Süddeutsche Zeitung

SZ-Vorabdruck: Napoleons Spuren in Regensburg :In Stein gehauene Geschichtsfälschung

Dritter und letzter Teil: Das Gedenken - Seit 2009 existiert im Regensburger Pylonentor eine Inschrift, die unter vielen Historikern als skandalös gilt. Sie stellt Napoleon als Schreckensherrscher dar

Von Thomas Schuler

Nachdem die österreichische und französische Armee abgezogen waren, lagen ein Fünftel Regensburgs und das kleine Stadtamhof vollständig in Schutt und Asche. Bereits im Sommer des Jahres 1809 wurde mit dem Wiederaufbau des Niedergebrannten begonnen. Notwendigerweise entstand im Gebiet nördlich des heutigen Regensburger Hauptbahnhofes ein ganz neues Stadtviertel; Stadtamhof musste vollständig neu aufgebaut werden. Fürstprimas Dalberg gab dem Stadtmagistrat am 14. Juli - dem französischen Nationalfeiertag - den Befehl, dass das neue Viertel den Namen "Napoleons-Quartier" tragen sollte.

Bereits unmittelbar nach der Schlacht wurde die noch in Ruinen liegende Pauluswacht von der Verwaltung in "Napoleonswacht" umbenannt. Nachdem Regensburg 1810 jedoch dem Königreich Bayern zugeschlagen worden war und dasselbe 1813 die Seiten gewechselt hatte, wollte man von diesen Namensgebungen nichts mehr wissen. Überhaupt tut man sich auch im 21. Jahrhundert mit der Erinnerung an Napoleon ausgesprochen schwer.

Im 200. Erinnerungsjahr, 2009, wurde in Bayern der historischen Ereignisse mit zahlreichen, im Geist des Friedens stehenden Veranstaltungen gedacht, "in Feiern" wie der bayerische Landesdenkmalpfleger Egon Greipl sagte, "von großem Ernst und großer Würde, in Werken der Versöhnung". Wie wenig sich die Verantwortlichen der Stadt Regensburg hingegen mit einer im Geist des Friedens stehenden und an den historischen Tatsachen orientierten Erinnerungskultur befassen wollten, zeigt eine dort in ein denkmalgeschütztes Tor nachträglich gemeißelte Inschrift. Dieser äußerst umstrittene Behördenakt bildete den einsamen Negativhöhepunkt der zahlreichen Gedenkveranstaltungen.

Allein die Vorgeschichte, die dazu geführt hatte, trägt Züge einer skurrilen Politkomödie, die allerdings in der Realität vor den Augen der Öffentlichkeit aufgeführt wurde. In Zusammenarbeit mit dem Historiker Marcus Junkelmann stellte das Bayerische Fernsehen mit einigen Chevaulegers-Uniformdarstellern zu Pferd und natürlich mit einem Napoleon-Darsteller zwischen dem 19. April und dem 24. April 2009 den Ritt Napoleons 200 Jahre zuvor nach, den ich als Fotograf dokumentieren durfte.

Unter Leitung Junkelmanns führte der vom Bayerischen Fernsehen eine Woche lang gesendete Weg über die Originalschauplätze von Ingolstadt über Abensberg, Landshut, Eggmühl nach Regensburg. Während die Zusammenarbeit mit sämtlichen Städten hervorragend war und es in Landshut sogar eine Polizeieskorte für "Napoleon" und einen großen Empfang vor dem Rathaus durch den Oberbürgermeister gab, stellte sich Regensburg komplett quer und verweigerte aus Sicherheitsgründen die Genehmigung, über die Steinerne Brücke zu reiten.

Wohlgemerkt über jene Brücke, die ja für Reiter gebaut worden und über die man 800 Jahre lang geritten war, über die bis 1997 offiziell der Verkehr und bis 2008 der Linienbusverkehr, Taxis und Lieferfahrzeuge rollten. Die Sperrung erfolgte dann, nachdem ein Busfahrer gegen das Brückengeländer gefahren war und ein behördliches Gutachten feststellte, dass die Brüstung dem Aufprall eines weiteren Busses möglicherweise nicht standhalten würde. Folgt man der behördlichen Logik, so hätte es ja passieren können, dass das Geländer dem Aufprall eines der fünf Pferde nicht standgehalten hätte ... Erst als die Presse die behördliche Schmonzette aufgriff und die Berichterstattung "viele Menschen in ganz Deutschland zu belustigen" begann, wurde die Genehmigung im letzten Moment doch noch erteilt, nicht aber, ohne dass dies einigen Amtsträgern gehörig aufgestoßen wäre, wie die weiteren Ereignisse zeigten.

