Naturkunde :Einen Vogel abtragen

Der englische Schriftsteller T. H. White war ein Pionier des "Nature Writing". Sein Buch "Der Habicht" setzt einem Vogel ein Denkmal, den der Exzentriker sich aus Deutschland zur Abrichtung hatte schicken lassen.

Von Christoph Schröder

Die britische Historikerin und Philosophin Helen Macdonald hat in ihr 2014 erschienenes und von der Kritik als Paradebeispiel des gelungenen Nature Writings gelobtes Buch "H wie Habicht" Fragmente der Biografie des Schriftstellers T. H. White verwoben. White, 1906 in Indien geboren und 1964 in Griechenland gestorben, war ein Exzentriker, der als Grundschullehrer arbeitete, sich intensiv mit dem Mittelalter auseinandersetzte und es mit seinem Werk "Der König auf Camelot" zu Popularität brachte. 1936 zog White sich von seinem Lehrerberuf zurück, mietete ein Cottage in der Nähe von Buckinghamshire, etwa 100 Kilometer nordwestlich von London gelegen, und ließ sich aus Deutschland einen jungen, männlichen Habicht schicken, um ihn abzurichten.

Ein Unterfangen, das aus mehreren Gründen zum Scheitern verurteilt war: Zum einen, weil gerade der Habicht in seiner Nervosität für Anfänger als ungeeignet gilt. Zum anderen, weil White sich auf ein im Jahr 1619 erschienenes Lehrbuch zum Umgang mit Jagdvögeln stützte. "The Goshawk", so der Titel des Originals, wurde von White selbst aus verstreuten Notizen zusammengetragen, erschien schließlich 1951 und ist nun in der "Naturkunden"-Reihe des Matthes & Seitz-Verlags in Pauline Altmanns gewohnt eleganter Gestaltung erstmals als deutsche Ausgabe erhältlich.

Gos, so nennt T. H. White den Jungvogel kurzerhand, ist Spiegel und Projektionsfläche zugleich. Der Schlüssel zur Beziehung zwischen Mensch und Tier liege, so schreibt Helen Macdonald es in ihrem kurzen Vorwort, in den Züchtigungen in Whites Kindheit und in seinen unterdrückten sadistischen homosexuellen Fantasien. Das mag eine psychologische Zuspitzung sein, doch wenn White sich nach mehreren Wochen intensiver Arbeit mit dem Habicht vorstellt, dem Vogel mit Freude den Hals umzudrehen oder ihn "mit wilden, kehligen Krächzern der Lust" in Stücke zu reißen, um zwei Tage später zu notieren, Gos und er hätten sich erneut ineinander verliebt, schwingt in den Aufwallungen des Autors eine Intensität mit, die über das Erleben des Augenblicks hinausreicht.

In bemerkenswertem Vokabelreichtum, den Ulrike Kretschmer in geschliffenes Deutsch übersetzt hat, berichtet White von den Versuchen, den Habicht abzutragen, das heißt, ihn auf der Faust zu tragen, bis der Vogel diesen Platz als natürlich betrachtet und dort einschläft. Das bedeutet im Gegenzug, dass sein Besitzer sich länger im Wachzustand halten muss als der Vogel. Ein Machtspiel, das White an den Rand seiner Belastbarkeit bringt.

Doch es geht in diesem Binnenverhältnis nicht nur um die Unterwerfung der wilden Kreatur und um die Einordnung in ein zivilisatorisches Koordinatensystem. Whites Handeln und auch sein Schreiben setzen den Mensch nicht per se als überlegen voraus. Der Habicht wird, so paradox es klingen mag, zu einem Symbol der Freiheit, an der sein Besitzer partizipieren möchte; zu einem Gefäß, in das White die eigene Wildheit legt. Wir begegnen einem unglücklichen Autor, der den Menschen abgeschworen hat. Gos ist selbst in der Gefangenschaft das, was der von Konventionen beherrschte White niemals war: unbändig, stolz, unabhängig. Die empfindsame Seele des Buchs ist nicht der Autor, sondern das Tier. Greifvögel, das lernt White schnell, können es nicht ertragen, angeschaut zu werden; "es ist ihr Vorrecht, andere zu betrachten".

Whites literarische Leistung besteht darin, das fundierte Wissen, das er sich erworben hat, zu poetisieren und zugleich die tägliche Routine, das Ringen, die Hoffnungen und Rückschläge, die Arbeit mit Belohnungen und Futterentzug, so spannend zu erzählen, dass aus der Abfolge der Tage tatsächlich ein Bildungsroman en miniature entsteht. Darüber hinaus ist das Buch ein detailreiches Porträt einer Landschaft und eines Landes im vagen Vorgefühl eines kommenden Kriegs.

Seinen eigenen Unzulänglichkeiten und Schrullen begegnet White mit Selbstironie: Nach kurzer Zeit bereits hasst er die Melodie des alten schottischen Kirchenlieds "The Lord's My Shepherd", mit der er Gos in Pawlow'scher Manier mit Futter zu locken versucht - vor allem deshalb, weil sein Pfeifen so dilettantisch ist, dass er den Ton nie trifft. Dafür aber ertappt White sich während einer Plauderei mit dem Briefträger dabei, zwischen den Worten kurze Maunzer auszustoßen, die sonst beruhigend auf Gos wirken.

Die Liaison mit dem Habicht findet ein so abruptes wie banales Ende in Form einer gerissenen Schnur. Er habe, so schreibt White in seinem 1951 verfassten Postskriptum, der Verführung widerstanden, einen versöhnlichen Abschluss zu finden. Das Scheitern an der Natur, so die Erkenntnis, ist in das Programm der Zähmung eingeschrieben.

T. H. White: Der Habicht. Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer. Matthes & Seitz, Verlag, Berlin 2019. 188 Seiten,30 Euro.

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