SZ-Serie: Wem gehört die Kunst?:Hitlers Kunstverteiler

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Der Dresdner Hans Posse war ein hoch angesehener Museumsmann. Seine Tagebücher helfen jetzt bei der Provenienz-Forschung

Von Sabine Reithmaier, Nürnberg

Die Erwartungen der Museumschefs waren groß. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass Hitler plante, beschlagnahmte jüdische Kunstsammlungen als sogenannte "Führerspenden" auf Museen in "Großdeutschland" zu verteilen. "Eine Art Gegenprogramm zur Aktion ,Entartete Kunst'", sagt Birgit Schwarz, ein Versuch, Hitlers Image als Museumsmäzen zu verbessern, das durch die "Säuberung" der Einrichtungen von avantgardistischer Kunst doch etwas gelitten hatte. Die promovierte Kunsthistorikerin hat sich ausgiebig mit dem Raubkunst-Verteilungskonzept beschäftigt, mit dem der Diktator als Kunstförderer in die Geschichte eingehen wollte. Ihm hilfreich zur Seite stand ein großer Stab an Fachleuten in Österreich und Deutschland. "Die Museumsexperten wussten alle Bescheid, sie waren involviert. Auch in München", sagt Schwarz.

Birgit Schwarz, seit 20 Jahren in Wien lebend, ist Fachfrau auf dem Gebiet der NS-Kunstpolitik. Im Vorjahr veröffentlichte sie ein Buch über Kunstraub und Museumspolitik im Nationalsozialismus ("Hitlers Sonderauftrag Ostmark", Böhlau Verlag). Seit zwei Jahren arbeitet sie im Auftrag des Kunstarchivs im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg an einer kommentierten Edition der fünf Reisetagebücher von Hans Posse, Hitlers Sonderbeauftragten für die Kunstverteilung. Basis für das Vorhaben des Diktators, die Museen mit "guter" historischer Kunst auszustatten, waren beschlagnahmte jüdische Sammlungen. Hitler hatte sich nach der Einverleibung Österreichs ins Deutsche Reich in einem Schreiben vom 8. Juni 1938 ausdrücklich das Recht ausbedungen, über die Verteilung der konfiszierten Kunstwerke persönlich zu entscheiden. Um seinen "Führervorbehalt" umzusetzen, benötigte er jemanden, der die Bestände systematisch sichtete und kunsthistorisch professionell ordnete. Er fand ihn in Hans Posse, Direktor der Gemäldegalerie Dresden, ein hoch angesehener, gut vernetzter Museumsmann, der mit Hitler genauso gut umzugehen verstand wie mit seinen Kollegen. Seine Notizbücher sind nun ein Glücksfall für die Forschung. "Wir erfahren dadurch Dinge, die aus der Korrespondenz nicht greifbar sind", sagt Schwarz. Posse hatte die Hefte nur für den eigenen Gebrauch vorgesehenen. "Hätte er den Zweiten Weltkrieg überlebt, hätte er sie vernichtet", glaubt Schwarz. Aber da er Ende 1942 überraschend schnell an Krebs starb, blieben sie erhalten.

Die Tagebücher zu entziffern ist nicht leicht. Posse schrieb meist mit Bleistift vor Ort, oft direkt in den Raubkunstdepots, die Handschrift fahrig und verblasst. Von 1938 an hatte ihn Hitler beratend herangezogen, wenn es um den Kauf von Exponaten für seine eigene Sammlung ging. Vom geplanten "Führermuseum" in Linz erfuhr der Dresdner Museumschef erst, als ihn Hitlers Architekt Albert Speer im Juni 1939 auf den Obersalzberg beorderte und ihn Hitler dort mit dem Sonderauftrag Neues Museum betraute. Posse notierte: "Das Linzer Museum soll nur das beste enthalten aus allen Zeiten (beschlagnahmter Besitz, alter Bestand, Neuerwerbungen)." Was nicht nach Linz ging, sollte als "Führerspende" an Museen verteilt werden, erst in Österreich, dann in Deutschland.

Adolf Hitler in der Dresdner Gemäldegalerie am 18. Juni 1938. Die handschriftlichen Notizen stammen von Hans Posse. (Foto: Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv)

Dass das Projekt in Österreich seinen Anfang nahm, erklärt Schwarz mit zwei Faktoren: Zum einen gab es nirgendwo im Deutschen Reich so bedeutende Kunstsammlungen wie in Wien. Zum anderen waren die allermeisten im Besitz von Juden. Aufgrund eines Denkmalschutzgesetzes von 1923, das die unkontrollierte Ausfuhr von Kunstsammlungen verbot, hatten die Sammler keine Möglichkeit, ihre Kollektionen ins Ausland zu bringen.

