Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Ist die Globalisierung am Ende?" (2):Die Menschen rücken zusammen, aber die internationale Zusammenarbeit kollabiert

Die globale Vernetzung hat ein atemberaubendes Tempo, doch zugleich scheint sich alle politische Ordnung aufzulösen.

Von Stefan Kornelius

Nach dem Fall der Berliner Mauer schien die Globalisierung unaufhaltsam zu sein. Für Befürworter wie für Kritiker wurde sie zum Begriff unserer Epoche. Eine SZ-Serie fragt, ob in der Ära von Donald Trump die weltweite Verflechtung von Populismus und Protektionismus ins Stocken gerät.

Die Globalisierung ist keine Erfindung finsterer City-Banker oder des militärisch-industriellen Komplexes der USA, sondern ein Produkt - nun ja: der Umstände. Am Ende ist alles gar nicht so kompliziert, Geschichte ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen, und es sind diese Ereignisse, die den Schub in der Globalisierung ermöglicht haben.

Zwei Umstände waren es, die das Globalisierungstempo so enorm angetrieben haben: der Epochenbruch von 1989 mit dem Kollaps der Sowjetunion inklusive ihres ideologischen Kuppelgewölbes; und das Internet, also die Digitalisierung der Welt unter dem Präfix www.

Nie zuvor hat die Globalisierung so viel ökonomische Verflechtung und kulturelle Angleichung bewirkt, nie zuvor war dank weltumspannender Echtzeitkommunikation ein Gefühl permanenter Betroffenheit entstanden, als wäre die Erde ein Dorf und jede Krise eine Provokation im eigenen Vorgarten.

Globalisierung kennt die Welt schon seit der Renaissance oder gar noch länger: Handel, Staatendiplomatie, die Abhängigkeit von Nachbarn und fernen Mächten haben die Menschheit immer begleitet. Globalisierung ist genau dies: die politische, ökonomische und kulturelle Vernetzung über Staatsgrenzen hinweg - ein Prozess, der freilich in den vergangenen dreißig Jahren eine unvergleichliche Beschleunigung erlebt hat.

Die Globalisierung hatte ihren Anteil Zusammenbruch des Sozialismus

Noch denkt man bemerkenswert wenig über die Jahre nach dem Epochenbruch nach, vielleicht weil noch immer die irrige Vorstellung von einem Ende der Geschichte in den Köpfen steckt oder der scheinbare Stillstand der Weltpolitik zur Annahme verführt, dass die 1990er-Jahre Wohlstands- und Konsolidierungsjahre waren, eine weitgehend gute, aber ereignisarme Zeit also. Diese Vorstellung ist falsch.

Bereits in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts hat die Beschleunigung im Globalisierungskarussell Fliehkräfte entwickelt. Diesen Kräften ausgesetzt war das autoritär-sozialistische System der UdSSR samt seinen Satelliten.

Sie hatten am Ende dem inneren Druck ihrer Gesellschaften, dem Freiheitswunsch und der Sehnsucht nach Wohlstand nichts entgegenzusetzen und sanken in den Staub. Geschichte ist nie monokausal, aber man wird der Globalisierung ihren Anteil an dieser Zäsur nicht verweigern können.

Eine stabile politische Ordnung hat es nach dem Mauerfall nie wirklich gegeben

Nach dem Mauerfall triumphierten die USA und das westliche Modell; ihre politische, ökonomische und kulturelle Vormacht waren unangefochten. Aber füllten sie das ideologische Vakuum auch aus, das der Kollaps geschaffen hatte? Platz für Krisengewinnler und neue Probleme gab es jedenfalls ausreichend. Die Globalisierung gewann erst richtig an Tempo.

Wer diese fast dreißig Jahre im Schnelldurchlauf abspult, der stellt vor allem fest: Eine stabile politische Ordnung hat es nie wirklich gegeben, vielmehr ein Wirrwarr konkurrierender Kräfte, einen Wettlauf zwischen Dominanz und Disruption, die Geburt neuer Ordnungsvorstellungen und den Abschied von gescheiterten Modellen.

