SZ-Serie: Podcasts aus München, Folge 5:Niederschwellig zur Hochkultur

SZ-Serie: Podcasts aus München, Folge 5: Regisseur Rüping, wie ihn die Podcast-Macher sehen.

Regisseur Rüping, wie ihn die Podcast-Macher sehen.

(Foto: Illustration: Charlotte Ehrlicher)

Unter dem Motto "Verriss und Vorurteil" plaudern zwei Journalisten mit Gästen über das Theater. Snobismus hat hier keinen Platz

Von Christiane Lutz

In der Folge mit Christopher Rüping ist dem Moderator ein kleiner Fehler passiert. Er behauptet, es sei ein Rabe gewesen, der einst von der Leber des am Felsen festgeketteten Prometheus genascht habe. "Ein Adler", korrigiert Regisseur Rüping. Der Moderator fühlt sich blamiert und möchte den Fehler gern rausschneiden. "Drinlassen! Drinlassen!", sagt Rüping, ein unverstellter Moment! So etwas hätten Benedikt Mahler und Maximilian Sippenauer zu Beginn ihrer Arbeit am Podcast "Verriss und Vorurteil" rausgeschnitten. Inzwischen trauen sie sich, Dinge auch mal unperfekt stehen zu lassen.

"Verriss und Vorurteil" ist nicht, wie der Name vermuten lässt, ein Kritik-Podacst, sondern ein Theater-Interview-Podcast mit Gästen aus der Szene. Matthias Lilienthal war schon da, Wiebke Puls, Thomas Loibl, die gehörlose Performerin Kassandra Wedel oder eben auch Christopher Rüping, erfolgreicher Hausregisseur der Kammerspiele. Hinter "Verriss und Vorurteil" stecken die Kulturjournalisten Benedikt Mahler, Maximilian Sippenauer und Anna Landefeld, alle um die 30. Mahler und Sippenauer kam die Idee zum Podcast, weil sie das Gefühl hatten, dass in den Medien zu wenig einfach so über Theater geredet würde, "jenseits der klassischen Kritik oder des Promo-Interviews vor einer Premiere", sagt Sippenauer. Im Podcast wollen sie genau das tun, möglichst niedrigschwellig. "Das Theater-Milieu ist eine extreme Blase, die sehr speziell vor sich hin problematisiert. Das hat mich schon immer genervt", sagt Sippenauer. Was sie daher im Podcast vermeiden wollen: zu viel Namedropping, zu viel "exklusiven Blasen-Talk". Das einzige, was "verrissen" und "vervorurteilt" werden soll, sei jegliche Art von Kultur-Snobismus. Mit Wiebke Puls reden sie also ganz praktisch übers Weinen auf der Bühne, mit Kassandra Wedel über das Fühlen der Musik, wenn man sie nicht hören kann.

Mahler und Sippenauer richteten ein kleines Studio ein - sie kennen sich dank langjähriger Arbeit beim Radio mit der Technik aus - und sendeten Ende April die erste Folge. Anfangs glaubten sie, der Podcast bräuchte wiederkehrende Stilelemente, die das Zuhören spannender machen. Stimmt nicht, stellte sich heraus, wichtig sei nur die gründliche Vorbereitung auf den Gast und eben den Mut zum Fehler, den Mut zum "Ähm". Es gibt jedoch kleine Einspieler, in denen die dritte in der Runde, Anna Landefeld, die Gäste in so unterhaltsamen Sätzen vorstellt wie: "Christopher Rüping bleibt cool, will nicht der offizielle Theater-Jesus sein, gerade so, als traue er dem Abgekulte nicht ganz. Denn ist er nicht eigentlich ein Entkultifizierer? Einer, der den Messias vom Kreuz holt."

Theaterpodcasts gibt es wenige in Deutschland, zu klein ist wohl die Nische derer, die sie hören würden. Einige Theater machen hauseigene Podcasts, in denen aber vor allem Dramaturgen neue Produktionen erklären. Das Kritik-Portal Nachtkritik hat einen, und in dem ebenfalls unabhängigen Podcast "Klima der Angst" sinnieren ein Künstler und ein Kritiker bei einer Flasche Wein übers Theater. "Verriss und Vorurteil" wird wohlwollend aufgenommen, der Podcast hat Hörer aus ganz Deutschland. Gäste zu gewinnen, sei leichter als gedacht. Offenbar haben Künstler Lust, jenseits großer Medien ausführlich über sich und ihre Arbeit zu sprechen.

"Wir lernen in diesen Gesprächen total viel über Theater und über die Menschen", sagt Sippenauer, das sei der eigentliche Antrieb hinter diesem Projekt. Denn "Verriss und Vorurteil" ist ein Hobby, alle Kosten übernehmen die drei Macher selbst. Wenn sie nach Memmingen fahren, um eine Schauspielerin über Theater in der Provinz zu interviewen, zahlt das niemand. Sie bespielen Instagram und Twitter, das ist zwar nicht teuer, aber zeitaufwendig. Die hübschen Illustrationen für Spotify macht eine befreundete Grafikerin. Klar wäre es schön, wenn sich mal ein Radiosender fände, aber ihr Ziel ist das momentan nicht. Im November wird es erst mal eine Zusammenarbeit mit dem Spielart-Festival geben. Folgen mit den Regisseuren Ersan Mondtag und Anta Helena Recke sind auch schon geplant, auf Sippenauers ellenlanger Wunschliste stehen aber noch große Namen wie Sophie Rois und Sibylle Berg. Oder mal jemanden, sagt Sippenauer, der das Theater so gar nicht leiden kann, zum Streiten.

Verriss und Vorurteil steht zum Download auf Spotify und iTunes sowie unter der Adresse www.verrissundvorurteil.de

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