Take This Waltz, Kanada/Spanien/Japan 2011 - Regie, Buch: Sarah Polley. Kamera: Luc Montpellier. Mit: Michelle Williams, Seth Rogen, Luke Kirby, Sarah Silverman. Kool Film, 116 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2013/pak
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