100-Tage-Experiment:Tohuwabohu in der Villa Stuck

Eine Bilanz des Kunstprojekts von Thomas Hirschhorn, bei dem der historische Ort zum Mitmachmuseum wurde

Von Evelyn Vogel

Bei der Frage, ob er sich noch einmal auf ein solch partizipatives 100-Tage-Experiment wie die vor Kurzem zu Ende gegangene Ausstellung "Never Give Up The Spot" von Thomas Hirschhorn einlassen würde, zögert Michael Buhrs nur ganz kurz. Aber dann kommt doch ein entschiedenes "Ja" vom Direktor des Museums Villa Stuck. "Aber", so setzt er hinzu, "man würde sich besser darauf vorbereiten".

Vorbereiten auf das unglaubliche Tohuwabohu, das die Installation des international renommierten Schweizer Künstlers, der seit Jahrzehnten in Paris lebt, in das Neue Atelier der Villa Stuck gebracht hat. Vorbereiten auf das Konzept eines "hierarchielosen Museums", in dem es vor allem "Wellcome-Teams" gab - die sich bald schon als "Aufräum-Teams" betätigen mussten, wie Buhrs sagt, weil kaum einer die zur Verfügung gestellten Werkzeuge an ihren Platz zurücklegte. Vorbereiten auf ein 24-Stunden-Museum, in das man bei freiem Eintritt jederzeit und beliebig lang und oft Zutritt haben sollte (was dann doch mit geregelten Öffnungszeiten limitiert wurde). Der freie Eintritt und das kostenlose Begleitbuch blieben dank zahlreicher Stiftungen und Förderer, weil die Ausstellung nur so frei von jedwedem kommerziellen Aspekt bleiben konnte.

100-Tage-Experiment: Neben Lesungen gab es auch Konzerte in dem hierarchiefreien Ausstellungsraum.

Neben Lesungen gab es auch Konzerte in dem hierarchiefreien Ausstellungsraum.

(Foto: Villa Stuck)

Vorbereiten auf ein zum öffentlichen Raum mutiertes Museum, in dem jeder seine eigene Veranstaltung abhalten konnte, solange er allen Zutritt gewährte - was beispielsweise Musiker zu Konzerten veranlasste und Dichter zu Lesungen. Vorbereiten auf ein Mitmachmuseum, in dem Jung und Alt die gesamte Installation nach Herzenslust verändern konnten, in dem sie etwas mitbrachten oder wegnahmen, etwas abschnitten, anklebten und bemalten oder auf den bereitgestellten Computern und Druckern aus Second-Hand-Beständen arbeiteten; eines Museums in dem das Publikum diskutierte, las, trank, aß, Musik hörte, herumkletterte, auf den Sofas lümmelte und staunend dem Treiben um sich herum zuschaute - und gelegentlich leider auch den hierarchiefreien Raum missbrauchte und vandalierte. "Das meist konstruktive Verhalten der Besucher", so Buhrs, "entlud sich in Spitzen wie am Ende der Langen Nacht der Museen in destruktiven Verhaltensweisen."

100-Tage-Experiment: Thomas Hirschhorn.

Thomas Hirschhorn.

(Foto: Villa Stuck)

Das so oft propagierte "interaktive Museum", es wurde von Thomas Hirschhorn in München in neue Dimensionen geführt. Das lag auch daran, dass der Künstler - anders als in anderen seiner Installationen - nicht selbst anwesend war. Und Buhrs wird nicht müde, den Dauereinsatz von Kurator Roland Wenninger zu loben, der täglich vor Ort war und in gewisser Weise die Rolle des "the artist is present" einnahm, indem er als Ansprechpartner diente. "Es war für uns als Institution eine neue Grenzerfahrung, wie das Konzept funktioniert", sagt Buhrs. Und fügt hinzu: "Eine Überforderung, in der Idealismus auf Sachzwänge traf und alle Beteiligten über neue Formen des Museums nachdenken ließ."

100-Tage-Experiment: Chaotisch sah die "Ruinenlandschaft", in die Thomas Hirschhorn das Neue Atelier der Villa Stuck verwandelt hatte, von Anfang an aus. Aber nach einer Weile waren Möbel auf den Kopf gestellt und manch anderes "umgestaltet".

Chaotisch sah die "Ruinenlandschaft", in die Thomas Hirschhorn das Neue Atelier der Villa Stuck verwandelt hatte, von Anfang an aus. Aber nach einer Weile waren Möbel auf den Kopf gestellt und manch anderes "umgestaltet".

(Foto: Villa Stuck)

Mittlerweile sind die Spuren der Ruinenlandschaft von Thomas Hirschhorn in der Villa Stuck so ziemlich beseitigt. Das Material, das bei der Anreise aus Paris mehrere Sattelschlepper mit je 90 Kubikmeter gefüllt hatte, wurde so weit wie möglich getrennt entsorgt und recycelt. Der Löwenanteil war wegen der verschiedenen verwendeten Materialien wie Styropor, Pappe, Klebeband, Flüssigkleber, Farbe, Holz und vielem mehr nicht zu trennen und wurde in einem Spezialcontainer, der nun tagelang an der Ismaninger Straße stand, gepresst. Hätte man das geschredderte Material nicht zu Würfeln pressen und als Edition verkaufen können? Nein, ist die klare Antwort. Denn das wäre dem Konzept des konsequent nicht kommerziellen Museums zuwider gelaufen. Die 16 000 Besucher jeden Alters und unterschiedlicher Bildung hatten zudem reichlich Gelegenheit, sich als Souvenirjäger zu betätigen. Besonders begehrt waren die Lippenstiftskulpturen, die schon bald nach der Eröffnung "vergriffen" waren. Und das dürften nicht die einzigen Stücke gewesen sein, die den Weg von "Never Give Up The Spot" von Thomas Hirschhorn ins eigene Zuhause fanden. Es war die reine Partizipation.

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