Tagung zu Diversität im Film:Traumfabrik mit Zugangshürden

Lesezeit: 5 Min.

Von den Briten lernen: Melanie Hoyes, "Industry Inclusion Executive" des British Film Institute, spricht in der Evangelischen Akademie in Tutzing. (Foto: Bojan Ritan/Filmfest München)

Auf einer Tagung in Tutzing diskutiert die deutsche Filmbranche über Diversität und Teilhabe - manche schauen dabei sehnsüchtig nach Großbritannien.

Von Lisa Oppermann

Nicht einmal eine Stunde, nachdem die Kameras aus sind, gibt es den ersten Streit. Es sei nicht zu ertragen, ruft eine schwarze Schauspielerin erregt, dass solche Diskussionen so viel Raum bekämen. Vorne auf der Bühne gucken zwei Männer, selbst mit Migrationsgeschichte, kurz verdutzt. Sie haben gerade noch über ihre Erfahrungen geredet, über strukturellen Rassismus.

Wenn der Deutschlehrer vor der Abiprüfung sagt: "Bei mir bekommen Türken höchstens eine Drei", man aber auch zum Mathelehrer gehen und stattdessen bei ihm die Prüfung machen kann - ist das dann struktureller Rassismus? Oder ist der Deutschlehrer einfach nur ein individueller Rassist?

Immer mehr vor allem schwarze Frauen melden sich zu Wort. Einige ihrer Stimmen brechen vor Wut, man fällt sich ins Wort wie in den erregtesten Talkshow-Momenten des Fernsehens. Natürlich gibt es strukturellen Rassismus, rufen sie - wenn man immer wieder auf diesem Niveau anfangen müsse, brächten Diskussionen gar nichts mehr.

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Ein starker Kontrast zu den Stunden davor, zu den Begrüßungsreden. Da waren alle noch unfassbar glücklich. Glücklich, hier sein zu dürfen; glücklich, sprechen zu dürfen; glücklich, zuhören und so viel lernen zu dürfen. Dazu glänzte das Tutzinger Schloss mit seinen gold-blauen Palastdecken, und draußen glitzerte der Starnberger See dekadent in der Abendsonne.

Zwei schwarze Frauen erklären Rassismus für die Blicke und Ohren Weißer

Drei Tage lang über Diversität und Teilhabe diskutieren - eingeladen von der Evangelischen Akademie Tutzing und vom Filmfest München. Das war der Plan der anwesenden Filmschaffenden, und das ist kein besonders erfreuliches Thema, wie Professorin Elizabeth Prommer mit den neuen Ergebnissen ihrer Malisa-Studie bestätigte: Weniger Frauen als Männer sowohl in Haupt- wie in Nebenrollen, die Frauen dann auch noch deutlich jünger und klischeehaft dargestellt. Personen mit Migrationsgeschichte sind nur halb so oft im Kino sichtbar wie in der Gesellschaft, beinahe Gleiches gilt für People of Color und nicht-heterosexuelle Menschen. Ernüchternd, aber immerhin freute man sich auf dem Podium noch, dass man endlich handfeste Zahlen hatte.

"Sehen und gesehen werden - Teilhabe im Film" heißt die dreitägige Tagung und tatsächlich: Gerade in der Einführungsveranstaltung spürte man den Blick der Kameras auf den Personen vorne auf der Bühne, alles wurde live in den Orbit des Internets geschickt. Es schien dieser Blick einer undefinierten, gesichtslosen Öffentlichkeit zu sein, der zu all dem Glück und all der Dankbarkeit führte, fürs Hiersein und alles, was sich in der Branche schon verbessert hat. Immerhin - die Zahl der Frauen in Hauptrollen ist um fünf Prozent auf 47 Prozent gestiegen. "Wir wissen alle: Da geht es nur um weiße Frauen", wird die schwarze Schauspielerin Sheri Hagen am nächsten Tag sagen. Wenn keine Kamera mitfilmt.

Noch aber waren die Kameras angeschaltet, und in der Diskussion erzählte die Schauspielerin Thelma Buabeng dann, welche Rollen ihr als schwarze Frau so angeboten würden - Geflüchtete, Prostituierte, Dienstmädchen, Sklavin. Das konnte die gute Stimmung aber noch nicht zerstören, denn die Moderatorin Boussa Thiam schwenkte um zur Initiative "BlackWomxnMatter", von der Bouabeng erzählten sollte. "Du meinst die, in der du auch bist?", fragte Buabeng und lachte. Zwei schwarze Frauen erklärten Rassismus für die Augen und Ohren Weißer.

Es gibt Geschichten von Absagen und Ausbeutung

Sobald die Kameras aus sind, ändert sich das. Die Gespräche auf dem Podium, die Fragen der Menschen im Saal sind von und für Filmschaffende. Die Geschichten werden persönlicher, die Diskussionen hitziger. Die Moderatoren auf dem Podium rufen die Menschen im Publikum oft mit Vornamen auf. Man kennt sich. Und doch ist viel Wut, viel Frustration im Raum. Weil immer noch vor allem Filmprojekte der Mehrheitsgesellschaft - weiß, biodeutsch, bürgerliches Milieu - umgesetzt werden. Viele andere bekämen eben keinen Zuschlag zur Förderung. Und Filmemachen - das hört man immer wieder an diesen drei Tagen -, Filmemachen ist nun einmal wahnsinnig teuer.