Die Europäische Union etwa entwickelte sich von einer überschaubaren Handelsgemeinschaft hin zu einer Werte- und Rechtsallianz, die qua Statuten keine geografischen Grenzen kennen durfte. Erst nannte sie sich bescheiden Gemeinschaft, dann ambitioniert eine Union inklusive eigener Währung. Manche fantasierten gar vom Superstaat, dann reduzierte man die Sache auf einen Staatenbund, oder ganz schlank auf ein banales Bündnis von Nationalstaaten. Die montane Krise der EU ist auch Beleg einer konzeptionellen Verwirrung.

Die Verschiebung der politischen Kräfte in dreißig Jahren lässt sich gut am Beispiel der politischen Pole ablesen, der Zahl der jeweiligen Kraftzentren der Welt. Da wandelte sich die internationale Ordnung von der Bipolarität (zwischen dem westlichen Bündnis und dem Ostblock), hin zur Unipolarität (mit dem Hegemon USA), zur Multipolarität (getragen von vielen Akteuren wie den USA, China, der EU, Russland) bis hin zur Nonpolarität (einer Welt ohne prägendes Zentrum).

Ist das also das Ergebnis der Globalisierung, die Auflösung aller politischen Ordnung und die Hinführung zu einem anarchischen Machtsystem, in dem nichts mehr als Vorbild taugt?

Die Menschheit hat viele Variationen der Kräfteverteilung auf ihrem Planeten gesehen. Umso erstaunlicher, dass sich bei diesen schnellen Wechseln in nur drei Jahrzehnten vergleichsweise so wenig Gewalt entlud.

Die Statistiken der Friedensforschungsinstitute belegen dies, auch wenn das subjektive Bedrohungs- und Krisengefühl so stark entwickelt ist wie selten - auch dies ein Ergebnis eines kommunikativen Schrumpfungsprozesses.

Die wohl eigentümlichste Erfahrung mit der Globalisierung haben die USA gemacht, unbestritten die Siegernation im Kalten Krieg. In allen erdenklichen Machtkategorien war das Land enteilt, militärisch unschlagbar, politisch als stabile Demokratie ein Vorbild, per Wirtschaftskraft, Innovationsfreude und Überlegenheit in der Popkultur die beherrschende Soft- und Hard-Power-Nation auf der Erde.

Aber die USA verpassten den unilateralen Augenblick, nutzten ihre Gestaltungskraft nicht recht und stellten zu spät fest, dass eine Über-Nation auch übermäßig motivierte Gegner provoziert. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 waren deswegen auch die Antwort auf ein Globalisierungsmodell, in dem die USA als Hegemon zu Lasten anderer empfunden wurden.

9/11 steht für den Augenblick, in dem sich bei der Globalisierung der Umkehrschub einschaltete. Neue, mächtige Werkzeuge bestimmten die Unordnung: religiöse Radikalisierung, asymmetrische Kriegsführung, Terror. Staatenlose Akteure wurden plötzlich zu Ordnungsfaktoren. Langsam wuchs wieder der Wunsch nach Zugehörigkeit: Zugehörigkeit zur Ethnie, zur Religion, am Ende auch wieder zur Nation als Ort vermeintlicher Sicherheit. Identität ist das Spiegelbedürfnis zur Globalisierung.

Die politische Übersetzung dieser Sehnsüchte heißen Nationalismus und Populismus

Heimat, Garten, Ich-Gefühl - was die Zeitschriftenregale im Supermarkt bieten und was Apple in weiße Produkte verpackt, ist Ausdruck großer Haltlosigkeit, Symptom einer Entwurzelung. Simpler soll alles sein, abgegrenzt, ohne Grautöne.

