SZ-Serie: Die grüne Frage:Zeiten des Übergangs

Ist es absurd, für Politiker zu stimmen, die eine strengere Lebensform fordern, als man selbst zu führen bereit ist? Nicht unbedingt. Entscheidend für einen grünen Lebensstil ist nicht nur das Gewissen - sondern auch die institutionellen Rahmenbedingungen.

V. Hösle

Die baden-württembergische Landtagswahl vom 27. März ist jetzt schon als einer der wichtigsten Einschnitte in der politischen Geschichte der Bundesrepublik erkennbar.

Der Verkehr in São Paulo

Ein Leben ohne Auto? Es ist leichter, den Bus zu nehmen, wenn Autofahren teuer ist und wenn die meisten Bekannten ebenfalls Bus fahren. Daher kann jemand, der an sich gerne Auto fährt, durchaus ein System von Umweltsteuern wünschen, welches das moralisch richtige Verhalten allgemein verbreitet.

(Foto: dpa)

Der Erfolg der Grünen hat drei Ursachen: Erstens drücken die Grünen das Lebensgefühl einer neuen Generation von Deutschen aus; zweitens erscheinen sie in ihrem Personal oft weniger unglaubwürdig als die älteren Parteien; und drittens besitzen sie ein politisches Programm, das aus wenigen Prinzipien schlüssig folgt.

Die Stärke einer Partei beruht zudem stets auch auf der Schwäche der Konkurrenten: Bei den Parteien, die die Bundesregierung bilden, ist eine politische Vision für Deutschland, Europa, die Welt nicht erkennbar, dafür Aufgeregtheit, Opportunismus und Kleben an der Macht. Und der inkonsequente Umgang mit dem Atomausstieg konnte nur als Wankelmut erscheinen, weil man der Regierung sachgemäßes Verhalten nicht mehr zutraute.

Auf der anderen Seite haben viele Bürger den Eindruck, dass soziale Gerechtigkeit in Deutschland weitgehend erreicht ist - die SPD hat an Attraktivität verloren, gerade weil sie so viel beim Aufbau des deutschen Sozialstaates geleistet hat: Ihre Mission scheint erschöpft. Deutschland hat schlicht und einfach mehr Nachholbedarf bei der intergenerationellen als bei der sozialen Gerechtigkeit, und daher wenden sich junge Wähler, die genau wissen, dass die Umweltrisiken sie noch direkt betreffen werden, eher den Grünen zu, der einzigen Partei, deren zentrale Idee nicht aus dem 19.,sondern aus dem späten 20. Jahrhundert stammt. Die Grünen können dabei aufbauen auf einer typisch deutschen Tradition der Sorge um die Natur und der Prinzipientreue.

Das bedeutet freilich keineswegs, dass ein dauerhafter Erfolg der Grünen garantiert ist. Viele Deutsche sind Wechselwähler - das Milieu, in dem Nibelungentreue zu einer Partei gezüchtet wurde, gibt es heute kaum mehr; und angesichts einer rasant sich wandelnden Welt ist es nur rational, selbst wenn man feste Prinzipien hat, sich je nach den Umständen anders zu entscheiden.

Ohnehin liegt es nahe, je nach Spitzenkandidat sein Wahlverhalten zu ändern: Auch viele Wertkonservative waren der Meinung, dass Stefan Mappus aufgrund seines konfrontativen Politikstils eine Fehlbesetzung war; umweltbewusste Bürger wiederum werden es spüren und nicht honorieren, wenn Führungspersonal der Grünen das Umweltproblem nur als Steigbügel benutzen sollte, um den eigenen Machtwillen zu befriedigen.

Die Grünen haben zwar schon in mehreren Koalitionen auf Landes- und sogar auf Bundesebene mitregiert; aber eine Regierung zu führen ist eine andere und neue Herausforderung. Winfried Kretschmann wird erst zeigen müssen, wieweit er die enormen Erwartungen in Baden-Württemberg erfüllen kann, zumal er in einer Koalitionsregierung nicht alle Wunschvorstellungen wird verwirklichen können.

Doch wichtiger noch als Geschick beim Führen einer Koalitionsregierung unter fast Gleichen ist die Frage, ob grüne Politik einer neuen Lebensform Ausdruck geben kann, die wirklich nachhaltig ist. Johan Schloemann hat auf die Widersprüche zwischen den Idealen der Grünen und der Lebensführung der Eliten hingewiesen, die sie wählen (SZ vom 30.März).

