SZ-Serie: Aufmacher (XXIV):Wider die halbe Wahrheit

"Ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin." Carl von Ossietzky provozierte, wie ein scharfer und überlegener Geist seine Gegner nur provozieren kann.

JOACHIM KÄPPNER

Wie oft er diese Entscheidung wohl bitter bereut hat? Die Entscheidung, zu bleiben; das Land, das ihn nicht wollte, nicht zu verlassen; noch die eigene Niederlage in eine Waffe gegen die Sieger zu verkehren. Am Tag, an dem sich 1932 die Tore der Haftanstalt erstmals hinter ihm schlossen, legte er in einem Aufsatz "Rechenschaft" ab: "Ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin."

Carl von Ossietzky, geboren 1889 in Hamburg und aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte Erfahrungen mit der Justiz. Schon im Mai 1914 wurde der junge Journalist erstmals zu einer Geldstrafe verurteilt, wegen Beleidigung der Militärgerichtsbarkeit. Der furchtbare Krieg, den er hatte kommen sehen und an dem er als Bausoldat teilnehmen musste, blieb ein Fixpunkt seines Engagements, der Militarismus das bleibende Objekt seines Hasses. Spätestens Mitte der zwanziger Jahre (1927 übernahm er nach dem Tod von Siegfried Jacobsohn als Herausgeber die Weltbühne) wurde er zu einem der profiliertesten Publizisten und Leitartikler der Republik, aus heutiger Sicht gar der deutschen Geschichte. Sein Beispiel zeigt, bis in unsere Jahre des Infotainments hinein, die Macht dessen, was Politiker manchmal abschätzig die "veröffentlichte Meinung" nennen.

Ossietzky provozierte, wie ein scharfer und überlegener Geist seine Gegner nur provozieren kann. Über Ernst Jüngers Literatur schrieb er schlicht und erbarmungslos, es fehle ihr die "Kopfklarheit". Und über den Zustand der deutschen Republik: "Anstatt dem dummen Michel die Schlafmütze um die Löffel zu hauen, bekränzt man seine Denkfaulheit mit Eichenlaubsalat."

Das Pathos vergibt nicht dem, der es lächerlich macht, und niemals verzeiht das Ressentiment dem Widersacher den entlarvenden Spott. In der Weltbühne ging Ossietzky schonungslos wie kaum ein anderer mit mit den Feinden der Republik ins Gericht, mit Deutschtümelei, Nationalismus und völkischer Geschwurbel. Der Republik aber war unbehaglich angesichts eines solchen Fürsprechers. Carl von Ossietzky und die Autoren seines Blatts sezierten in ihren Beiträgen die Fehler des Weimarer Staates geradezu, vor allem seine schwächliche Abwehr gegen einen Feind, von dem es nur in den Gründerjahren der Republik einmal klarsichtig geheißen hatte, er stehe rechts.

Viele, die noch zu dieser Republik standen, fühlten sich angegriffen von ihrem wortmächtigen Verteidiger, der noch dazu mit dem Sozialismus sympathisierte - freilich mit dessen Utopien, nicht der stalinistischen Misere. Der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer schrieb später in seinem Klassiker "Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik", Ossietzky, Tucholsky und mit ihnen die linke Publizistik jener Zeit "verfehlten mit ihrer Frontstellung gegen die als pervertiert empfundene Republik die Möglichkeit, sie geistig zu stützen". Half Carl von Ossietzky also, wie in einer griechischen Tragödie, heraufzubeschwören, was er doch verhindern wollte: den Sturz Deutschlands in die Tyrannei?

Es ist ein Urteil, das dem Publizisten und seinem Leben letztlich nicht gerecht wird, den Blick auf sein Werk aber bis heute überschattet. Wer jedoch so klar die Selbstpreisgabe einer Demokratie nahen sah wie Ossietzky, hatte nicht Muße noch Sinn für halbe Wahrheiten. Seine Waffe war die Schärfe, nicht die Beschwichtigung. Kurt Tucholsky mokierte sich bisweilen über den "trockenen" Schreibstil seines ungleichen Kampfgefährten. Doch es war nicht Trockenheit, sondern Präzision; die melancholische Heiterkeit Tucholskys war ihm fremd, der Sarkasmus wetzte seine Argumente erst messerscharf. Weimar hätte mehr solcher Verteidiger gebraucht, und an falscher Rücksicht ist die Republik nicht zugrunde gegangen. Lakonisch schrieb Ossietzky: "In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat." Und den Schmutz sah er vor allem beim Militär und den Kreisen, von denen es getragen wurde. Es war eine Schlacht, die er nicht gewinnen konnte. Die Feinde der Republik waren schon zu mächtig geworden, und niemand fiel ihnen in den Arm.

