SZ-Serienstart: Wem gehört die Kunst?:Hier die Güter, da das Gute

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Antoinette Maget Dominicé erhält die erste Professur für Provenienz-Forschung in Bayern. Schon der Festakt zu ihrem Antritt zeigt, in welchem politischen und wirtschaftlichen Spannungsfeld sich die Schweizerin bewegt

Von Susanne Hermanski

Böse Zungen behaupten, die neue Stelle von Antoinette Maget Dominicé sei eine "Schlechte-Gewissens-Professur". Sie ist die erste Professorin für "Werte von Kulturgütern und Provenienz-Forschung" in Bayern, angesiedelt an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. In Hamburg und Bonn wurden dieses Jahr vergleichbare Positionen für Provenienzforscher geschaffen. Ganze zwei Jahrzehnte nachdem die Bundesrepublik die "Washingtoner Erklärung" unterzeichnet hat, in der sie eigentlich bereits versprochen hat, für "die Auffindung und die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz" zu sorgen. Geschehen war lange Zeit wenig.

Die staatlichen Museen hatten dafür keine speziellen Stellen, der Kunsthandel machte weiter wie ehedem, die Kunsthistoriker wurden dafür nicht entsprechend ausgebildet. Bis vor exakt fünf Jahren ein scheppernder Skandal den Stein doch ins Rollen gebracht hat, und dies von München aus: der Fall Gurlitt. Um die ganze Welt ging am 3. November 2013 die im Focus veröffentlichte Nachricht vom später so betitelten "Schwabinger Kunstfund". Hunderte Bilder von Raubkunst sollten sich darin befinden. Der Verdacht bestätigte sich bei weitem nicht. Aber was neben dem damit verbundenen deutschen Justizskandal blieb, ist das virulente Interesse an Herkunftsfragen von Kunstwerken und Artefakten. Egal, ob sie in Staatlichen Museen oder bei privaten Sammlern hängen, oder ob jemand versucht, sie etwa über ein Auktionshaus zu verkaufen.

In der Ludwig-Maximilians-Universität wurde Antoinette Maget Dominicé als erste Professorin für Provenienzforschung in dieser Woche mit einem Festakt geehrt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die 38-jährige Antoinette Maget Dominicé will ihre Professur freilich nicht als Feigenblatt für früher Versäumtes verstanden wissen. "Ich finde, wir müssen weg von diesem moralischen Ansatz über Gut und Böse zu befinden", sagt sie. Das verstelle den Blick auf die Fakten. "Wir müssen die Vergangenheit erforschen, nicht beurteilen. Denn über Verhaltensweisen, die früher gang und gäbe waren, empört man sich heute." Wie unterschiedlich auch von Land zu Land oder von einer wissenschaftlichen Disziplin zur anderen über bestimmte Sachverhalte geurteilt wird, weiß sie aus eigener Erfahrung. Sie ist gebürtige Schweizerin, hat in Wien gerade ein Praktikum an der Österreichischen Galerie im Belvedere gemacht, als Maria Altmann von diesem Museum 2006 fünf Gemälde von Gustav Klimt aus dem Besitz ihres Onkels zurückgegeben werden. Daraufhin entscheidet sie sich, zusätzlich zur Kunstgeschichte Jura zu studieren. Sie promoviert also doppelt, auch in der Rechtswissenschaft, und ist in Frankreich als Rechtsanwältin zugelassen.

Bis zu ihrer Berufung an die LMU im April dieses Jahres war die Mutter von vier Kindern Oberassistentin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern und zuvor unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut national du patrimoine in Paris, tätig. Über den Stand der Provenienzforschung i ihrer Heimat sagt sie: "Die Schweiz fördert Forscherstellen auch erst seit der Gurlitt-Schenkung ans Museum Bern - und dies nur im Bezug auf die NS-Zeit."

Der Schwerpunkt ihrer eigenen Forschungen liegt bislang nicht im Bereich von "NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut" - ganz anders als bei einigen ihrer Konkurrentinnen, die sich ebenfalls um die neue Stelle an der LMU beworben hatten. Maget widmet sich vielmehr der Verflechtungsgeschichte von Sammlungen der großen Museen. Ihre Dissertation hat sie zu den Sammlungen ägyptischer Altertümer in Paris, London und Berlin geschrieben. Auch hat sie sich mit Objekten auseinandergesetzt, die Napoleon von seinen Feldzügen aus dem Rheinland mit nach Frankreich nahm. Ihr besonderes Interesse gilt aber der Beziehung von materiellen und immateriellen Gütern. So fragt sie etwa, wodurch ein Kunstwerk oder ein anderes Kulturgut nationale Bedeutung gewonnen hat, und wie dies in den jeweiligen Gesellschaften zu ermitteln wäre. "Die detektivische Arbeit, die viele andere Provenienzforscher haben, der Kette von Besitzern eines Objekts nachzugehen, mache ich nicht mehr", sagt sie.

Zu ihrem Antrittsfest kommt denn auch ein EU-Gesandter, der die Bedeutung von Kulturgütern für ganze Wirtschaftszweige unterstreicht. Und ein Blick auf das Grußwort, das der Chef des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste Magets Bonner Kollegen vergangene Woche schickte, verdeutlicht wie weit das Feld ist, auf dem sie alle arbeiten sollen: "Das NS-Raubgut wird stets die Hauptsache bleiben, aber es kommen hinzu: Die Enteignungen in Sowjetisch besetzter Zone und DDR, die Wege und der Verbleib von Beutekunst nach Russland oder in die Ukraine und in andere Länder. Gar nicht zu reden von den Objekten aus deutscher Kolonialzeit."

Vor der Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin wird gerade das Kolonialerbe besonders heiß diskutiert. Antoinette Maget Dominicé hat eigene Vorstellungen, wie man Ursprungsgesellschaften gerechter beteiligen könnte. Doch um die umzusetzen bräuchte es Zeit. Keine zwanzig Jahre vielleicht, aber ihre Juniorprofessur ist, wie alle dieser Art, zeitlich begrenzt: auf drei Jahre, mit einer Option auf weitere dürre drei Verlängerung.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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