Es ist aufschlussreich, in Schwarz' Buch nachzulesen, wie sehr sich die Museumsleute bemühten, die Chance zum Ausbau der eigenen Bestände zu ergreifen, wie wenig es sie interessierte, dass es sich um geraubtes jüdisches Eigentum handelte. Dass sie dadurch zu Kollaborateuren und Tätern wurden, störte sie nicht. Im Gegenteil, Fritz Dworschak, damals Direktor des Kunsthistorischen Museums in Wien, lobt sich in einem Brief an den Reichsstatthalter ausgiebig, dass er in Zusammenarbeit mit der Gestapo "den ehemals jüdischen Kunstbesitz in der Ostmark - man kann sagen - fast restlos dem Reiche gesichert" habe. Unvorstellbar ist für ihn, dass Werke aus der Sammlung Louis Rothschilds nicht in Wien bleiben, sondern an Museen in der Provinz verteilt werden sollten.

Die erste von vielen Dienstreisen Posses führte nach München. Dort sichtete er die Exponate, die Hitler bereits in den "Führerbau" an der Arcisstraße hatte bringen lassen, legte fest, was ins künftige "Führermuseum" nach Linz sollte und was in andere Häuser. Zwei Abende verbrachte Posse mit Ernst Buchner, dem Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Bald wussten alle in der Szene Bescheid über Posses Mission. Er konnte sich vor begehrlichen Anfragen kaum retten. Alfred Wolters von der Städtischen Galerie in Frankfurt hatte von der Beschlagnahmung der Pariser Rothschildsammlungen erfahren. Da er vermutete, dass sich darunter "allerlei befindet, das erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Besitz der Frankfurter Rotschilds nach Paris kam", bat er Posse um deren Zuteilung. Heinrich Kohlhaußen, Direktor des Germanischen Nationalmuseums, interessierte sich für Teile aus der Sammlung Fritz Mannheimers, die Hitler 1941 in den Niederlanden für wenig Geld aufkaufte. Kohlhaußen listete nach Sichtung der Sammlung seine Wünsche akribisch auf. Brauchen konnte er vieles, auch Meißner Porzellan, weil die eigene Porzellansammlung "kläglich" ist.

Erstaunlich, dass Hitler Zeit fand, Posses Listen zu kontrollieren, gelegentlich auch zu widersprechen und Korrekturen zu verlangen. 1940 erfolgte die erste Verteilung an die Museen. Obwohl die Häuser alles gratis erhielten, reagierten einige Direktoren maulig in dem Gefühl, zu kurz gekommen zu sein. 1941 beschloss Hitler auf Initiative seines Sonderbeauftragten, weitere Verteilungen auf die Zeit nach dem Krieg zu verschieben. Daher konnte Posse auf eine weitere Anfrage aus Nürnberg antworten: "Nach der mir erst vor 14 Tagen bekannt gegebenen Entscheidung des Führers können solche Wünsche aber nicht vor Kriegsende berücksichtigt werden. Bis dahin müsste man sich also gedulden." Die Wunschlisten wurden trotzdem länger.

Die Kunsthistorikerin Birgit Schwarz arbeitet seit zwei Jahren im Auftrag des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg an einer Edition der Reisetagebücher von Hans Posse. (Foto: U. Niemeth)

Warum Hitlers Förderprogramm für die Museen bislang in der NS-Forschung noch nicht adäquat wahrgenommen wurde, erklärt sich Birgit Schwarz mit der fehlenden, propagandistischen Verwertung. Die "Führerzuweisungen" liefen unter Geheimhaltung ab. Erst für die Zeit nach dem Krieg war eine Propagandakampagne geplant. Und nach 1945 galt das allgemeine Interesse einzig der entarteten Kunst, die aus den Museen entfernt worden war. Eine gute Gelegenheit für die Museen, sich ausschließlich als Opfer der NS-Kunstpolitik darzustellen.

Birgit Schwarz: Hitlers großdeutsche Museumspolitik und der Kunstraub in Bayern ; Vortrag, Mittwoch, 13. März, 18.15 Uhr, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Str. 10

© SZ vom 12.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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