Tag des Bieres:Bier-Bibel oder Hassobjekt

Michael Rudolf lüftet mit seinem Buch "Die hundert besten Biere der Welt" Geheimnisse um wohlgehütete Schätze. Und er schrieb eine Bibel, die auch ein Hassobjekt sein kann.

Paul Katzenberger

Es gibt wohl kaum eine Angelegenheit, die bei bestimmten Menschen so große Emotionen auslöst wie Bier. Diese Erkenntnis - so erstaunlich sie sein mag - ist zum einen durch millionenfache Fachsimpeleien vor allem in der Männerwelt belegt.

bier tage des bieres micheal rudolf

Was für ein Bier - golden wie die Sonne. Schon durstig?

(Foto: Foto: dpa)

Zum anderen hat sie aber auch in Dennis Hopper einen weltbekannten Protagonisten gefunden. In der Rolle des perversen Frank Booth in David Lynchs "Blue Velvet" brachte er es 1986 mit der Huldigung eines bekennenden Biertrinkers zu seinem Lieblingssud zu augenblicklichem Kultstatus: "Heineken? Fuck that shit ... Pabst Blue Ribbon"! - Millionen Biertrinker auf der ganzen Welt können diesen Einzeiler auch nach über zwanzig Jahren wie aus dem Schlaf zitieren - die großartige Intonierung des Pabst-Fans Booth inklusive.

Die Frage nach dem besten Bier erhitzt also schon seit jeher die Gemüter und insofern konnte Michael Rudolf mit seinem Buch "Die hundert besten Biere der Welt" nichts mehr falsch machen. Denn dieser Titel suggeriert nichts Geringeres als die Lösung eines der ganz gewichtigen Menschheitsprobleme, nämlich ob man sich als durchschnittsdeutscher Biertrinker zumindest in einer Disziplin zur Elite zählen darf: dem regelmäßigen Herunterstürzen eines oder vielleicht sogar mehrerer der genannten weltbesten Biere.

Eine Bibel, die auch Hassobjekt sein kann

Doch das ist natürlich eine Illusion: Unter Tausenden Brauereien weltweit 100 überlegene Gebräue auszuwählen, kommt der Willkür nahe, wobei diese dem Autor egal gewesen sein dürfte. Denn findet ein Biertrinker das Objekt seiner Verehrung, so wird er Rudolfs Buch rasch zu seiner Bibel erklären. Sind die Favoriten hingegen nicht aufgeführt, werden die betroffenen Biertrinker dennoch kaum von Rudolfs Werk lassen. Schließlich geschieht kaum etwas so lustvoll wie die Reibung an einem Objekt, das nach subjektiver Einschätzung zu Unrecht geehrt wird. Michael Rudolf hat also eine Bibel geschrieben, die auch Hassobjekt sein kann - was will ein Autor mehr.

In Wahrheit kommt es nicht so sehr darauf an, ob in diesem Buch tatsächlich die 100 besten Biere der Welt aufgeführt sind, oder nicht. Rudolf selbst räumt das in seinem Vorwort sofort augenzwinkernd ein, wohl wissend, dass der betörende Titel seine Wirkung bereits entfaltet hat: Von der Verheißung, die besten Biere präsentiert zu bekommen, wird der Leser sich auch durch die Einschränkungen im Vorwort nicht mehr abbringen lassen.

Hinters Licht geführt wird der Leser dennoch nicht. Rudolf präsentiert nämlich durchaus eine ernstzunehmende und veritable Auswahl, die allerdings auch von einigen Schwächen und Inkonsistenzen befallen ist.

So ist etwa die auffällige Dominanz der belgischen Biere fragwürdig. Rudolf listet immerhin zwanzig belgische Brauereien auf, was zwar nur die Hälfte der etwa vierzig genannten Biere aus Deutschland ausmacht, aber im Verhältnis zur Gesamtzahl der Brauereien in Deutschland (knapp 1300) und Belgien (120) ein Übergewicht belgischer Biere bedeutet.