Immerhin, es gab Erfolge, wie den überraschenden Freispruch in der Causa "Soldaten sind Mörder"; aber im November 1931 wurde er zu 18 Monaten Haft wegen Landesverrats verurteilt, ein Skandalurteil, das belegte, wie weit die Republik herunter gekommen war. Denn im Grunde hatte der von Walter Kreiser in der Weltbühne geschriebene Artikel gar nichts Geheimes verraten, sondern nur offene Geheimnisse zu einem bedrückenden Gesamtbild der illegalen Rüstung vereint. Weihnachten 1932 gab es eine Amnestie. Ossietzky kehrte zurück in eine Republik, die im Todeskampf lag; die wenigen Wochen, die er zur Flucht hätte nutzen können, ließ er verstreichen. Er schrieb einmal: "Wer den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muss dessen allgemeines Schicksal teilen." Er blieb.

Nach dem Reichstagsbrand wurde er verhaftet. Seine Weltbühne hatte dem linksradikalen Rebellen Max Hoeltz einmal ein Hölderlin-Zitat gewidmet: "Ich sprach in Deinem Namen auch, ich sprach für alle, die in diesem Lande sind, und leiden, wie ich dort gelitten." Es klingt noch heute wie in eigener Sache verfasst, ein Nachruf auf Carl von Ossietzky. Es gibt ein Bild, das ihn am Beginn der langen Jahre seines Martyriums zeigt und das Grauen schon in sich trägt, das dem so prominenten Gefangenen des NS-Regimes bevorstand. Carl von Ossietzky mit Häftlingsnummer und einem Blick, der nach innen gekehrt ist, vor ihm ein stiernackiger SA-Mann: Das Bild des Triumphes der Gewalt über den Geist.

Eingesperrt und unbeugsam

Ossietzky kam in das Konzentrationslager Papenburg-Esterwegen. Der kräftige Mann war bald nur noch ein Schatten seiner selbst, entstellt von Entwürdigung und brutalen Misshandlungen. Das "Lied der Moorsoldaten" ist dort von den Esterwegen-Häftlingen gesungen worden, ein Dokument trotzigen Überlebenswillens. Die letzte Strophe lautet: "Einmal werden froh wir sagen, Heimat, du bist wieder mein. Doch für uns gibt es kein Klagen, ewig kann nicht Winter sein." Für Ossietzky aber gab es keinen Frühling mehr. Freilich, der misshandelte und hilflose Häftling setzte dem Regime noch immer zu. Die weltweiten Kampagnen für seine Freilassung schadeten den braunen Machthabern. Noch waren sie außenpolitisch um Respektabilität bemüht; vor dem Olympischen Spielen 1936 kam er frei, am Ende desselben Jahres wurde ihm - in Abwesenheit - der Friedensnobelpreis verliehen. Seine Weigerung, auf den Preis zu verzichten, zeugt noch einmal von Widerstandsgeist. Todkrank und betrogen auch um das Preisgeld, starb er am 4. Mai 1938 unter erbärmlichen Umständen in einer Berliner Lungenklinik. Es war ein bitteres Ende, Schlusspunkt eines Kampfes ohne Hoffnung, ein weitere Niederlage für die an Niederlagen so reiche Geschichte des Freiheitsgeistes in Deutschland.

Die britischen Quäker, die sich so für Ossietzky eingesetzt hatten, schrieben kurz vor dessen Tod 1938 an Ernst Toller: "Es macht einen unendlich traurig, einen Mann so gebrochen zu sehen, der der Welt noch viel hätte nützen können." Und dennoch, Ossietzky hatte es vorgesagt: Als Eingesperrter war er dem Regime am unbequemsten gewesen. Seinen Namen tragen heute hohe Auszeichnungen und Universitäten, er blieb im kollektiven Gedächtnis wie eine Metapher der Unbeugsamkeit im Angesicht des Bösen. Er hatte Recht behalten. Aber zu welchem Preis.

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