Tagung: "Ernstfall Computerspiel":Konsole mio!

Im Notfall hilft der Schillerinstinkt: Eine Dresdner Tagung wagt den Kleinen Grenzverkehr zwischen Wissenschaft und Computerspielen.

BERND GRAFF

Es ist erstaunlich, wie viele geistes- und kulturwissenschaftliche Disziplinen gerade das Phänomen "Computerspiel" als Thema entdecken. Erstaunlich auch, welche Methoden sie verwenden, um es überhaupt auf ihren mind maps auszumachen.

Tagung: "Ernstfall Computerspiel": Das ist ein PowerBabe, dezidiert für Mädchen entworfen. Slogan: "Es ist nun möglich, einen Push-Up-Bra und ein Hirn zur selben Zeit zu haben."

Das ist ein PowerBabe, dezidiert für Mädchen entworfen. Slogan: "Es ist nun möglich, einen Push-Up-Bra und ein Hirn zur selben Zeit zu haben."

(Foto: Abb: pinkfloor)

Weniger erstaunlich ist, dass sie dann aber zuerst nicht über Computerspiele sprechen, sondern von Spielen überhaupt. Dass sie sich also zuerst ihres eigenen, befestigten Geländes versichern um von dort aus gewissermaßen immer nur einen Zeh in die unbekannten, womöglich tieferen Gewässer zu stecken.

Man leistet also im Wortsinn Definitionsarbeit: Kultur-, Medien- und Geisteswissenschaften begutachten ihre Grenzen, um sie für die neuen Spiele durchlässig zu machen. Ganz und gar nicht erstaunlich ist also schließlich, dass bei einer solchen Vorgehensweise zuerst etablierte Spiel-Theorien am fremden Objekt erprobt werden und nicht gleich eine besondere Facette der Computerspiele, etwa die Frage nach der leidigen Gewalt, in den Mittelpunkt gerückt wird.

"Ernstfall Computerspiel. Virtuelles Handeln und soziales Umfeld" war eine interdisziplinäre Tagung betitelt, die das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden im Rahmen der Sonderausstellung "Spielen" am vergangenen Wochenende veranstaltete.

Geladen waren Medien- und Erziehungswissenschaftler, Psychologen und Pädagogen, Kunst- und Technik-Historiker, Philosophen und Kulturwissenschaftler, die ihre - das wurde immer wieder offen eingestanden - immer noch zaghaften Ansätze darlegten.

Pong und der Tonfilm

Florian Rötzer, Chef und Gründer des online-Magazins telepolis, wies gleich zu Beginn darauf hin, dass die Zeit aus doppeltem Grund reif sei für eine Beschäftigung mit den Spielen.

Zum einen boome der Markt in nicht gekanntem Ausmaß, zum anderen aber kommen die Spiele-Kids der ersten Stunde gerade in ein diskursfähiges Alter, das erstmals ein erfahrungssattes Reflektieren über die neuen Phänomene erlaube. Rötzers eigene Erkundungen des digitalen Spiele-Raumes fielen dann etwas nassforsch aus.

Mag man seiner Hochschätzung des Computerspiels als "des ästhetischen Gesamtkunstwerks unserer Epoche" und seiner These, dass "der Mensch gar nicht anders kann als spielen" noch den Charme der thetischen Unverfrorenheit zugestehen, so verblasst dieser Ansatz doch recht schnell, wenn man ihn zuende denkt: Sollte die Trennung zwischen Leben und Spiel tatsächlich gesamtkunstwerkstechnisch geopfert werden, dann wird eben alles Spiel oder Leben.

Dann aber ist jede weitere Beschäftigung mit den Spielen gegenstandslos. Wo alles weiß ist, gibt es überhaupt keine Farbe mehr.

Einer der im Rötzerschen Sinne inzwischen in die sprachfähigen Jahre gekommen Spieler ist Mathias Mertens. Der Medienwissenschaftler begreift die Geschichte der Computerspiele als Anstrengung, den virtuellen Raum zu beherrschen. Er illustrierte, wie man eines der ersten Spiele, das an Tennis erinnernde ¸¸Pong" aus dem Jahr 1972, auch als den Versuch begreifen kann, den Ball im Spielraum zu halten, um spielen zu können.