Dieses ist zum einen fragwürdig und auch die Auswahl selbst spricht nicht unbedingt für Sachverstand. Unter den genannten belgischen Bieren sind mit dem "Cantillon Gueuze" oder dem "Rodenbach Grand Cru" zwar in der Tat Vertreter, die das Attribut "Weltklasse" verdienen, aber es finden sich eben auch mäßige Repräsentanten belgischer Braukunst, wie etwa das "Hoegaarden Witbier" oder das "Tongerlo Double Blond".

Der Blick über den Tellerrand der deutschen Bierherrlichkeit hinaus

Dem deutschen Biertrinker ist mit solchen Empfehlungen kaum gedient. Belgisches Bier genießt zwar zu Recht einen Weltruf, aber da die hiesigen Bierfreunde mit untergärigem Gebräu groß wurden, sind die meist obergärigen Biere Belgiens für sie zumindest gewöhnungsbedürftig. Denn Bier wird hierzulande auf Zug getrunken, und bevor sich ein Maßbierstemmer auf einen Elfprozenter wie etwa "Kasteelbier Blond" einlässt, trinkt er lieber Wein.

Es ist zwar eine der Stärken des Buches, den Blick über den Tellerrand der deutschen Bierherrlichkeit hinaus zu richten, doch es entsteht der Eindruck, dass Rudolf mit dieser Internationalität kokettiert, ohne wirklich Experte jenseits der Landesgrenzen zu sein. Auffällig ist etwa seine offensichtliche Vorliebe für kleine Brauereien in Deutschland, die ihm bei den ausländischen Bieren aber regelmäßig verloren geht.

Im Falle Belgiens ist so etwa unverständlich, dass er neben "Hoegaarden" und "Tongerlo" zwar das in Massen gebraute Trappistenbier "Westmalle Tripel" aufführt, nicht aber die besseren (und viel kleineren) Brauereien "Westvleteren" oder "De Ranke".

Im zweiten Teil: Das Geheimnis, das gelüftet wurde.

Bier-Bibel oder Hassobjekt

Diese Schwäche fällt auch bei der Auswahl der tschechischen Biere auf. Zu loben ist zwar, dass Rudolf neben dem obligatorischen Vertreter "Pilsner Urquell" auch das deutlich weniger bekannte und hervorragende "Chodovar Kvasnicový Skalní Lezák" (Rudolf: "ein Wunderbier") für seine Leser entdeckt hat, ihnen aber auch allen Ernstes das "Krusovice Svetlé" ans Herz legt. Seit die Radeberger Gruppe die einst stolze Brauerei übernahm und Druckkessel in Krusovice installierte, gilt das Bier in Tschechien als ruiniert. Dass statt seiner nicht solch mundige Marken wie etwa das "Bernard" aus Humpolec oder das "Herold" aus Breznice genannt werden, ist ein Manko des Buches.

Viel böses Blut in Großbritannien

Es dürfte dem offensichtlich oberflächlichen Wissen bei ausländischen Bieren geschuldet sein, dass Rudolf in einem Fall auch eine politisch unkorrekte Empfehlung abgibt: Das englische "Strong Suffolk Vintage Ale" der Brauerei Greene King steht auf dem Index boykottierter Biere der britischen Biertrinkerkampagne CAMRA (Campaign for real ale), die sich für den Erhalt kleiner Brauereien und die Biervielfalt einsetzt. Denn das börsennotierte Unternehmen Greene King erzeugte in den vergangenen Jahren in Großbritannien viel böses Blut, da es kleine Brauereien aufkauft, nur um sie stillzulegen und Wettbewerber aus dem Markt zu drängen.

Auch mit der Nennung des russischen "Baltika Klassitscheskoje" macht sich Rudolf angreifbar. Denn diese Empfehlung ist inkonsistent zu dem Grundsatz, den er bei Bier Nr. 46 (irgendein gutes Bier) vertritt. Sein Prinzip lautet: Meide Produkte wie "Beck's", "Holsten", "Jever", "König", "Krombacher", "Paulaner", "Schultheiß" oder "Warsteiner", also Massenbiere. Gemessen am durchaus ordentlichen "Baltika", das zu den Brauimperien von "Carlsberg" und "Scottish Newcastle" gehört, sind die von Rudolf verteufelten Biere allerdings geradezu niedlich klein: So erreicht der deutsche Branchenführer "Krombacher" mit seinem Jahresausstoß von etwa fünf Millionen Hektolitern gerade einmal die Hälfte der Jahresproduktion von "Baltika" (9,6 Millionen Hektoliter).

