SZ Kultursalon:Die Sehnsucht der Sammler

Beim achten SZ Kultursalon spricht der Autor und Kunstmanager Thomas Girst über "Die Geheimnisse der Kunstwelt". Die Nymphenburger Porzellanmanufaktur bietet dafür einen verwunschen-schönen Rahmen

Interview von Susanne Hermanski

Die Geheimnisse der Kunstwelt" standen im Mittelpunkt des achten SZ Kultursalons. Der ideale Gast dafür war Thomas Girst, er ist Kurator - 2012 etwa organisierte er die Marcel-Duchamp-Ausstellung im Lenbachhaus -, Autor und seit 2003 Leiter des Kultur-Engagements von BMW weltweit. Gerade wurde er nominiert zum Europäischen Kulturmanager 2016. Ob er den begehrten Titel bekommt, ist noch geheim. Im übrigen profiliert er sich derzeit aber als Geheimnisausplauderer auf hohem Niveau, er hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel "100 Secrets of the Art World". Darin verraten namhafte Protagonisten der Szene (von Marina Abramović bis Zaha Hadid, von Bernhard Maaz bis Matthias Mühling), was sie als des Rätsels Lösung ihrer jeweiligen Kunst und Zunft begreifen. Girsts Co-Herausgeber ist dabei der umstrittene Kunstbusiness-Mann Magnus Resch.

SZ: Verraten Sie uns ein Geheimnis? Wie viele Rennen muss man gewinnen, um Leiter des Kultur-Engagements eines Autokonzerns zu werden?

Thomas Girst: Keins. Ich habe mich damals von New York aus blind beworben, ohne jemand zu kennen. Das Glück war auf meiner Seite.

Magnus Resch hat eine Handy-App auf den Markt gebracht, über die man Kunstwerke scannen und schätzen lassen konnte. Auf Drängen von Galeristen hat Apple sie aus dem Portfolio genommen. Offenbar ist die Kunstwelt gar nicht scharf darauf, ihre Geheimnisse und besonders ihre Preise zu offenbaren, oder?

Seine Idee war in der Tat, man könnte für mehr Transparenz und Demokratie sorgen, wenn man ein Bild in einer Galerie anklickt und erfährt: Wie teuer ist dieses Gemälde? Wie sind vergleichbare Preise, beispielsweise auf Auktionen, zustande gekommen? Als die App runtergenommen wurde, dachte ich: Oh, weh, was bedeutet das für unser gemeinsames Projekt? Aber das Feuilleton hat Magnus zum Ritter der Enterbten gemacht. Schließlich gibt es alle möglichen Vergleichsportale im Netz, zum Beispiel für Reisen.

SZ-Kultursalon Porzellan Manufaktur Nymphenburg

Erhellende Augenblicke am Salonabend: im Garten der Porzellanmanufaktur. Fotos (3): Matthias F. Döring

Warum ist das für Kunst nicht erwünscht?

Der Kunstmarkt ist ein 60-Milliarden-Euro-Geschäft im Jahr. Und Stefan Sagmeister, ein phantastischer New Yorker Designer, hat dazu im Buch gesagt: Wenn die Regeln der Finanzwelt auch für den Kunstmarkt gelten würden, wären alle Akteure im Gefängnis. Das ist etwas überzeichnet, dennoch nicht bar jeglicher Wahrheit.

Hat Sie eins der Geheimnisse aus dieser verwegenen Welt noch überrascht?

Die Ernsthaftigkeit mit der von Ólafur Elíasson bis Jeff Koons die Künstler an dieses Thema herangegangen sind! Oder wenn wir allein von den Münchnern sprechen, die für das Buch geschrieben haben. Lenbachhaus-Direktor Matthias Mühling schrieb nur: "Meine Großmutter war eine Konzeptkünstlerin. Als ich ein Junge war, schrieb sie mir von jedem Ort, den sie bereiste, eine Karte. Darauf stand immer nur der eine Satz: ,Alles Scheiße, Deine Emma.' Und Emma war noch nicht mal ihr Name."

Wie sehr bestimmt Insiderwissen den Kunstmarkt?

Diskretion ist Macht im Kunstbetrieb und Vertraulichkeit die Regel. Larry Gagosian, neben David Zwirner der bedeutendste Händler weltweit, sagte: "Ist nicht das Geheimnis, dass man die Geheimnisse nicht ausplaudert?" Und selten wird so viel geplaudert wie auf Kunstmessen. Menschen kaufen vielleicht weniger Kunst, als dass sie jemand anderem die Leidenschaft für diese Kunst abkaufen.

