Beim heiteren Beruferaten wäre das eine aussagekräftige Handbewegung: Max Wagner packt einen Vorhang und zieht ihn zur Seite. Der Chef des Gasteigs will, dass die Besucher von ihren Sitzen aus ins idyllische Haidhausen und bis hinunter zur Isar schauen können. Er will, dass sie es schön haben, schließlich ist er in diesem Kultursalon der Süddeutschen Zeitung nicht nur Gast, sondern zugleich Hausherr und voller Stolz auf das größte Kulturzentrums Europas, Heimstatt der größten Stadtbibliothek und der größten Volkshochschule Deutschlands, einer renommierten Musikhochschule und eines der besten Orchester der Welt. "Und das nicht in London oder Paris, sondern in München", betont Wagner. Eine der wichtigsten Aufgaben für ihn und sein Team sei es, hinauszugehen in die Stadt "und allen zu sagen, was für ein Juwel wir da haben".
Deswegen lässt er eine Seite des Vorhangs lieber zu, weil dahinter Mitarbeiter der Bücherschau am Nachmittag noch ein paar Bücherstapel versteckt hätten. So greift alles im Gasteig ineinander: In dem hinter der Philharmonie verborgenen Raum probt normalerweise der Philharmonische Chor hier, aber es finden auch Workshops für Jugendliche und zur Instrumentenkunde statt. Daher ist der vielen Münchnern unbekannte Saal symbolträchtig gewählt für diesen Abend. Schließlich sieht Max Wagner die Kulturvermittlung als oberste Gemeinschaftsaufgabe des Gasteigs und seiner Institute an. Das Öffnen des Vorhangs steht auch dafür, dass Max Wagner Licht hereinlassen und Blicke zulassen will, seit er Anfang des Jahres sein Amt als Gasteig-Geschäftsführer angetreten hat - mit Durchlässigkeit kommt man weiter. "Ich habe viele Türen geöffnet, auf denen vorher Eintritt verboten stand", sagt Wagner im Gespräch mit Susanne Hermanski, Leiterin der Kulturredaktion, und Christian Krügel, bei der Süddeutschen Zeitung Ressortleiter für München, die Region und Bayern. Dieser Kultursalon trägt den Titel "Fa(u)st forward". Das steht einerseits für das große Münchner Faust-Festival 2018, das Wagner mit aller Leidenschaft vorantreibt; andererseits für das erstaunliche Tempo, mit dem er das jahrelange Gezerre um eine Sanierung des in den Siebzigern erdachten Bildungskolosses aussichtsreich beendet hat.
Es geht schnell voran - Wagner aber nicht schnell genug. "Meine Ungeduld ist eine meiner größten Schwächen" (neben der für Kuchen), gesteht er und zeigte sich süffisant begeistert, "in welchem Tempo die in China so tolle Opernhäuser hinstellen. Warum braucht der Stadtrat bei uns so lange, etwas zu entscheiden?", fragt er mit Blick auf Wolfgang Heubisch, FDP-Stadtrat und Ex-Kultusminister, im Publikum. Doch mehr und mehr lerne Wagner - aufgewachsen auf einem Bauernhof in Pischetsried am Starnberger See - die demokratischen Prozesse in München kennen.
Wie gut der 48-Jährige das Spiel mit der Politik längst beherrscht, zeigt dieses aktuelle Beispiel: Noch zwei Stunden vor dem Kultursalon hatte Max Wagner einen Termin im Planungsreferat. Es ging wieder um das Ausweichquartier während der Bauzeit. Ein heikles Thema, zumal Wagner auf das Gelände der Stadtwerke an der Hans-Preißinger-Straße 8 ziehen will, das derzeit von Kreativen und Gewerbetreibenden genutzt wird. "Der böse Wagner walzt alles platt", habe er sich schon oft anhören müssen. Dabei habe er von Anfang an so viele Mieter wie möglich integrieren wollen. Ein neuer Plan des im HP8 ansässigen Architekturbüros CBA scheint dies nun möglich zu machen. Der sieht vor, dass die Mieter in den bestehen Gebäuden bleiben. Der Gasteig erhalte lediglich die alte Industriehalle am Eingang für Büros und als Foyer für eine Behelfsphilharmonie ("Der Zwilling") dahinter; VHS, Stadtbibliothek und Musikhochschule würden in Modulbauten auf den Freiflächen einziehen. "Das sind zwar Container, aber man kann das heute sehr schön machen", erklärt Wagner. Zum Termin im Amt erschien er zusammen mit dem Architekten Clemens Bachmann, was die Beamten offenbar beeindruckt hat: "Macht weiter so", hätten die Stadtplaner zustimmend gesagt. Es eilt: Der Stadtrat soll am 13. Dezember über den Umzug entscheiden, deutlich eher müssen die Pläne stehen. Wagner und Bachmann treffen sich derzeit zwei Mal die Woche zum Flächenpuzzle, auch beim Kultursalon standen sie nach der Diskussion noch in der "Phil's-Bar" beisammen und stießen darauf an, "gestärkt aus dem Termin im Amt herausgegangen zu sein", so Bachmann.
