Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Kultur-Podcasts aus München, Folge 1:Charme ohne Scham

"Die Sebastians" unterhalten sich mit Menschen aus der kreativen Szene Münchens. Ihre Beiträge im Netz sind manchmal witzig, oft selbstironisch und immer unterhaltsam

Von hanna emunds

Eigentlich ist Francis Kioyo an allem Schuld. Am Abstieg des TSV 1860 München sowieso, als er als Stürmer 2004 den entscheidenden Elfmeter gegen Hertha BSC Berlin verschoss. Auch wenn das seine fußballerische Karriere für immer zeichnete, muss man dem Spieler eines zugutehalten: Er hat auch dazu beigetragen, dass Sebastian Glathe und Sebastian Heigl einen Kulturpodcast mit dem cleveren Namen "Die Sebastians" machen.

Und das kam so: Der Radiosender M94.5, bei dem beide arbeiten, feierte 2017 eine Party. Sebastian Heigl hatte gerade seine frühere Podcast-Kollegin an die USA verloren und war nun auf der Suche nach Ersatz, damit das Herzensprojekt Podcast nicht verkümmerte. Aber wie? Auftritt Sebastian Glathe: "Mir scheißegal, was das Konzept dieses Podcasts ist, ich hab eine supergeile Idee." Die Idee war eine etwa einstündige Sendung über jenen Stürmer Francis Kioyo. Gesagt, getan, auch wenn sich Heigls Sportbegeisterung und Fußballkenntnisse eher in Grenzen halten. Das Thema Fußball setzte sich nicht durch, die Idee, gemeinsam einen Podcast zu machen, blieb.

Natürlich könnten jetzt fiese Stimmen behaupten, dass Münchens kulturelle Szene nicht unbedingt noch zwei überselbstbewusste Typen braucht, die glauben, ihre selbstdarstellerischen Tendenzen auditiv für die Nachwelt festhalten zu müssen. Stimmt natürlich irgendwie, aber auf "Die Sebastians" trifft das nur bedingt zu. Für jede Folge laden sie sich einen Gast aus Münchens kreativen Kreisen ein. Daniel Hahn vom Bahnwärter Thiel war da, Nina Vogl vom Münchner Veranstaltungsblog "Mit Vergnügen" oder Simon Ruane vom Youtube-Kanal "Open Mind".

Das hört sich dann teilweise so an, als hätten sich Jan Böhmermann und Olli Schulz in ihren Podcast "Fest und Flauschig" Gäste eingeladen. Aber den "Sebastians" geht es nicht nur ums "Labern", auch wenn sie das ziemlich gerne tun, wie sie nicht ohne Stolz offen zugeben. "Wir wollen zeigen: Es gibt auch Jobs im künstlerischen, im Medien- oder Szene-Bereich, die sind wertvoll, wo du was leisten kannst und nicht ums Hungerbrot kämpfst", erklärt Heigl die Auswahl ihrer Gäste. "Es gibt halt nicht nur dieses sicherheitsbewusste Studier-irgendwas-mit-Wirtschaft, sondern es gibt auch andere coole Sachen, von denen man leben kann", fügt der andere Sebastian hinzu.

Auch wenn Glathe und Heigl sich ihre Fragen in den Interviews manchmal gegenseitig beantworten und ihre Gäste etwas sprachlos zurücklassen - wenn beispielsweise Sebastian Glathe im Interview den DJ André Dancekowski fragt: "Kann München Disco?", dann antwortet Sebastian Heigl: "Ja, München hat Disco erfunden." - ist das ganze so unterhaltsam und witzig, dass der Zuhörer manchmal ein paar Sekunden zurückspulen muss, weil das Gespräch im eigenen Lachen untergegangen ist. Man merkt, den beiden macht Spaß, was sie da tun; das alles ist auch nur halb ernst gemeint. Und irgendwie ist das ansteckend. Das Konzept geht auf, seit dem 14. August gibt es die dritte Staffel der "Sebastians" zu hören - und zu sehen. Während die erste Staffel noch als klassischer Podcast nur als Audiodatei zu hören war, dachten sich die beiden für die zweite Staffel etwas Neues aus. Die Interviews wurden jetzt auch auf Video aufgezeichnet und können bei Youtube angeschaut werden - das ganze erinnert ein bisschen an eine Late-Night-Show mit Jimmy Kimmel, nur eben in doppelter Ausgabe. Parallel dazu ist das selbe Gespräch dann noch mal als Audio-Podcast zu hören.

Für die dritte Staffel nun wieder ein etwas verändertes Konzept. Audio bleibt das Medium "für die Inhalte". Die Videos wurden für die kurze Aufmerksamkeitsspanne des durchschnittlichen Youtube-Zuschauers auf zehn bis 15 Minuten gekürzt und bieten nur "eiskaltes, abgewichstes Entertainment". An die derbe Ausdrucksweise muss sich der empfindsamere Zuhörer erst gewöhnen, denn das ist der, manchmal auch nicht so unterschwellige Ton des Podcasts. Trotzdem: Alle Folgen wirken hochwertig produziert, so als wäre das nicht erst die dritte, sondern mindestens die zehnte Staffel. Als wären die beiden nicht zwei Studenten in ihren Zwanzigern, sondern Profi-Podcaster. Besonders die Videos, Einspieler und das Design wirken professionell, sie werden in Kooperation mit M 94.5 und der Mediaschool Bayern produziert. Das Intro zur neuen Staffel sieht ein bisschen so aus, als hätte sich die Marketingabteilung eines eingestaubten Zigarettenherstellers gedacht, dass jetzt mal wieder die jüngere Generation zum Rauchen animiert werden soll: hippe Jungs, Rooftop-Atmosphäre, Sonnenuntergangsstimmung, Musik, Bier und Kippe. Alles absolut ironisch, versteht sich.

In Netz zu finden: sebastians.podigee.io, außerdem bei Youtube, Spotify, Facebook, Instagram

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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