Es gibt Geschichten von später preisgekrönten Filmprojekten, die erst keinen Geldgeber gefunden haben - weder bei einer der deutschen Filmförderungen noch bei den Öffentlich-Rechtlichen - und erst durch den Zuschlag amerikanischer Streamingdienste gedreht wurden. Von ewig langen, anstrengenden Diskussionen mit Sendern, damit diese sich auf eine Trans-Schauspielerin in der Hauptrolle einlassen. Von deutschen Filmemachern, die Drehbücher über Vietnamesen in Berlin schreiben und Kollegen aus der vietnamesischen Community bitten, "einfach mal drüberzulesen" - unentgeltlich natürlich.

"Wir wirken wohl wie Besucher aus der Zukunft."

Aber es gibt auch immer wieder die Vertreter und Vertreterinnen der anderen Fraktion. Die, die sagen: Na ja, wir haben ja immerhin schon viel geschafft. "Hamburg zählt ja", heißt es da etwa über die Hamburger Filmförderung, die 2020 eine verpflichtende Diversitätscheckliste eingeführt hat. Darin müssen alle Antragsteller Fragen beantworten wie: Wie viele Frauen haben eine leitende Funktion innerhalb der Filmproduktion? Gibt es im geplanten Projekt People of Color? Damit sind sie aber die einzige Filmförderung - sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene.

Dass es anders geht, zeigen die "fantastic three", wie Moderatorin Heike-Melba Fendel sie nennt: drei Vertreterinnen des British Film Insititute (BFI). Sie sind als leuchtendes Beispiel eingeladen, um den Deutschen zu erklären, wie es besser geht. Und tatsächlich, was Melanie Hoyes vorstellt, "Industry Inclusion Executive" des BFI, kann man sich hierzulange bisher kaum vorstellen: Diversitätsstandards, die immer mehr Institutionen übernehmen, eigene Forschung, Partnerschaft mit den Bafta-Filmpreisen, Workshops an Schulen, um Zuschauer schon vom jungen Alter an für Diversität zu sensibilisieren.

Debatte am Starnberger See - die Schauspielerin Sheri Hagen spricht Klartext über die deutsche Filmbranche. (Foto: Bojan Ritan/ Filmfest München)

BFI-Leiterin Mia Bays fasst es treffend zusammen, wenn sie sagt: "Wir wirken wohl wie Besucher aus der Zukunft." Diese Zukunftsvision scheint aber genau das zu sein, wonach sich viele hier sehnen. Immer wieder folgen auf einzelne Aussagen von Hoyes und Bays Applaus aus dem Publikum, die Fragen an sie sind meistens Dankeshymnen, und als die beiden mit ihrer Kollegin frühzeitig während der Abschlussdiskussion abreisen, gibt es Standing Ovations: Die Britinnen winken zurück aus der Zukunft wie drei strahlende Queens.

"Die Talente liegen wie Steine auf der Straße."

Aber tatsächlich präsentieren sie nicht nur das britische Ideal, immer wieder beenden sie lange Diskussionen mit pragmatischen, in ihrer Einfachheit schönen Beiträgen: "Man kann Diversität selbst vermarkten", erklärt Hayes etwa schlicht, als es um die Probleme der Vermarktung von diverseren Geschichten geht. "Man kann sagen: Wenn dir der weibliche Blick wichtig ist, dann geh auf dieses Festival, sieh dir diesen Film an." Diversität als Chance begreifen, nicht als Problem - immer wieder gibt es diesen Appell von unterschiedlichen Stimmen.

Aber bis daraus mehr wird als nur ein schön klingender Leitspruch, hat die deutsche Filmindustrie offenbar noch viel zu tun. Die Verantwortung für Absagen wird oft zwischen den Zuständigen hin und her geschoben, erfährt man. Die Bewerbungsprozesse bei Filmförderungen sind bürokratisch und in allen Bundesländern anders organisiert, klagen viele. Im Filmförderungsgesetz ist Diversität nur ein Halbsatz.

Weder vor noch hinter der Kamera arbeiten beim Film auch nur ansatzweise so viele Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte, queere Menschen, People of Color oder Menschen mit Behinderung, wie es sie anteilig in der Bevölkerung gibt. Zugegeben, damit ist Deutschland nicht allein: Bei den am Boxoffice erfolgreichen Filmen Hollywoods sieht es in weiten Teilen kaum besser aus. Oft gibt es noch die Befürchtungen, der durchschnittliche Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wolle eben vor allem Spiegelbilder seiner selbst und seines Milieus sehen - und migrantische Geschichten seien daher ein finanzielles Risiko.

"Es gibt keinerlei Belege, dass Geschichten mit BiPoC oder Migrationsgeschichte Kassengift sind", wird Professorin Prommer da nicht müde zu betonen. Und Sheri Hagen ergänzt: "Es gibt die Talente, es gibt die Geschichten. Sie liegen wie Steine auf der Straße - man muss sie nur aufheben."

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