Tag der offenen Tür:Volksmusik

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks feiert im Werksviertel seinen Geburtstag und vermittelt dabei überbordende Freude am Musizieren

Von Egbert Tholl

Wenn das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks so alt sein sollte wie sein Publikum, dann feiert es an diesem langen Tag nicht seinen 70., sondern eher den siebten Geburtstag. Der "Tag der offenen Tür" des BRSO im Werksviertel jedenfalls gleicht über weite Strecken einem überbordenden Kindergeburtstag, was nicht nur an der großen Anzahl kleiner Besucher liegt, sondern auch daran, dass sich die Älteren gleichfalls wie Kinder verhalten dürfen. Es ist eine extrem niederschwellige Sause, die ungeheuer viel Spaß macht, auch weil man auf viele sehr entspannte Musiker trifft, die bereitwillig ihre Instrumente erklären, ihr Musizieren vorstellen, die man zu kurzen Gesprächen ("Speed-Dating") treffen oder ihnen einfach zuhören kann.

Tag der offenen Tür: Die Kinder dürfen unter animierender Leitung selber singen.

Die Kinder dürfen unter animierender Leitung selber singen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Angesichts dieser Möglichkeiten wundert es wenig, dass sich zur Gesprächsrunde mit Kunstminister Bernd Sibler nur drei Dutzend Gäste verirren. Sibler verweist auf den Wert des kommenden Konzerthauses in einer "utilitaristischen Welt", will aber keine Zahlen nennen, weder bezüglich der Kosten noch hinsichtlich des Termins der Fertigstellung. Das Geburtstagsfest findet ja an vielen Orten um den Baugrund herum statt, auf dem das Konzerthaus entstehen soll. So lebendig wie das Viertel an diesem Tag ist, kann man die Standortwahl inzwischen nur begrüßen. In der Gesprächsrunde wünscht sich Bernd Heber, mehr als 40 Jahre Mitglied des BRSO, zur Eröffnung Beethovens Neunte, wie bei seinem ersten Konzert 1970 und seinem letzten 2016 - manches ändert sich nie. Hörfunkdirektor Martin Wagner und Anton Nachbaur-Sturm vom mit dem Bau des Konzerthauses beauftragten Architekturbüro blicken frohgemut in die fernere Zukunft, Marjie Grevink, Geigerin im BRSO, hat da schon ganz konkrete Vorstellungen. Etwa viel Platz für Education - sie war es, die die Ursprungsidee zum Tag der offenen Tür hatte.

Tag der offenen Tür: Radoslaw Szulc dirigiert beim großen Orchesterkonzert des Tages in der Tonhalle seine Kollegen.

Radoslaw Szulc dirigiert beim großen Orchesterkonzert des Tages in der Tonhalle seine Kollegen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Danach lässt man sich treiben. Schaut bei den Schätzen aus dem Bild- und Tonarchiv des Orchesters vorbei, landet in der Tonhalle, wo es Radoslaw Szulc gelingt, mit der Zartheit von Sibelius "Valse triste" allergrößte Aufmerksamkeit zu erzwingen, obwohl man hier überall kommen und gehen kann, wie man lustig ist. Szulc, Konzertmeister beim BRSO und Leiter von dessen Kammerorchester, ersetzt Mariss Jansons. Von diesem verliest Moderator Bernhard "Fleischi" Fleischmann eine Grußbotschaft: "Das BRSO ist nicht nur brillant, es hat keinerlei Schwächen. Die Musiker spielen jedes Konzert, als wäre es ihr letztes." Das Orchester hat keine Schwächen, Jansons derzeit schon. Sein Arzt drängte auf drei Monate Pause. So fehlt er beim Geburtstag, so wird er bei den Tournee-Gastspielen im Sommer fehlen. Trotz teils herausragender Kollegen, die die Konzerte übernehmen, ist das fürs Orchester höchst bedauerlich. Aber nicht neu.

Tag der offenen Tür: Konzertmeister Anton Barakhovsky und Moderator Bernhard Fleischmann.

Konzertmeister Anton Barakhovsky und Moderator Bernhard Fleischmann.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Den Musikern verhagelt das die Laune keineswegs. Viele staunen über das Viertel, das ihnen dereinst Heimat sein wird. Und zeigen dann beispielsweise in einer Bar, wie ihre Instrumente funktionieren. Thomas Kiechle erklärt dabei, eine Trompete können man auch selber bauen, man brauche nur einen Gartenschlauch, ein Mundstück und einen Küchentrichter. Bläst man dann selbst in eine echte Trompete, klingt das tatsächlich nach Gartenschlauch. Nach mehr aber auch nicht.

Das Brass-Ensemble, elf BR-Symphoniker mit größtenteils gestandener Dorfkapellenvergangenheit, spielt dann wirklich so, als gäbe es kein Morgen. Drei von ihnen haben gerade noch ein wirklich herrliches Kinderstück aufgeführt, unterstützt vom Hornisten Carsten Carey Duffin und dem stupenden Schlagzeuger Christian Pilz. Sie sowie Herbert Zimmermann, Uwe Schrodi und Stefan Tischler machen richtig Theater. Ihre Instrumente beherrschen sie eh traumhaft, selbst in spielzeughaften Miniaturgrößen. In "XCLSV" erzählen sie dazu noch, nonverbal und mit den Arrangements von Matthias Ambrosius, von Ausgrenzung und Miteinander, von der Freude, gemeinsam ein Ziel zu erreichen.

Den Trompeter Zimmermann sah man einige Stunden zuvor in einem Video, in dem er mit der Geigerin Anne Schönholz Instrumente tauscht. Sehr lustig. Dann tauschen sie zurück und spielen Volksmusik. Wie ja eigentlich der ganze Tag Musik fürs Volk ist. Ein echtes Fest halt.

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