Die Reiter überquerten am 24. April auf dem Rücken ihrer Pferde die Steinerne Brücke, allerdings mit den peinlichen Auflagen, dass die Pferde von einem Begleiter ständig am Zügel zu führen seien (damit sie nicht doch noch gegen das Brückengeländer prallten) und die Pferdeäpfel auf dem Weg durch die Stadt und die Brücke an Ort und Stelle unmittelbar aufzuschippen seien - was dann, abweichend von meiner eigentlichen Aufgabe, ich übernahm.

In Stadtamhof angekommen, gab es ein großes Volksfest und einen Empfang durch den historischen Verein, "Napoleon" wurde ein großer Bierkrug auf das Pferd gereicht. Das Pylonentor war verhangen, "Napoleon" sollte dort eine an die historischen Ereignisse gedenkende Inschrift enthüllen. Als er den Vorhang von der Inschrift hob, staunte er nicht schlecht (was er wohl auch sollte), denn es stand dort in Stein und Versalien gemeißelt zu lesen: "1809 SCHRECKENSTAGE DURCH NAPOLEON IM GEDENKEN AN DIE OPFER". Fast unmittelbar darauf flogen die Fetzen, und es entbrannte ein lautstarker Streit, bei dem unter anderem die Worte Marcus Junkelmanns fielen, "dass dies Konsequenzen haben werde".

Tatsächlich urteilten zahlreiche Historiker in einer Stellungnahme, dass die Inschrift auf Grundlage der geschichtlichen Quellen in dieser Form objektiv überprüfbar falsch ist: Nicht Napoleon hatte den Krieg von 1809 begonnen, sondern die österreichische Armee war in Bayern einmarschiert. Nicht die Franzosen hatten Stadtamhof, wo sich die Inschrift befindet, in Schutt und Asche gelegt, sondern die österreichische Artillerie. Nicht die Franzosen hatten in Stadtamhof willkürlich einen Zivilisten ermordet und einen anderen zum "Krüppel" geschossen, sondern Angehörige der österreichischen Kavallerie. Auch der Teil Regensburgs, der niedergebrannt war, war nicht durch französische, sondern überwiegend durch bayerische Kanonen in Brand geschossen worden.

Zwar hatten nachweislich französischen Plünderungen in Regensburg stattgefunden; diese hätte es im kausalen Kontext allerdings ohne den österreichischen Angriffskrieg niemals gegeben. Dass es den ganzen Krieg ohne das englische Engagement niemals gegeben hätte, spielte gar keine Rolle. Marcus Junkelmann bezeichnete die Inschrift vollkommen zutreffend als "in Stein gehauene Geschichtsfälschung".

Der Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Egon Greipl, kommentierte, "dass der sachlich falsche Inschriftentext der Geschichte nicht gerecht werde und für ein nationales, antifranzösisches Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts stehe". Der Präsident der französischen Gesellschaft "Le Souvenir Napoléonien", Christian Fileaux, sagte, die Inschrift erinnere ihn in ihrer Formulierung an Opfer des Dritten Reiches und fügte hinzu: "Was ich sehr beklage, sind die Parallelen, die zu Hitler gezogen werden. Das ist eine Missachtung der Geschichte. Napoleon hat niemals im Sinne gehabt, ein Volk auszulöschen. Er hat sich für religiöse Toleranz eingesetzt."

Auch wenn der leidige Hitler-Vergleich wieder in die andere Richtung übers Ziel hinausschießt, ist der Text dem bayerischen Generalkonservator Greipl zufolge tatsächlich einer Rede entlehnt, die der Lokalschuldirektor Johann Hiederer in den besten Tagen der Erbfeindschaft 1909 bei einer "ziemlich franzosenfeindlichen Gedenkansprache vor dem Katholischen Männerverein Stadtamhof gebraucht hat".