All diese Fragwürdigkeiten und Inkonsistenzen in Bezug auf die Auswahl ausländischer Biere sind allerdings wie weggeblasen, sobald sich Rudolf auf heimischem Terrain bewegt: Bei deutschen Bieren beweist er seine Kennerschaft und gibt etliche wertvolle Tipps.

Biere wie etwa das "Bamberger Klosterbräu Gold", das "Hübner Bräu Vollbier", das "Eschawecka Zoiglbier" und etliche weitere der genannten Biere werden nur in Kleinstmengen von wenigen tausend Hektolitern pro Jahr produziert und sind daher den Biertrinkern in ihrer Region vorbehalten. Allein schon weil Rudolf das Geheimnis um diese Schätze lüftet, wird der Leser für all die Schwächen, die das Buch an anderer Stelle haben mag, mehr als fürstlich entschädigt.

Rudolf wird dem deutschen Durchschnittsgeschmack gerecht

Die Empfehlung des "Veltins Pilseners" bei gleichzeitiger Verteufelung des "Jevers" oder "König Pilseners" mag zwar ungerecht erscheinen, da es sich bei all diesen Bieren um Massenprodukte handelt, die gleichwohl durchaus schmackhaft sind. Doch Rudolf tut hier - möglicherweise unbeabsichtigt - nur seine Pflicht: Er wird dem deutschen Durchschnittsgeschmack gerecht, und das ist auch in Ordnung so. Denn so platt wie er es darstellt, ist es nicht: Große Brauereien müssen nicht notwendigerweise schlechtere Biere brauen als kleine.

In aller Regel bedienen "Krombacher", "Warsteiner", "Bitburger" und Co. allerdings einen Einheitsgeschmack, der verlangt, dass das Bier nicht so süffig wie im Süden Deutschlands und nicht zu hopfig-bitter wie im Norden gebraut wird. Diese Biere schmecken daher ähnlich und durchschnittlich, aber deswegen keineswegs schlecht. Im Gegenteil, da sie den Geschmack von Biertrinkern in allen Regionen Deutschlands treffen, landen sie bei Blindverkostungen regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Indem Rudolf mit dem "Veltins" einen Vertreter repräsentativ für alle anderen Großbrauereien nennt, wird er diesem Umstand gerecht. Dass er dabei erneut gegen seinen eigenen Grundsatz verstößt, Biere großer Brauereien zu boykottieren, ist daher eine lässliche Sünde. Gleichwohl ist es richtig, dass er auf die Empfehlung weiterer Massenbiere aus Deutschland weitgehend verzichtet, da dies mehr oder weniger die Wiederholung des immer gleichen Geschmackes bedeutet hätte.

Eine enorme Vielfalt im Bierland Deutschland

Folgerichtig lässt er stattdessen den vielen kleinen regionalen Brauereien den Vortritt, da sie von den Fesseln des Durchschnittsgeschmackes befreit ihren Biertrinkern spezielle Geschmacksnoten anbieten können: Ein "Merz Spezialbräu Rauchbier Lager", eine "Goedecke's Ritterguts Gose" oder ein "Füchsen Alt" mögen nicht jedermanns Sache sein, doch sie stehen für die enorme Vielfalt des Bierlandes Deutschland - und die vermittelt Rudolf zu Recht.

Die größte Stärke des Buches sind allerdings die humorvollen und geradezu literarischen Huldigungen der vorgestellten Biere. Rudolf ist ein Meister der euphorischen Sprache, und so kann selbst ein Nicht-Biertrinker seinen Spaß mit diesem Buch haben. Besonders angenehm ist dabei, dass sich der Autor selbst ständig auf den Arm zu nehmen scheint. Zwischen den Zeilen straft er den verheißungsvollen Titel seines Buches damit noch einmal der Lüge: Die 100 besten Biere der Welt sind eine Illusion, doch die Suche nach ihnen ist das Ziel.

Rudolf, Michael: "Die hundert besten Biere der Welt", Oktober Verlag, 2006 ISBN: 3-938568-25-9

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