SZ-Kultursalon Porzellan Manufaktur Nymphenburg

Beim Gespräch mit Thomas Girst.

(Foto: Matthias F. Döring)

Wer sind derzeit die wichtigsten Persönlichkeiten in der Kunstwelt: die lautesten Rufer, die geschicktesten Händler?

Die Sammler mehr noch als die Künstler! Es ist Usus, dass die Sammler das Sagen haben. Sie bauen sich sogar selbst Museen statt Werke an Museen zu geben. Dabei gibt es löbliche Ausnahmen wie Ingvild Goetz, die einen Großteil ihrer Sammlung dem Freistaat Bayern geschenkt hat. Die Art Review gibt jedes Jahr die Liste heraus, von der jeder sagt, dass er sie nicht liest: "The 100 Most Influential People of the Art World." Nummer Eins ist der Kurator Hans Ulbrich Obrist, dann folgen Sammler. Der erste Künstler ist Wolfgang Tillmanns.

Wo stehen Sie auf dieser Liste?

Nirgends. Dieses Fegefeuer der Eitelkeiten muss man sich nicht antun. Ich kenne meinen Platz in diesem Betrieb. Übrigens gibt Art News "The 200 Top Collectors" heraus. Da wurde nachgehakt, wie viele Sammler im Hochpreissegment es denn tatsächlich gibt? Man zählt mittlerweile zwischen 2500 und 10 000 weltweit, die mehr als eine Million Euro jährlich auszugeben - ob am Auktionsblock oder in Galerien. Simon de Pury, der große Auktionator, sagt: Natürlich gibt Kunst sehr reichen Leuten auch ganz einfach eine Beschäftigung. Was würden sie sonst tun? Den ganzen Tag Golf spielen?

Aber viele sammeln doch gar nicht selbst, sie haben Leute, die für sie sammeln.

Die Art Advisors, ja, das ist ein großer, expandierender Industriezweig! Aber denken Sie: Wenn Sie sich ein Riva Boot kaufen - sagen wir mal für eine Million Euro - was kriegen sie dafür? Das Boot, zwei Hochglanzbroschüren pro Jahr, und sie werden auf eine Regatta eingeladen. Wenn Sie dieses Geld im Kunstbereich ausgeben, machen sie sich damit 500 Händler und 200 Kuratoren zu besten Freunden. Von der Art Basel Miami Beach bis zur Frieze New York werden sie überall hin eingeladen. Sie werden Teil dieses Ganzen. Deshalb wird der digitale Kunsthandel nie den Betrieb der Messen ersetzen, die sind Lebensstil und soziale Plattform.

Und was halten Sie von Stimmen, die bezweifeln, dass Museen im digitalen Zeitalter noch ihre Berechtigung haben?

Ich bin der Überzeugung, dass der Kunstwelt nicht bevorsteht, was dem Buchhandel blühte - mit Amazon, E-Books und Google Books. Wir haben den wunderbaren Aufsatz von Walter Benjamin aus dem Jahr 1935, "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Schon ihm ging es darum, dass man Kunst demokratisieren muss. Er freut sich, wenn es Poster von Kunstwerken gibt, auch im Dienste der Revolution, im Sozialismus. Was er dennoch einräumt, ist der Begriff der Aura eines Kunstwerks, die man nur vis-à-vis erfahren kann. Jetzt haben wir etwas wie das Google Arts Project, wo Sie an die Venus von Botticelli, die in den Uffizien hängt, so nah ranzoomen können, dass Sie jeden Pinselstrich sehen. Wenn Sie so etwas mögen, können Sie eine Stunde mit dem großen Zeh der Venus verbringen. Sie können dabei mehr Details sehen als vor dem Schutzglas im Museum selbst. Und dennoch ist es so, je öfter sie sich die Schöne online anschauen, desto mehr wollen Sie sie irgendwann auch wirklich sehen.

Isabelle Graw, Professorin an der Städelschule, sagt in Ihrem Buch, das wahre Geheimnis der Kunstwelt seien deren Ängste. Erfolglosigkeit, Statusverlust, Horror Vacui. Wovor haben Sie Angst?

Wenn man gesund ist und genug zu essen hat, hat man die Pflicht, nicht hinter seinen Möglichkeiten zurückzubleiben. Man muss immer an die ausfransenden Randgebiete seiner selbst gehen. Dass ich das mal nicht mehr könnte, davor graut mir ab und an.

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