Der Gute will nicht der Dumme sein

Ohne Zweifel gibt es derartige Widersprüche; und sicher ließe sich ein amüsantes Buch schreiben über die kompensatorischen und symbolischen Verzichtleistungen grüner Wähler. Ebendeswegen ist es entscheidend, dass die Grünen persönlich glaubwürdige Politiker an führender Stelle haben; mit dem Katholiken Kretschmann, einem wertkonservativen Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik, haben sie wohl die für ein Land wie Baden-Württemberg genau richtige Person ausgewählt.

Klar ist freilich, dass eine Partei nur dann einen Ministerpräsidenten stellen kann, wenn sie viele Wähler findet, und es liegt auf der Hand, dass nicht alle von ihnen hochmoralisch sein können; einige werden Heuchler sein. Immerhin sollte man nie den tiefen Satz La Rochefoucaulds vergessen, die Heuchelei sei der Tribut, den das Laster der Tugend zolle: Zweifelsohne ermöglicht eher die Heuchelei den Fortschritt als schamloser Zynismus. Denn sie erkennt wenigstens Maßstäbe an, auf die man sich berufen kann; in Zeiten des Übergangs ist sie stets zu finden. Und es ist zudem nicht notwendig absurd, für Politiker zu stimmen, die im Prinzip eine strengere Lebensform fordern, als man selbst zu führen willens oder fähig ist. Wieso?

Nun, menschliches Verhalten ist nicht einfach Resultat einer Gewissensentscheidung; es reagiert meist auch auf das Verhalten der anderen und auf institutionelle Rahmenbedingungen. Es ist leichter, den Bus statt das Auto zu nehmen, wenn Autofahren teuer ist und wenn die meisten Bekannten ebenfalls Bus fahren. Daher kann jemand, der an sich gerne Auto fährt, durchaus ein System von Umweltsteuern wünschen, welches das moralisch richtige Verhalten allgemein verbreitet.

Dass der Gute nicht als der einsame Dumme dastehen will, ist kein Tugendterror, sondern legitim, auch weil die drohenden Umweltgefahren keineswegs im Alleingang zu bewältigen sind. Wer nicht willensstark ist, kann durchaus ehrlich wünschen, in einer Wirtschaftsordnung zu leben, in der sein bisheriges Verhalten wegen einer anderen Preisstruktur nicht mehr fortgesetzt werden kann. Freilich ist es ebenso gut möglich, dass ein grüner Regierungschef auf Widerstände stößt, wenn er die Umweltpolitik verwirklicht, die er angekündigt hat, weil seine Wähler es nicht wirklich ernst gemeint haben mit den Reformen - dann mag man in der Tat derartige Salonökologen Heuchler nennen.

Chancen hat eine intelligente Umweltpolitik ohnehin nur, wenn sie Nachhaltigkeit als Gebot moralischer Wirtschaftlichkeit konzipiert und daher nicht gegen Imperative rationalen Wirtschaftens verstößt. Gelingt es, die wirtschaftlichen Erfolge des Landes mit ökologischen Forderungen zu integrieren und ein neues Wohlstandsmodell vorzuführen, kann grüne Politik längerfristig Bestand haben. Denn auch wenn jede neue Bewegung Glücksritter anzieht, die überall dort mitmachen, wo sie Chancen für sich wittern, und ebenso schnell wieder abspringen, ist eines klar: Das Umweltproblem wird bleiben, ja, seine Bedeutung wird in diesem Jahrhundert rasant zunehmen. Und umweltverträgliche Lösungen des Energieproblems sind möglich, auch in Deutschland.

Politisch möglich ist aber etwas nur, wenn man es will, und menschlicher Wille ist stets auch durch die Überzeugung bestimmt, ein bestimmtes Verhalten sei moralisch geboten. Dass einige Grüne sich auch in einer postmodernen Ära nicht schämen, an moralische Prinzipien der Politik zu appellieren, spricht durchaus für sie. Und alle deutschen Parteien sind wohlberaten, Nachhaltigkeit in viel intensiverer Weise in ihr Denken zu integrieren und ihr etwa die soziale Gerechtigkeit unterzuordnen, wenn sie langfristig wieder bessere Ergebnisse an den Wahlurnen erzielen wollen.

Der Autor ist Philosoph. Er lehrt als Professor an der University of Notre Dame, Indiana. Zu Hösles zahlreichen Publikationen gehört die "Philosophie der ökologischen Krise", die er 1991 vorlegte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: