Süddeutsche Zeitung

"Take That"-Musical:Die Klone aus der Klamottenkiste

Im Jukebox-Musical "The Band" mit den Hits von "Take That" tauchen die Boys als dienstbare Geister auf. Die wahren Stars sind vier Anhängerinnen, die auf einer eigenen Reunion-Tour ihren Jugendträumen nachreisen.

Von Michael Zirnstein

Würden Bandboys die Fantasien ihrer Fans kennen, würden sie die Bühne verlassen und Pommes im Freibad verkaufen oder ähnlich Unverfängliches tun. In apokalyptischen Träumen verkleidet, oder besser: entkleidet zum Beispiel Debbie (Ruth Lauer) ihre fünf Schmusesänger als Gladiatoren, schirrt sie an mit ledernen Brustriemen und lässt sie auf Knien einen Streitwagen ziehen, auf dem sie Flammen schleudernd wie Kriegsgöttin Athene durch das Jugendzimmer brettert und dabei "Relight My Fire" schmettert.

Der Boyband-betriebene Schulbus ist nicht nur eine beachtliche alternative Mobilitätsstudie - wobei derlei propere Popper heute nicht mehr so häufig einzufangen wären wie in den Neunzigerjahren, in denen die Geschichte des Musicals "The Band" startet. Das wie alles hier mit detailgenauen Kostümen und Videotricks prächtig inszenierte Göttinnen-Bild zeigt auch, wie klug der Singspiel-Autor Tim Firth die Verhältnisse auf den Kopf stellt: Für ihn sind die Fans nicht Belogene einer Pop-Industrie. Sie sind Anführerinnen, so lange sie schwärmen. Die Idole sind ihre dienstbaren Geister in jeder Lebenslage. Sie assistieren bei der Morgen-Toilette, kehren den Boden, und verhelfen beim Konzert, ganz keusch, zu ersten sexuellen Höhepunkten. Da stellen die fünf Freundinnen verwuschelt wie nach einem Liebesakt fest: "Wir sind keine Jungfrauen mehr. Wir hatten Sex ohne Körperkontakt." Teenagerliebe zu Zeiten vor Youporn ... ach, "These Days".

Ureigentlich sind die klonartigen Musiker dazu da, vom pubertären Elend abzulenken. So auch nach dem heimlichen Trip der Fünferbande zu einem Konzert in Manchester, bei dem Debbie auf dem Heimweg bei einem Unfall stirbt. Weil die Freundinnen die Beerdigung nicht ertragen, fangen sie an zu streiten - und die Band muss wieder ran: "Singt lauter, Jungs!", fleht Rachel, sich die Ohren vor dem Gezeter zuhaltend.

"The Band", das sollen freilich, auch wenn das so im Stück nie gesagt wird, Take That sein, die Wirkmächtigsten ihrer Zunft. Die einzigen, die auch nach ihrer Wiedervereinigung 2005 im Boyband-Greisenalter noch Stadien füllen. Zumindest Gary Barlow, Mark Owen, Howard Donald und Robbie Williams sind sich wieder so einig, dass sie dieses Jukebox-Musical um ihre Hits (sieben mal Nummer 1 in Folge) mitproduzieren konnten. Aber es geht nur am Rande um Band- und Fan-Kult.

Vielmehr begleitet das Publikum die nach der Pause um 25 Jahre gealterten Frauen auf einer Reunion-Tour ihres Bundes zum Konzert nach Prag. Dort brechen sie nicht nur den Penis eines Brunnen-Poseidons ab, sondern häufen auch sonst viel Scherben an - ihre zerschlagenen Jugendträume: Die einst für Olympia trainierende (Kristin Heil) ist nun dick (Yvonne Köstler), die Mannstolle (Jara Buczynski) lesbisch (Laura Leyh), die Nobelpreisanwärterin (Laura Saleh) "nur" Mama (Heike Kloss), die Romantikerin (Maria Arnold) unverheiratet (Silke Geertz). Auch wieder toll, das alles: "Wir waren Mädchen, wir waren 16, wir waren fantastisch. Und das sind wir immer noch." Das ist am Ende freilich so klischeehaft wie fad, gäbe es nicht den knackigen, prima übersetzten britischen Humor. Und jene herzige Szene mit den alten und jungen zur Super-Girlgroup vereinten Mädels, die "Back For Good" umdeuten als Hymne der Versöhnung mit sich selbst.

Dabei ist gerade die vermeintliche Stärke der Knackpunkt: das Oeuvre. Obwohl die Bühnen-Boyband immerhin mit dem Münchner TV-Castingshow-Sieger Prince Damien prominent besetzt ist, werden selbst in den opulenten Konzert-Schnelldurchläufen Songs wie "Pray", "Shine" oder "Could It Be Magic" eher gesäuselt. Inhaltlich sollte man von den Songs eh nicht zu viel erwarten: Ein Musical, das auf Boyband-Texten aufbaut, kann am Ende kaum mehr bieten als eine Handvoll Teenie-Träume und "a fist of pure emotion".

The Band - Das Musical, bis 3. November, Deutsches Theater

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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