Anfang 2020 will Wagner mit dem Bau in Sendling beginnen, 2021 das Neujahrskonzert dort spielen und 2025 in den im neuen Glanz strahlenden Gasteig zurückkehren. Immer noch gibt es Bürger, die fragen ob die Renovierung nach schon 30 Jahren überhaupt nötig ist. "Der Vorhang ( da ist er wieder) sehe doch noch gut aus, und da ist frisch gestrichen", ahmt Wagner die Nörgler nach. Entscheidend aber sei, was man nicht sehe: "Die technischen Anlagen sind am Ende ihrer Lebensdauer." Jüngst habe man einen Tank der Sprinkleranlage geöffnet - verrostet. Wenn sich da Teilchen lösen und die Düsen verstopfen, "dann sperrt die Feuerwehr den ganzen Gasteig kurzerhand zu." So wurde jüngst wegen Mängeln im Brandschutz das Augsburger Theater geschlossen - Wagners Lieblingsargument gegen die Zweifler derzeit.
Der Umbau soll aber nicht nur zweckmäßig sein, sondern eine Chance zum Gestalten und für noch mehr Offenheit für jedermann. Wagners Lieblingsort an seinem Arbeitsplatz ist nicht zuletzt ein hoher Raum in der Bibliothek, in dem früher die Schlagwort-Kataloge auslagen. Heute stehen da Sessel und Sitzwürfel, "und die Leute essen da, lesen, lernen, schlafen. So soll das sein." Aber werden die Stadträte bei all dem mitspielen, werden sie Wagners 25 Projekte absegnen - oder am Ende doch seine Lieblingsidee, ein Panoramarestaurant auf dem Dach der Philharmonie, zusammenstreichen angesichts der erbeteten 450 Millionen Euro Gesamtkosten? "Jeder Euro, der in die Kultur geht, ist sehr sehr gut investiert in die Zukunft unserer Kinder, die damit das bekommen, was das Leben ausmacht", sagt Wagner: "Denn die Nachfolgegeneration muss verstehen, wie wertvoll das ist, dass Deutschland die höchste Kulturdichte der Welt hat." Nach unermüdlicher Netzwerkerei ist Wagner vor der Entscheidung im Rathaus nicht bange: "Erstmals ziehen in diesem Haus alle an einem Strang." Wagners Lieblingswort sei eh "gemeinsam". "Es ist keine Zeit, in der jeder seine Burgmauern hochzieht, sondern in der man Dialoge startet."
So kam auch das Faust-Projekt zustande - im Dialog, der zum vielstimmigen Chor wurde. Als Roger Diederen, Direktor der Hypo-Kunsthalle, Wagner von seiner großen Ausstellung "Du bist Faust" von Februar bis Juli 2018 berichtete, entwickelten beide gemeinsam die Idee für ein Festival: "Ein Drama, eine Stadt, 100 Events." Sehr ehrgeizig gedacht. Zu einem ersten Faust-Info-Frühstück kamen statt der zehn erwarteten Mitstreiter 100, zum zweiten fast 300 Vertreter von der Staatsoper bis zur freien Theaterszene, inzwischen sind 500 Veranstaltungen beisammen - die übrigens alles sollen, bloß keine alten Schultraumata hochholen: Es gibt Faust ohne Worte mit Clowns im Carl-Orff-Saal, eine Faust-Technooper, fünf Marionettenbühnen machen mit, "wir brauen ein Faustbier - und legen Sie schon mal die Hexenkostüme für die Party in der Walpurgisnacht heraus". Da durfte die "Gretchenfrage" nicht ausbleiben: Welchen Charakter im Goethestück spielt Wagner gerade? Momentan sei er wohl Faust, "der Forscher, ich habe eine große Begeisterungsfähigkeit und will gestalten". Manchmal aber sei er auch das Gretchen: "Ich will mir die Naivität bewahren, da bin ich der Maxi vom Bauernhof." Der Mephisto allerdings, das sei der Roger Diederen. Der rief sogleich aus dem Auditorium zurück: "Der Mephisto schafft aber die größten Kunstwerke."
Nur ist es überhaupt die Aufgabe eines Kulturmanagers, Kunst zu schaffen? Oder mit den Worten des Kulturreferenten, der Wagner gefragt habe: "Sie machen doch eine Sanierung, warum halsen Sie sich denn noch so ein Festival auf?" Das hängt mit Wagners Naturell zusammen. Die Baustelle macht ihm keine Angst, schon als Direktor am Gärtnerplatztheater habe ihn das regelrecht beflügelt: "Die Gemengelage, die Konflikte, was man da alles gemeinsam gestalten kann." Und der studierte Sänger ist eben im Grunde ein Künstler, was seiner Aufgabe im Gasteig nicht im Wege steht, sondern die Grundlage von allem ist: Das Netzwerken und Wirtschaften sei wichtig, überhaupt gehörten Kunst und Zahlen zusammen. "Aber es muss auch etwas dahinter sein; das alles hat immer mit Emotionen zu tun. Ich möchte Künstlern die Möglichkeit geben, sich zu entfalten, und die Mitarbeiter und Zuschauer sollen gut aufgehoben sein. So entstehen unvergessliche Momente." In diesem Sinne: Vorhang auf!