Die politische Übersetzung dieser Sehnsüchte heißen Nationalismus und Populismus. So endete man irgendwann beim Brexit und bei den Autoritären. Einmal Hegemon und zurück, das ist die Überschrift über dem amerikanischen Globalisierungs-Kapitel, das mit Donald Trump noch längst nicht abgeschlossen ist.

Die Tragödie der zeitgenössischen Globalisierung ist ihr Mangel an einer politischen Gestaltungsidee. Die Ottomanen, das Römische Reich oder die Qing-Dynastie konnten fast unbeeindruckt vom Rest der Welt schalten und walten. Sie regierten über autonome Herrschaftsgebilde.

Das Freiheitsversprechen ist oft nur einen Klick entfernt

Globalisierung 2017 ist dagegen ein hochkomplexes Mobile, bei dem die Idee vom Nationalstaat mit supranationalen Gebilden wie der EU in Einklang zu bringen ist, wo Handelsgesetze und DIN-Normen möglicherweise über Grenzen hinweg angepasst werden können, nicht aber Rechtsnormen, Rentenabkommen oder gar die großen Systemfragen, etwa die nach der richtigen Regierungsform.

Selbstverständlich halten sie ihre Ein-Parteien-Autokratie in China für stabiler als eine westliche Demokratie. Trump hat es doch bewiesen. Und: Sind T-Shirts aus Dhaka nicht so lange in Ordnung im Westen, wie keine Fabrik mit Näherinnen niederbrennt oder Details der Arbeitszeitregelung in Bangladesch bekannt werden?

Das Internet als kultureller Gleichmacher erzeugt besonders starke Spannungen in dieser engen, globalisierten Welt: Das Freiheitsversprechen ist oft nur einen Klick entfernt, aber eine gesellschaftspolitische Provokation für alle, die nicht gleicher Meinung sind über die Vorteile der freien Rede oder freizügiger Körperbegleitung, zum Beispiel.

Die Krisenphänomene der Welt werden bei der UN in New York weggestimmt

Globalisierung ist eine politische Urgewalt. Wer sie zähmen will, müsste internationale Politik auf Augenhöhe zwischen allen Staaten betreiben. Wie schwer das derzeit ist, zeigt die Endlosschleife Klimapolitik, wo tatsächlich ein weltumspannendes Netz von Staaten ein Menschheitsproblem per Abkommen in den Griff zu bekommen versucht. Aber zu welchem Preis, in welchem Tempo, mit welchem Erfolg?

Die Vereinten Nationen, von Idealisten gepriesen als ein Instrument zur Regulierung von Konflikten auf der Basis des Völkerrechts, erfüllen längst nicht mehr die Ambitionen ihrer Gründer. Sie sind nur so kräftig, wie es der Wille der Mitglieder erlaubt.

Deswegen verwalten sie vor allem die Not. Ihre Instrumente sind blockiert, Völkerrecht gilt nur, wenn es einem nutzt. In der Globalisierungsdebatte haben die UN eine seltsam nostalgische Rolle gespielt, als Notar der Nationalstaaten. Die Krisenphänomene der schrumpfenden Welt landen als Sicherheitsrats-Resolution auf der Türschwelle in New York und werden weggestimmt. Im ewigen Kampf um Vorteil, Macht und Dominanz ist das Organ der Völkergemeinschaft längst auch nur ein Werkzeug unter vielen.

Es ist die Tragödie der Globalisierung seit 1989, dass die ihr innewohnenden Urgewalten nicht kanalisiert wurden. Die USA haben ihre Friedensdividende aus dem Kalten Krieg nicht investiert, um den alten Übeln einer zu engen Welt der verfeindeten Nationalstaaten eine moderne Version globaler Governance entgegenzustellen. Wie die hätte aussehen sollen? Eine gute Frage, nicht viele haben sich an die Antwort gewagt in den letzten Jahrzehnten.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2017/doer
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