Kinderliteratur und Nationalsozialismus:Unsere braune Biene Maja

Blühender Unsinn, hochfahrender Formulierungsschwulst und ein bisschen Antisemitismus: "Die Biene Maja" wird bald 100 Jahre alt - warum ihr Schöpfer Waldemar Bonsels schon lange in Vergessenheit geraten ist, lässt sich schnell beantworten.

Alex Rühle

Die meisten Deutschen um die vierzig glauben ja, Hornissen seien so ziemlich das Böseste, was es in der Tierwelt gibt. In anderen Ländern ist diese Angst nicht so stark verbreitet, was mal wieder die pädagogische Wirkmacht des Fernsehens unterstreicht - sind wir doch groß geworden mit einer Serie, in der die Hornissenkönigin wirkte wie eine Mischung aus kannibalistischem Stammeshäuptling und entomologischer Version von Darth Vader. Wer ihr die Bienenkönigin bringe, so tönt sie kurz vor dem Endkampf gegen die wackeren, ehrlichen, rundum sozialdemokratischen Bienen, werde in den Ritterstand erhoben. Zum Glück hört das die kleine Maja, kann ihre Leute warnen, und alles wird gut.

Zeichentrickserie Biene Maja, AP

Können diese Augen lügen? Die Biene Maja feiert bald einen runden Geburtstag - von ihrem Erfinder entsteht das Bild eines Kitschiers und Weltanschauungssamplers.

(Foto: AP)

Im kommenden Jahr wird die "Biene Maja" unter lautem Gesumm bienenfleißiger Merchandisingfirmen hundertsten Geburtstag feiern - ihr Autor Waldemar Bonsels aber ist heute völlig in Vergessenheit geraten. Sven Hanuschek, Literaturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der die letzten drei Jahre über Bonsels forschte und demnächst einen Aufsatz über antisemitische Tendenzen im Werk des 1952 gestorbenen Autors veröffentlichen will, lud nun zu einer Tagung ins Münchner Literaturhaus, die von der Frage geleitet wurde, wie ein Autor, der in den zwanziger Jahren mehrfach sechsstellige Auflagenzahlen erreicht hat, derart in Vergessenheit geraten konnte. Auf die Gefahr hin, die fabelhaften Tagungsvorträge reichlich unterkomplex zusammenzufassen, lässt sich die Frage recht schnell beantworten: weil Bonsels ein lausiger Autor war.

Er war zwar vielseitig, publizierte religionsphilosophische Traktate, Reiseberichte, erotische Novellen, Naturbetrachtungen, Romane und einen Krimi, seine "Indienfahrt" verkaufte sich 500.000 mal, die "Biene Maja" gar zwei Millionen mal. Für viele aber war er schon damals eher eine Witzfigur. Gottfried Benn nannte ihn einen "dieser guten deutschen Volksschriftsteller." Franz Blei verglich ihn in seinem "Großen Bestiarium der modernen Literatur" mit einem schmierigen Windhund: "Das Bonsels, englische, sehr bewegliche Windhundrasse, die nur männlich aber mit starken weiblichen Eigenschaften vorkommt. Dem ölig glatten Fell entspricht eine ebensolche Gangart. Elsterhafte Vorliebe für glänzende Gegenstände. Die Gattung wird wegen starker Blutleere nicht alt."

Alt wurde er schon, Bonsels starb im Alter von 72 Jahren, das ölig glatte Fell aber wuchs ihm immer wieder nach:

1933 wurden viele seiner Bücher verbrannt, aufgrund einiger erotischer Erzählungen, in denen abweichende Sexualpraktiken angedeutet oder gar hymnisch besungen werden, galt seine Haltung dem "Amt Rosenberg" bis Kriegsende als bedenklich. Deshalb, so Sven Hanuschek spöttisch, habe er von da an all seine Kraft darauf verwandt zu zeigen, "was er doch für ein guter Antisemit sei".

Drei Bücher gab es, die 1933 nicht verbrannt wurden: Seine "Indienfahrt", die "Biene Maja" und deren Fortsetzung "Himmelsvolk". Maja entkam der Verbrennung nur, weil Bonsels darin plagiiert hatte: Im Schlusskapitel, in dem es zum Kampf zwischen Hornissen und Bienen kommt, sagt die Bienenkönigin zu ihrem Volk: "Im Namen eines ewigen Rechts und im Namen der Königin: Verteidigt das Reich!" Für diese Rede hatte Bonsels sich in mühevoller Kleinstarbeit bei Wilhelm II. bedient, bei dessen Hunnenrede, mit der der Kaiser 1900 die deutschen Soldaten nach China verabschiedet und deutsche Herrschaftsansprüche legitimiert hatte. Rhetorisch bestärkt von Wilhelms "hohem Zorn gegen die Feinde" und "beseligtem Opferwillen" ziehen die wackeren Bienen gegen das verschlagene Hornissenvolk zu Felde.

