Als diejenigen, die heute 25 Jahre alt sind, geboren wurden, in den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts, da ging es richtig los mit der Karriere der "Globalisierung".
Brutalste ethnische Kriege auf dem Balkan oder in Ruanda? Der Aufstieg des religiösen Fundamentalismus? Rechtsradikale vor Asylbewerberheimen? Das waren nach dem Fall der Mauer Dinge, die man erst einmal gerne ignorierte oder als retardierende Momente ansah. Stattdessen verbreitete sich damals eine heute nur noch schwer vorstellbare Euphorie über das Zusammenwachsen der Welt, bald auch begleitet von einem heute ebenso schwer vorstellbaren Fanatismus der Kritik an der Globalisierung und den Gipfeltreffen ihrer Freunde aus Politik und Wirtschaft.
Und heute? Die Vernetzung und wirtschaftliche Verflechtung der Welt ist weitergegangen, es gab Wohlstandsgewinne in ärmeren Gegenden und Stagnation in noch ärmeren, es gibt Marktgewinner und neue Verlierer in den reichen Ländern, es sind ganze Bibliotheken von differenzierter Literatur über die Globalisierung gewachsen, es kam zu gewaltigen politischen Verwerfungen durch Ungleichheit, Klimawandel, Bürgerkriege, Urbanisierung, Terrorismus, Migration, Datenströme, Hackerangriffe, Turbofinanzmarkt und gute alte Faktoren wie Korruption, Kriminalität und Nationalismus. Aber "die Globalisierung", die scheint immer noch unverändert da zu sein.
Der Begriff ist unersetzlich und zugleich ausgelutscht
In seinem neuen Essayband "Die Flughöhe der Adler" warnt der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel vor einer quasi-theologischen Verwendung des Begriffs. Die Globalisierung drohe eine Allgegenwart und Allmacht anzunehmen wie früher die Geschichte, Gott, die Modernisierung, der Fortschritt oder der Klassenkampf. Und in der Tat ist das seltsam: Obwohl "Globalisierung" grammatisch einen Prozess ausdrückt und Akteure voraussetzt, verwendet man das Wort oft als schicksalhaften Epochenbegriff. Er changiert rätselhaft zwischen Teleologie und Ist-Zustand, er scheint jedes kleine menschliche Drama auf der Welt irgendwie zu betreffen und ist doch viel zu groß, um fassbar zu sein.
In der politischen Debatte gerät die Globalisierung zur Leerformel, ähnlich der Feststellung, man brauche oder biete irgendetwas "für das 21. Jahrhundert". Der Begriff der Globalisierung ist so unersetzlich und zugleich so ausgelutscht, dass man fast die Frage vergisst, wie es wirklich darum steht, ob sie wirklich einfach immer weitergeht.
Doch unversehens, als hätte man ganz kurz nicht aufgepasst, wird jetzt eine Bremsung spürbar. Nach dem Schock der Finanzkrise vor bald zehn Jahren wurde oft noch, wie realistisch auch immer, ein Narrativ der Erholung bemüht, als sei eine zyklisch auftretende Krankheit bald wieder auskuriert. Doch mit der Zeit sahen Ökonomen Anzeichen für eine bleibende Verlangsamung der Globalisierung, einen chronischen Schnupfen, auch wenn unsicher ist, nach welcher Datenlage und welchen Kriterien man das eigentlich genau bemisst.