Tagung:Lebensspuren im Totholz

Wie sieht die Zukunft des Lesens aus? Eine Podiumsdiskussion im Literaturhaus wirft bange Fragen auf

Von Antje Weber

Liest da noch wer? Glaubt man einem Abgesang, den jüngst Sandra Kegel in der FAZ angestimmt hat, ist das Buch am Ende. Die Digitalisierung erschüttere Verlage und Handel zwar schon seit Jahren, analysiert sie treffend. Inzwischen jedoch scheine der Sinkflug "unaufhaltbar", was im "sonst so redseligen Literaturbetrieb" nur keiner laut sage: "Jeder weiß es, aber niemand will darüber reden."

Stimmt nicht ganz - zumindest fand sich an diesem Donnerstag eine große Branchen-Runde im Münchner Literaturhaus zusammen, um anlässlich einer Tagung der Internationalen Buchwissenschaftlichen Gesellschaft über die "Zukunft des Lesens" zu diskutieren. "Der vernetzte Leser - Herausforderungen für Verlage zwischen Utopie und Dystopie" hieß der etwas sperrige Titel. Will heißen: Unter der Moderation von Literaturhaus-Chefin Tanja Graf sollten die Verleger Felicitas von Lovenberg (Piper) und Frank Sambeth (Random House) mit dem Digital-Experten Steffen Meier, dem UB-Bibliotheks-Direktor Klaus-Rainer Brintzinger und Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir den Wandel in der Buchbranche beleuchten. Da fehlte eigentlich nur noch die FAZ-Kritikerin Kegel, die gleichzeitig im Haus eine (letzte?

) Buchpremiere moderierte. Auch ohne sie ließ sich feststellen: Eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der nicht bis ins Letzte absehbaren Entwicklung ist natürlich spürbar. Die Zahl der Buchkäufer sei allein zwischen 2015 und 2016 um zwei Millionen zurückgegangen, zitierte zum Beispiel Casimir eine Statistik. "Dramatisch" wäre das über einen längeren Zeitraum: "Wir müssen Buchkäufer und Leser zurückgewinnen!" Da setzt ein Verleger wie Sambeth, um positive Signale bemüht, nach wie vor auf das "große Vermarktungskonzert", das ein Konzern wie Random House anstimmt. Und Lovenberg fügt an, wie wichtig dabei neben dem Text die Persönlichkeit des Autors sei: "Wir brauchen mehr vom Autor als früher!"

Die eigentlichen Probleme liegen jedoch tiefer, darin war man sich in der Runde einig: In unserer Zeit der digitalen Häppchen-Lektüren fällt es vielen Menschen immer schwerer, sich überhaupt auf ein Buch einzulassen. In den USA versuche man es inzwischen mit dem Schulfach "Deep Reading", so Lovenberg. Sambeth hofft gar, dieses vertiefte Lesen als "Rückzugsform in unserer schnellen Welt" ganz neu vermitteln zu können. Ein Roman biete schließlich sechs Stunden Ruhe - "und er wird nicht upgedatet!"

Lesen könnte man diesen Roman zum Beispiel in den Bibliotheken - die laut UB-Chef Brintzinger tatsächlich immer voller werden. Nur geht es den Besuchern, wie auch in Literaturhäusern, nicht so sehr um die Lektüre: "Die Leute suchen Live-Erlebnisse." Vielleicht ist das ja auch gar nicht so schlimm? Steffen Meier, Herausgeber des Online-Magazins Digital Publishing Report, will über ein gewandeltes Leseverhalten nicht klagen: "Ist langes Lesen so wichtig? Was Knackiges kann auch in kurzen Texten sein." Er glaubt zwar wie alle anderen auf dem Podium nicht, dass das "Totholz"-Medium Buch ganz verschwinden werde. Letztlich jedoch verheißt er dem Buch eine Zukunft wie der Schallplatte: in der Nische. Selbst Börsenblatt-Chefredakteur Casimir kann sich vorstellen, dass das Buch "vielleicht in 20 Jahren keinen Massencharakter mehr besitzt".

Menschen aus dem Totholzgewerbe konnte der Abend also nicht wirklich fröhlich stimmen. Wer danach zuhause womöglich noch auf eine dichte Totholzhecke im Wohnzimmer starrte, dem war nicht nach deep reading. Eher schon nach deep depression.

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