Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie Aufmacher (XIII):Der weiße Elefant

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SZ-Serie: Aufmacher (XIII) - Immanuel Birnbaum, kultureller Zwischenträger / Von Peter Glotz

"Beim großen Zeitungsschreiber", hat Friedrich Sieburg einmal zu seinem journalistischen Kollegen Immanuel Birnbaum gesagt, "kommt es nicht so sehr darauf an, was er dem Publikum vorträgt, als darauf, wie er es kann."

In seiner keineswegs unbegründeten, aber doch ein wenig gockelhaften Eitelkeit fügte Sieburg hinzu: "Ich bin nun einmal unter den deutschen Journalisten, was Richard Tauber unter den Tenören ist." Mit solchen Geschichten konnte Birnbaum, der ein unstillbar Wissbegieriger und gleichzeitig ein zuspitzungsfähiger Erzähler war, kleine Gruppen stundenlang zu Lachstürmen reizen.

Birnbaum selbst war aber ganz anders als Sieburg, ihm kam es durchaus auf das an, was er seinem Publikum vortrug. Das machte den sprachkundigen, realistischen und unerbittlich rationalen Mitteleuropäer Birnbaum zu einem der großen, frühen Vorkämpfer der "Ostpolitik", genauer: einer vorausdenkenden West-Ost-Entspannung. Aus einer Krakauer Rabbiner-, Gelehrten- und Musikerfamilie stammend, war er in Königsberg, auf altem, von Polen, Kaschuben und Deutschen besiedelten Kulturboden aufgewachsen. Er war ein hoch politischer Mensch, der Macht genau einschätzen konnte. Vor allem kannte er als Abkömmling seiner eben nicht ethnisch "reinen", sondern vielfältigen, gemischten osteuropäischen Zwischenzone immer die Argumente der jeweils anderen.

So wurde er ein Differenzierer, ein kultureller Zwischenträger, dies übrigens auch in weltanschaulicher Hinsicht. Immanuel Birnbaum war sein Leben lang Sozialdemokrat, aber einer jener eigentümlich weltläufigen Linken, dem jede Aversion gegen Adel oder Großbürgertum fremd war, ein Anhänger Eduard Bernsteins, der schon 1919 Max Weber verstand und verehrte. Es war der Vorsitzende der Freien Studentenschaft der Nicht-Korporierten, Immanuel Birnbaum, der als einer der Wortführer im Münchner Asta 1919 Max Weber zu seinen großen Vorträgen "Wissenschaft als Beruf" und "Politik als Beruf" einlud.

Birnbaum entschied sich, Journalist zu werden und arbeitete zuerst für sozialdemokratische Blätter, so in Bremen - wo er Wilhelm Kaisen als Nachfolger vorschlug - und in Breslau, wo er Paul Löbe nachfolgte, der zum Reichstagspräsidenten aufgestiegen war. In seinen Lebenserinnerungen, die 1977 erschienen, konnte Birnbaum kühl von seinem "Breslauer Vorgänger und späteren Mitarbeiter Paul Löbe" sprechen. Da war der längst einer jener mythischen Figuren der gescheiterten Sozialdemokratie der Weimarer Zeit. Birnbaum, ein enger Freund Bruno Kreiskys, ein guter Bekannter Willy Brandts und Titos und Kollege der ersten Journalisten der Weimarer Zeit und der frühen Bundesrepublik, würde heute ein "Netzwerker" genannt. Er verstand es, Beziehungen zu stiften, zu pflegen und professionell wirksam zu machen. Von Kreisky ist der Satz überliefert: "Was der Birnbaum nicht weiß, braucht man nicht zu wissen." Noch in den 70er Jahren hat Birnbaum die Vortragstätigkeit, die er nach dem Ersten Weltkrieg vor Arbeiterbildungsvereinen begonnen hatte, vor Sektionen der Münchner SPD fortgesetzt. Die einzige Forderung, die er dabei stellte, war: Man musste ihn abholen und wieder nach Hause bringen.

Ab 1927 war Immanuel Birnbaum Auslandskorrespondent in Warschau. Er schrieb für die Vossische und die Frankfurter, betätigte sich aber auch als Diplomat, passenderweise nicht als deutscher, sondern als österreichischer. Als Hitler seinen Krieg vom Zaun brach, ging Birnbaum nach Finnland, später Schweden. Damals arbeitete er viel für die Basler Nationalzeitung. Nach dem Krieg kehrte er nach Warschau zurück, wurde irgendwann dort von den Kommunisten ausgewiesen, wechselte nach Wien und fand den Kontakt zur Süddeutschen. 1953 berief Werner Friedmann ihn zum Ressortleiter Außenpolitik dieser Zeitung, was er bis Ende 1972 blieb. Von 1962 bis 1976 war er außerdem Mitglied der Chefredaktion.

Man muss sich klar machen, in welcher Umwelt der Journalist Birnbaum nach 1945 wirkte; die Diplomatie hatte sich aus der Nazizeit herüber gerettet, die Politik war alles andere als weltläufig. Als Adenauer 1957 einen ersten Staatsbesuch in Wien machte, konnte es sich der herumgestoßene "Halbjude" Birnbaum nicht verkneifen zu bemerken, dass Adenauer in seinem langen Leben nie in Wien war: "Der alte Herr hat sich überhaupt erst Zeit zu näherem Kennenlernen des Auslands genommen, als er über die Siebzig hinaus war." Adenauer aber war der Kanzler - man kann sich vorstellen, wie viele Gesprächspartner Birnbaum in den mittleren Etagen der Politik seiner Zeit hatte. Als Helmut Schmidt in den späten 50ern eine private Polenreise unternahm, war das eine Sensation. Europäer mit den Erfahrungen Birnbaums, wirkten in Deutschland damals wie weiße Elefanten.

Umso dankbarer war der nun schon alt gewordene Mann, als sich das Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre änderte. "Aus Metternichs Heiliger Allianz der Fürsten", hatte er schon Ende der 50er Jahre gehofft, "wird in unseren Tagen langsam das Gebilde, von dem seine demokratischen Gegner träumten, eine Heilige Allianz der Völker." Am Ende der Lebenserinnerungen 80 Jahre dabei gewesen formulierte er sein Vermächtnis: "Ich höre im Geiste schon die nahe Auflösung der schweren Disharmonien, die mir ein halbes Jahrhundert lang beim Suchen nach einem künftigen Zusammenklang Ohr und Herz gequält haben. " Die Kopenhagener Entscheidung vom Dezember 2002, mit der Polen, Tschechen, Slowaken, Litauer und andere in die EU aufgenommen wurden, hätte der 1982 verstorbene große Außenpolitiker der Süddeutschen Zeitung sicher begrüßt. Ob der Konvent zur Zukunft Europas allerdings Beschlüsse fassen wird, die diese Erweiterung zu einem Erfolg machen, muss man abwarten.

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