Obwohl dieses "Amalgam aus kruden Biologismen, sozialdarwinistischen und rassistischen Denkfiguren und literarisch überhöhten Gewaltfantasien", wie es der Münchner Germanist Wilhelm Haefs ausdrückte, in vielen seiner Werke zu finden war, kann man Bonsels nun nicht zum glühenden Nationalsozialisten erklären. Eher entstand im Verlauf der Tagung das Bild eines Kitschiers, Weltanschauungssamplers und Opportunisten, eines rhetorischen Zeligs, der während der Wandervogelzeit die Maske des Vagabunden aufzog, der zeitlebens an einer christlichen Übermenschentheorie bastelte und der sich während des Krieges in seiner Rhetorik mehr und mehr der Durchschnittsnazipropaganda anverwandelte.

Der literarische Sündenfall

Sein literarischer Sündenfall war der 1942 veröffentlichte Roman "Dositos", den Bonsels an Nazigrößen verteilte. Im Vorwort heißt es: "Der gewaltige und gewaltsame Anstoß, der durch Adolf Hitler in die Welt getragen worden ist, erschütterte nicht nur das Judentum, sondern zugleich alles, was in der christlichen Kirche am Judentum krankt." Überflüssig zu sagen, dass Bonsels nach dem Krieg eine um dieses Vorwort bereinigte Ausgabe herausbrachte.

Jedes Insekt ist beseelt

Aber auch wenn man die NS-Jahre ausklammert, wird einem der Mann nicht viel sympathischer. Die nach München angereisten Literaturwissenschaftler gaben sich alle Mühe, interessante Aspekte aus dem Werk herauszuschälen. Es scheint sie aber aus all den Texten immer wieder derart blühender Unsinn und eklektizistisch hochfahrender Formulierungsschwulst angestarrt zu haben, dass außer einer gewissen Ratlosigkeit wenig übrigblieb.

Walter Fähnders arbeitete heraus, dass Bonsels, der aufgrund seiner "Notizen eines Vagabunden" als Vorreiter der Vagabundenliteratur galt, eine apolitische, fast autistisch wirkende Version dieser ja hochsubversiven Literaturgattung lieferte. Den Satz des Schriftstellers Hugo Sonnenschein, der Vagabund sei "der Hüter der Illusion der Freiheit" formulierte Fähnders dahingehend um, Bonsels wähne sich als "Hüter der Freiheit, ohne zu wissen, dass diese Freiheit Illusion ist."

Die Duisburger Literaturwissenschaftlerin Helga Karrenbrock sagte, es habe zu Bonsels Lebzeiten viele Intellektuelle gegeben, "denen es angesichts dieser Blauen Blume nicht ganz wohl ist, die aber bereit sind, Bonsels als Naturdenkmal der Kunst gelten zu lassen". Die Formulierung von der Blauen Blume dürfte den Hauptgrund für Bonsels' großen Erfolg zu Beginn des 20. Jahrhunderts erklären: Angesichts rauchender Schlote, explodierender Städte und einer mit der Industrialisierung einhergehenden Glaubenskrise wurde die Natur zum religiös überprägten Sehnsuchtsort.

In Bonsels' Universum ist jeder Grashalm belebt, jedes Insekt beseelt (wobei der faule Willi für die Fernsehserie dazuerfunden wurde, im blitzblank aufgeräumten Bonselskosmos hätte solch ein antiautoritärer Schraz nichts zu suchen gehabt.) Die "Biene Maja", diese anthropomorphisierte Erzählung über Pflicht und Neigung, deren freiheitsliebende, kindertümelnde Heldin sich auf eigene Faust auf Welterkundung begibt, um am Ende als Retterin heimzukehren, war in Zeiten des Wandervogels ideale Projektionsfigur - und später eines der Lieblingsbücher der Soldaten an der Front, was kaum verwundert, die summselige Sommerwiese dürfte für die in Matsch, Leichen und Traumata versinkenden Soldaten idealer Fluchtpunkt gewesen sein.

Nach zwei Tagen Tagung konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es am Ende wahrscheinlich gar nicht so tragisch war, dass die hässliche japanische Zeichentrickserie aus den siebziger Jahren die Biene zwar ungemein populär gemacht, das Buch aber völlig zum Verschwinden gebracht hat.

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