All dieser berechtigten Proteste zum Trotz weigerten sich die Verantwortlichen hartnäckig, den Fehler einzuräumen, geschweige denn, ihn zu revidieren, was allein schon technisch nicht so einfach war, da das Besagte nicht auf einer Tafel stand, die leicht abzuhängen gewesen wäre, sondern eben in Stein gemeißelt war. Hinzu kommt, dass die solcherweise fast irreparable Inschrift offensichtlich ohne die Genehmigung der obersten bayerischen Denkmalbehörde in das Tor gehauen worden war, was natürlich ebenfalls keine Konsequenzen hatte.

Vielmehr setzte die Stadt alle erdenklichen Hebel in Bewegung, um die Angelegenheit effizient totzuschweigen: Eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Kulturreferenten Klemens Unger verlief im Sande, der offizielle Antrag eines Stadtrates an die Stadtverwaltung, zu erklären, inwieweit sie in die Inschrift involviert sei, wurden ebenso abgelehnt wie mehrere Aufforderungen, diese zu überarbeiten oder darüber eine Tafel anzubringen, die die Dinge richtig gestellt hätte.

Stattdessen wurden "in einer konsequenten Ermattungsstrategie alle Hebel in Bewegung gesetzt", so Junkelmann, "eine Aufarbeitung des Themas zu verhindern in der nicht unbegründeten Hoffnung, irgendwann würden die Wutausbrüche der Gegner verpuffen und Medien und Öffentlichkeit sich anderen Themen zuwenden". Im Gegenteil zu dem, was der französische Botschafter beim Internationalen Napoleon-Kongress in Wien 2018 sagte, "dass das, was Demokratie ausmache, die Fähigkeit sei, über Geschichte zu diskutieren", wurde ohne Angabe von Gründen ein wissenschaftliches Symposium, bei der das Thema aufgearbeitet werden sollte, von der Stadt abgesagt.

Nachdem der Druck durch Presse und Öffentlichkeit dann zu groß wurde, kamen die Verantwortlichen nicht ganz umhin, sich zu Wort zu melden. Im Regensburger Wochenblatt rechtfertigte Kulturreferent Klemens Unger die Inschrift mit dem Argument, dass die Franzosen am 19. April ein "Gemetzel an 800 Österreichern und Zivilisten" verübt hätten, was, wie der Historiker Junkelmann dezidiert nachwies, völliger Nonsens war (...). Der vor einiger Zeit in eine Korruptionsaffäre verwickelte und vom Dienst suspendierte Bürgermeister Joachim Wolbergs stellte sich dessen ungeachtet vor seinen Kulturreferenten und sagte der Mittelbayerischen Zeitung: "Unger hat sich korrekt verhalten (...). Die Inschrift bringt uns nicht um."

Woraufhin Junkelmann entgegnete: "Woher der Bürgermeister weiß, dass der Kulturreferent sich 'korrekt' verhalten hat, ist wohl nur auf den instinktiv kumpelhaften Schulterschluss krisenbewährter Kommunalpolitiker zurückzuführen. Die Wörter "durch Napoleon" hat ganz offensichtlich erst der Kulturreferent hinzugefügt, um seinem manischen Franzosenhass Ausdruck zu geben." Neben dem Verbauen eines historischen Stadtgrabens stellt sich angesichts des skandalösen Umgangs mit einem Baudenkdenkmal die Frage, inwiefern der Status eines Weltkulturerbes von Regensburg gerechtfertigt ist. Eine aufgrund der Inschrift im Pylonentor zu führende Diskussion darüber wäre durchaus angebracht und würde, um bei den Worten des vormaligen Oberbürgermeisters Wolbergs zu bleiben, "uns nicht umbringen".

Thomas Schuler, Jahrgang 1970, ist Historiker und Autor. Sein Buch "Auf Napoleons Spuren - Eine Reise durch Europa" erscheint am 28. August 2019 im C.H. Beck Verlag. Begleitend bietet Schuler persönliche Führungen an. In München: 1.9., 22.9., 6.10., je 11 und 15 Uhr, Treffpunkt Karlstor; in Regensburg: 14.9., 2.11., 11 und 15 Uhr (19.10. entfällt), Treffpunkt Café am Peterstor; Augsburg: 21.9. und 28.9., 10, 14 und 18.30 Uhr. Treffpunkt: Wertachbrucker Tor, www.aufnapoleonsspuren.de

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Quelle:
SZ vom 28.08.2019
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