Take That: Neues Album:Sie wollen unsere Seelen

Es war der ganz, ganz, ganz große Pop: Die erfolgreichste Boygroup aller Zeiten ist wieder komplett und hat ein neues Album aufgenommen. Aber wie harmlos ist "Take That" eigentlich noch?

J.-C. Rabe

Der Pop wohnt in England. Da kann man nichts machen. Sie hatten die Beatles, wir haben Dieter Bohlen. Bei Massenhysterie denken sie an "Love Me Do", wir an "Cheri, Cheri, Lady" oder den Sommerschlussverkauf. Und in Gestalt des Guardian-Chefpopkritikers Alexis Petridis sagen sie, dass das heute erscheinende neue Take-That-Album "Progress" (Universal) sich selbst dann millionenfach verkaufen würde, wenn sich die Band der "Erkundung der Grenzen bayerischer Humtata-Musik" gewidmet hätte. Dann stopfen sie uns noch mit Zahlen wie diesen: 25 Millionen verkaufte Alben bis zur Trennung 1996; zwischen 1993 und 1996 acht britische Nummer-Eins-Hits; "Back For Good" in 31 Ländern auf dem ersten Platz der Charts. Und, jaja, als die von einem cleveren Manager geschickt nach Stereotypen gecastete Band am 13. März 1996 ihre Auflösung bekanntgab, mussten nicht nur in England Not-Telefone eingerichtet werden, weil auffällig viele junge Mädchen mit Selbstmord drohten. Es war der ganz, ganz, ganz große Pop.

Take That engagieren sich als neue Botschafter für Hear the World

Sie sind wieder fünf und es ist wieder großer Pop: Die Band Take That hat ein neues Album herausgebracht.

(Foto: Bryan Adams/dpa)

Rettet uns, dass die Münchner Hip-Hop-Band Blumentopf mit "6 Meter 90" den lustigsten und bittersten Song über einen Hit von Take That dichtete? Sie rappten: "Denn nach dem letzten Lied kam's zur Eskalation / es war während der Werbung als der Rest der Nation / sich ein neues Bier aufmachte, dachte keiner daran / dass meine Schwester g'rade eben aus dem Fenster sprang / Wir fanden sie im Garten neben dem Hibiskus / (...) / Der CD-Player lief noch, ich hörte es deutlich: / ,How deep is your love?' Es waren 6 Meter 90".

Das war schon mal die Fallhöhe. An einen Sinkflug war nie zu denken. Selbst die Wiedervereinigung der Band ohne Robbie Williams vor fünf Jahren, geriet zum unerwartet großen Erfolg. Offenbar wurde der Band zugestanden, erwachsen zu sein. Dieses Privileg haben Popstars selten, Boygroups eigentlich nie. Wer will schon von den Schwärmereien seiner Kindheit daran erinnert werden, wie alt er geworden ist.

Das 2008 erschienene Album "The Circus" verkaufte sich in Großbritannien am ersten Tag 235 000 Mal. Die angeschlossene DVD "The Circus Live" setzte auf der Insel mehr um als jede Musik-DVD zuvor. Und die Karten zur Tour waren so rasend schnell weg, wie in Großbritannien noch keine anderen Tour-Karten. Allein in den ersten fünf Stunden des Vorverkaufs wurden 600 000 Tickets abgesetzt.

Jetzt ist Robbie wieder dabei und die Sache kann so richtig durch die Decke gehen. Denn nach seinem Rausschmiss aus der Band im Jahr 1995 wegen Disziplinlosigkeit schaffte er es als einziger, seinen Ruhm zu retten. Trotz und wegen verschiedener Alkohol- und Drogenexzesse wurde er Ende der neunziger Jahre mit einigen großen Popsongs, die ihm Guy Chambers auf den Leib geschrieben hatte, sogar zu einer der bislang letzten großen Diven des Pop.

Final weichgespülte Schmonz-Musik

Obwohl er weder besonders gut tanzen, noch besonders gut singen konnte. Zusammen - die englische Presse ist in diesen Dingen sehr gewissenhaft - haben die fünf Entertainer inzwischen mehr als 80 Millionen Platten verkauft, sind vor 14,5 Millionen Menschen aufgetreten, hatten 13 Nummer-Eins-Alben und 17 Nummer-Eins-Singles. Und der Kartenvorverkauf für die gemeinsame Tour im kommenden Jahr hat natürlich alle britischen Rekorde gebrochen. Nach acht Stunden waren schon eine Million Tickets verkauft. Mittlerweile sind fast 1,4 Millionen Karten unters Volk gebracht.

Den Ruf freilich final weichgespülte Schmonz-Musik zu präsentieren wurde Take That nie los. Wieso auch? Das war das Geschäftsmodell. Weshalb man sich auch die besseren ihrer Songs mit ordentlich Ironie schöntrinken musste, was aber zugegeben erstaunlich oft gut klappte. Besonders im Nachhinein, als sich Robbie Williams zum ironischsten Superstar der Welt geworden war. Er konnte weltberühmt sein und gleichzeitig alles, was dazu gehörte, auf offener Bühne lächerlich machen. Leider bekam ihm dieser monströse Ego-Stunt nicht allzu gut. Es folgten Drogensucht und psychische Zusammenbrüche.

Robbie verhehlte deshalb in den vergangenen Wochen auch nicht, dass der Wiedereintritt in die alte Band eine Flucht vor den Dämonen der Einsamkeit ist. Der sozialistische Unterton des Albumtitels dürfte deshalb volle Absicht sein. "Progress" ist allerdings auch eine Drohung. Ist der Fortschritt nicht immer auch schon die Ersatzdroge derer, die die Fähigkeit verloren haben, sich in der Langeweile des Hier und Jetzt ausgezeichnet zu amüsieren? Oder anders gefragt: Wie harmlos ist diese Band eigentlich noch?

Die unvermeidliche Heimholung

Das Cover-Artwork stellt vor einem knallgelbem Hintergrund mit den fünf Bandmitgliedern den Weg des Menschen zum aufrechten Gang nach. Wobei der Vorgang rätselhafterweise weniger als Selbstermächtigung, denn als unvermeidliche Heimholung inszeniert ist. Welcher Macht bitteschön sind die nackten kraftstrotzenden Männer hier ausgeliefert? Und warum leuchten sie so rot? Aber vielleicht der Reihe nach:

1. "The Flood". Erst Donner, dann Regen, und dann wollen sie mich dort treffen, wo die Lichter sind. Und die Flut aufhalten. Sie seien schließlich die Verteidiger des Glaubens. Wie bitte?

2. "SOS". Reinster Alarmismus. Die Geheimdienste dürften ihre Freude daran haben. Vom Madonna-Produzenten und Syntie-Pop-Toptüftler Stuart Price, der für das Sounddesign des gesamtem Albums verpflichtet wurde, nach allen Regeln der stampfenden Dance-Kunst unwiderstehlich beschleunigt. Toll.

3. "Wait". "Free your soul to me, words can set us free". Okay. Das ging zügig. Erst haben sie sich als allmächtig vorgestellt, dann jede Menge Angst eingejagt, um jetzt großzügig Rettung durch Unterwerfung zu beschwören.

Und das immer im Männerchor, und immer schön drauf im Viervierteltakt - dmm, dmm, dmm, dmm. Das waren nur die ersten drei Songs. Aber man kommt sich schon vor, als wäre man freiwillig Scientology beigetreten. Diese Jungs wollen nicht mehr nur zusammen singen und tanzen. Sie wollen unsere Seelen, und wir sollen für die Selbstaufgabe auch noch bezahlen. Mehr Pop geht nicht.

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