Mertens führte aus, wie in diesem Spielraum - so bei "Pac Man" - dann Agenten auftauchen, die den Spieler an der Durchquerung hindern. Dass der virtuelle Raum schließlich emotional besetzt werden kann, erläuterte die Erziehungswissenschaftlerin Ulrike Pilarczyk.

Sie ist Sprecherin der USK, also des Gutachter-Gremiums, das in Deutschland für die Einstufung von Computerspielen zuständig ist. Pilarczyk wies auf die Qualität der Töne, Klänge und Musik in den Spielen hin, die einen Sog entfalten, dem sich der Spieler nicht entziehen kann. Das weiß man allerdings seit der Erfindung des Tonfilms.

Claus Pias, Medienphilosoph aus Bochum, stellte Überlegungen dazu an, warum gerade jetzt der Ruf nach einer Spieltheorie für den Computer laut wird. Dazu holte er erstaunlich weit aus, zerrte Huizinga und Schillers "Briefe zur ästhetischen Erziehung" aus dem Regal und jonglierte mit einer "Figur des Dritten". Die Frage allerdings, was das alles mit Computerspielen zu tun habe, ließ der Philosoph wohlweislich unbeantwortet.

Einen unmittelbar pragmatischen Ansatz verfolgte Fritz Böhle, Professor für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt in Augsburg. Er differenzierte zuerst, wie sich in der Geschichte die immer als sinn- und zweckvoll erachtete Arbeit als "dominante Leitidee moderner Gesellschaften" gegenüber dem "nutzlosen Zeitvertreib" des Spiels herausgebildet hat.

Seine aktuellen Untersuchungen des Arbeitsverhaltens von Steuerungstechnikern, die für die Sicherheit von hochkomplexen Maschinen verantwortlich sind, förderte jedoch zu Tage, dass diese Arbeit ohne Elemente spielerischen Handelns gar nicht zu leisten wäre: Die Arbeiter improvisieren, sie entwickeln subjektive Beziehungen zu ihren Maschinen und sie agieren intuitiv.

Da aber, so Böhle, in unseren hochtechnisierten Arbeitsabläufen die Beherrschung von Unplanbarkeit und Unwägbarkeit immer wichtiger werde, seien diese spielerischen Herangehensweisen nicht länger zu ignorieren, sondern bewusst in die Arbeitsabläufe zu integrieren.

Einen fulminanten Beitrag leistete die Bochumer Medienwissenschaftlerin Astrid Deuber-Mankowsky. Sie zeigte, wie sich in den letzten 15 Jahren eine Spezialrichtung der "Gender Studies" um die "soziale Praxis des Cyberspace" herausgebildet hat. Dieser Ansatz untersucht die Geschlechterdarstellung in der virtuellen Welt, also in Rollenspielen, Chats und Online-Spielen.

Die Forscherin erkannte zwei Stränge: Zuerst einen theoretisch-feministischen Ansatz, der früh schon den Untoten "Cyborg" herausgebracht hat, zum anderen einen pragmatisch ökonomischen, dessen Erkenntnisse unmittelbar in die Produktion von dezidierten Mädchenspielen einfließen, etwa die "PowerBabes", ein Spiel, das mit dem Satz beworben wird, dass es jetzt möglich sei "einen Push-Up Bra und ein Hirn zur selben Zeit zu haben."

Früh fiel schon im Publikum die Bemerkung, man habe den "Ernstfall Spiel" und den "Ernstfall Computer" klar aufgezeigt. Wo aber stecke denn nun der "Ernstfall Computerspiel"?

Bedenkt man, unter welcher Definitionsanstrengung die Wissenschaften gerade erst einen "Kleinen Grenzverkehr" mit den Spielen zuzulassen beginnen, versteht man, dass genau dieser Ernstfall wohl noch ein paar Runden im Game der Disziplinen auf sich warten lassen wird. Game over? Mitnichten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: