SZ-Serie: Ganz persönlich, Folge 1:Im Schatten der Basilika

Mitten in Ottobeuren steht das "Museum für zeitgenössische Kunst - Diether Kunerth". Inzwischen sind hier auch andere Künstler zu sehen als der Namensgeber, aktuell Markus Lüpertz

Von Sabine Reithmaier

N: Fassade

Die Rückseite des "Museums für zeitgenössische Kunst - Diether Kunerth" gibt einen schönen Kontrast zur Basilika.

(Foto: Roland Halbe, VG Bildkunst Bonn 2019)

Diether Kunerth steht im Foyer und plaudert mit den Damen an der Kasse. Zum ersten Mal in der Geschichte "seines" Museums muss er damit fertig werden, dass kein einziges seiner Gemälde in dem nach ihm benannten Haus hängt. Eine Premiere sozusagen, die für den Maler und Bildhauer nicht einfach zu verkraften ist. Auch wenn der bald 80-Jährige nicht viel dazu sagt, sondern lieber von den Bildern erzählt, die er unbedingt noch malen muss.

Dafür strahlt der Museumsleiter. Markus Albrecht ist glücklich über die Ausstellung "Et in Arcadia ego" (bis 11.8.). Es sei ein Glücksfall, dass Markus Lüpertz bereit gewesen sei, hier auszustellen, sagt er. Wobei: zumindest was das Gebäude betrifft, dürfte die Entscheidung so schwer nicht gefallen sein. Denn das "Museum für zeitgenössische Kunst - Diether Kunerth" ist ein beeindruckender Bau, mitten im Ortskern von Ottobeuren, entworfen vom Atelier Lohrer aus Stuttgart. Dort wo früher Bier abgefüllt wurde, steht ein schlichter weißer Kubus als bewusst gesetzter Kontrast zur Barockbasilika. Die leicht gewölbte, mit Metall verkleidete Eingangsfassade schimmert in silbrigen und goldbronzenen Tönen, während den Besucher innen eine zurückhaltende, ruhige Betonwelt empfängt. Lüpertz' grafisches Werk kommt hier auf zwei Ebenen hervorragend zur Geltung kommt.

SZ-Serie: Ganz persönlich, Folge 1: Diether Kunerth.

Diether Kunerth.

(Foto: Museum für zeitgenössische Kunst)

4,7 Millionen Euro hat der Bau gekostet, überwiegend aus öffentlichen Geldern finanziert. Inzwischen hat das Haus die ersten fünf Jahre überstanden, ein Zeitraum, in dem man mehr als einmal den Eindruck hatte, das ambitionierte Projekt würde scheitern. Zu vieles hatten die Verantwortlichen völlig falsch eingeschätzt. Als ein Irrtum erwies sich zum Beispiel die Annahme, dass ein großer Teil der Basilikabesucher auch im Museum vorbeischauen würden. Ebenso irrig war der Glaube der Marktgemeinde, der ehrenamtlich wirkende Diether-Kunerth-Förderverein werde die Ausgaben für den laufenden Museumsbetrieb mit Eintritts- und Sponsorengeldern schon schultern. Diese falsche Prämisse verstärkte Kunerth, da er allerorten verkündete, er werde einfach mehr Bilder veräußern als bisher und mit dem Erlös den Betrieb des Museums stützen.

Eine gewagte Behauptung, denn Kunerth, ein figurativ-expressionistischer Maler, der sich in der klassischen Moderne beheimatet fühlt, hatte bald nach seinem Studium entschieden, dem Kunstmarkt zu entsagen - trotz etlicher Angebote von Galeristen. Er zog sich nach Ottobeuren zurück und lebte für seine Kunst. Hier wird er verehrt, seine Bilder geschätzt. Doch anders als Lüpertz, dessen Werke im sechsstelligen Bereich gehandelt werden, spielt er in der Kunstwelt außerhalb des Allgäus keine Rolle. Fast niemand kennt ihn, weder in den USA noch in Asien, nicht in Berlin oder München. Entsprechend ist es um den Marktwert seiner Bilder bestellt. "Das holt er auch nicht mehr auf", sagt Museumsleiter Albrecht realistisch.

Es dauerte, bis sich diese an der Wirklichkeit orientierte Sicht auf den Künstler durchsetzte. Entsprechend bitter waren die ersten Jahre, geprägt von organisatorischen und finanziellen Turbulenzen sowie Dauerquerelen mit dem Personal. Museumsleiter kamen und gingen. Der erste warf schon vor dem offiziellen Starttermin im Mai 2014 hin, die zweite kündigte eine Woche nach der Eröffnung. Die nächsten zwei Frauen hielten im Team bis November 2014 durch, dann warfen auch sie das Handtuch. Es folgte ein ebenso glückloser Ottobeurer Unternehmensberater, den schließlich im April 2015 Markus Albrecht ablöste. Obwohl der zweite Bürgermeister und Kulturreferent des Ortes sich eigentlich nur als Interimsmanager um Finanzen und Organisation kümmern sollte, ist er immer noch da. Seit Januar 2017 sogar hauptamtlich. Und er ist frohen Mutes, was die Zukunft des Museums betrifft.

SZ-Serie: Ganz persönlich, Folge 1: Markus Lüpertz' Herkules vor den gleichnamigen Radierungen (2011/12).

Markus Lüpertz' Herkules vor den gleichnamigen Radierungen (2011/12).

(Foto: Roland Halbe, VG Bildkunst Bonn 2019)

Das liegt auch an den veränderten Grundstrukturen. Im Sommer 2016 übernahm die Gemeinde in ihrem Haus das Ruder, entmachtete den eigensinnigen Stifter und gründete den neuen Trägerverein "Ottobeurer Museen, Kunst und Kultur". Im siebenköpfigen Vorstand hat Kunerth nur mehr eine Stimme, kein Vetorecht mehr. Das erleichtert das Leben des Museumsleiters. Hatte Kunerth die beiden ersten Ausstellungen aus seinem gigantischen Fundus noch ganz allein bestritten, sind jetzt regelmäßig auch andere Künstler vertreten. Damit erfüllt die Kommune aber auch eine Auflage des Freistaats, der zum Bau 500 000 Euro beigesteuert hatte.

Der regelmäßige inhaltliche Wechsel hat die Attraktivität des Hauses deutlich erhöht, die Besucherzahlen steigen. Die Lüpertz-Ausstellung schlage jetzt alle Rekorde, sagt Albrecht. Nach zehn Tagen seien schon 1000 Gäste dagewesen. 5000 Besucher zählte das Museum vergangenes Jahr, nicht viel angesichts der 150- bis 180 000 Tagestouristen in Ottobeuren.

Inzwischen unterstützt die Gemeinde das Museum mit einem jährlichen Zuschuss von 150 000 Euro. Davon muss der Trägerverein nicht nur 900 Euro Miete zahlen, sondern auch alle Ausgaben einschließlich der Personalkosten bestreiten. Viel Geld für Wechselausstellungen oder andere Veranstaltungen bleibt Albrecht nicht, zumal die Eintrittspreise moderat sind - das Ticket kostet sechs Euro. Unterstützt von einer Halbtagskraft und ehrenamtlichen Mitarbeitern bemüht er sich, mit Konzerten, Lesungen und Museumsnächten Publikum ins Haus zu ziehen.

Lüpertz ist der erste Künstler, der die 1900 Quadratmeter Ausstellungsflächen allein bespielen darf. Bislang mussten sich die Gäste, unter anderem die Berlinerin Elvira Bach, der Italiener Silvio Cattani oder der Memminger Dieter Rehm, mit dem großen Saal im Erdgeschoß begnügen, während der Hausherr das Obergeschoß für sich beanspruchte und dort seine Bilder so dicht wie möglich platzierte.

Schon klar, dass sich Lüpertz auf so eine Aufteilung nie eingelassen hätte. Seine Werke passen gut ins Haus, sind stimmig und geschickt verteilt. Die schmalen Entwürfe für die Fenster der Bamberger St. Elisabeth-Kirche verleihen dem bis zum Dach offenen, sehr hohen Raum eine fast sakrale Ausstrahlung. Im Saal unten hängt das "Arkadische Manifest", handaquarellierte Lithografien, steht aber auch der Sternzeichen-Zyklus mit den zwölf handbemalten Bronzen und den zugehörigen Holzschnitten. Eindrucksvoll gestaltet auch das Obergeschoss. Dem Deckenfresko aus Michelangelos Sixtinischer Kapelle ist die Serie "Michael Engel" gegenübergestellt, 20 Lithografien, in denen sich Lüpertz mit Michelangelos Gestalten auseinandersetzt. Dazu die großformatigen Krähen, der winkende Clitunno, die Titanenschlacht und einige kleine Skulpturen, der Salzburger Mozart-Torso etwa oder der Herkules, eine Referenz an die riesige antike Gestalt, die Lüpertz 2010 auf dem ehemaligen Turm der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen aufstellte.

"Lüpertz ist ein Türöffner für uns", sagt Albrecht und hofft auf weitere große Namen. Aber jetzt ist dann erst wieder Diether Kunerth dran, begleitet von den Malern Friedrich Hechelmann und Philipp Reisacher ("Allgäu", von 24.8. an).

Hätte die Kommune von Anfang an gewusst, dass sie alljährlich 150 000 Euro Zuschuss zahlen muss, besäße Ottobeuren kein Museum für zeitgenössische Kunst. Da ist sich Albrecht sicher. So gesehen ist die Entwicklung nicht so schlecht gelaufen. "Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass wir Lüpertz ausstellen - kein Mensch." Es brauche eben alles seine Zeit, philosophiert Albrecht. Und Geld und starke Nerven auch.

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