SZ-Interview mit Wagner-Urenkelin Nike:Wie schön, Mädels! Nun macht mal.

Im Streit um die Wagner-Nachfolge in Bayreuth geht es zu wie in einem Vorabendkrimi. Urenkelin Nike spricht über die Zukunft der Festspiele und weshalb sie von ihrer Cousine Eva hintergegangen wurde. Interview: Wolfgang Schreiber

Im Streit um die Leitung der Bayreuther Festspiele, um die Nachfolge von Festspielleiter Wolfgang Wagner, kam Urenkelin Nike Wagner bisher die Rolle eines führenden geistigen Leitungsanspruchs zu. Die Tochter des 1966 gestorbenen Wagner-Enkels Wieland, Kulturwissenschaftlerin, Autorin und künstlerische Leiterin des Weimarer Kunstfestes Pélèrinage, meldete früh ihr Interesse an Bayreuth an.

SZ-Interview mit Wagner-Urenkelin Nike: Nike Wagner meldete früh Interesse an den Bayreuther Festspielen an.

Nike Wagner meldete früh Interesse an den Bayreuther Festspielen an.

(Foto: Foto: dpa)

Sie reichte Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit Cousine Eva Wagner-Pasquier beim Stiftungsrat der Festspiele ein Konzept ein, mit dem sie sich offiziell um die Leitung bewarb. Jetzt hat sich Eva anders besonnen und sich mit ihrer Halbschwester Katharina, Wolfgang Wagners jüngster Tochter, zusammengetan.

Süddeutsche Zeitung: Sind die Bayreuther Festspiele in Gefahr geraten?

Nike Wagner: Zunächst Entwarnung. Bayreuth ist ein Traumschiff in der Wirklichkeit - und alle wollen sich diesen Traum erhalten und weiterschippern. Die privaten wie die öffentlichen Geldgeber, die Wagnervereine und -gemeinden, die Kanzlerin und auch die Kunstfreunde. In summa: die Nation. Bayreuths künstlerische Schieflage, die Tatsache, dass andere Bühnen nun seit Jahrzehnten Bayreuth den Rang abgelaufen haben, ändert daran nichts. Denn Bayreuth besitzt das Haus, beladen mit Geschichte und Legende, und dieses hält alles aus. Egal wie die musikalische und szenische Darbietung ausfällt, darin wird getrampelt wie auf dem Fußballplatz. Man war dabei, es war ein Erlebnis. Und hier sind Gefahren: dass Bayreuth mal wieder verdammt synchron mit dem Zeitgeist ist, der die Künste auch anderswo gängelt, sie mehr und mehr an die große Konsensmaschine ausliefert, die irgendwo zwischen Medien, Markt und Gesellschaft funktioniert.

SZ: Ihre Cousine Eva hat am Freitagabend öffentlich ihre Absicht erklärt, eine Kandidatur mit der Halbschwester Katharina anzustreben. Hat sich dadurch die Lage der Bayreuther Festspiele verändert?

Wagner: Die Situation ist durch vertragliche Vereinbarungen offenbar jetzt schon, in Wolfgangs Sinn, auf Jahre hinaus zugemauert. Nun sollen die Festspiele obendrein einseitig von der Wolfgang-Linie dominiert werden. Klüger, angemessener und interessanter wäre eine Zusammenführung der Linien Wieland und Wolfgang Wagner gewesen.

SZ: Was hat sich durch die Kandidatur Evas verändert für Sie selbst? Fühlen Sie sich in Ihrer Ehre getroffen? Ist das bloß dynastische Familiendramatik?

Wagner: Die "Ehre" ist mir ganz wurscht - denken Sie an Sir Falstaffs Spott über "onore"! Es geht mir um die Sache Bayreuths. Dass meine Cousine Eva mich hintergangen hat, dürfte klar sein. Aber jeder Vorabendkrimi liefert einen solchen Plot.

SZ: Sehen Sie für sich selbst noch einen Platz in Bayreuth oder würden Sie sich gern zurückziehen wollen?

Wagner: Sie sehen einen glücklichen Menschen in mir: als Intendantin des Kunstfestes Weimar. Es gibt schließlich auch einige Gene Franz Liszts in unserer Sippschaft. Die wollen leuchten.

SZ: Welche Rolle spielen bei den Auseinandersetzungen Ihrer Einschätzung nach die Wagner-Verbände, die Medien, die Figuren in der Politik?

Wagner: Sie scheinen in einem einzigen wiegenden Rhythmus ineinander verschlungen. Die einen mehr tragend, die anderen mehr posaunend, und die anderen strippenziehend. Aber im Grunde wissen sehr viele sehr genau, wie es um Bayreuth bestellt ist.

SZ: Sind die Politiker, Wirtschaftsleute, Sponsoren in München, Berlin oder in Franken mit dem Bayreuth-Wagner-Thema überfordert?

Wagner: Es bedarf historischer Kenntnisse über den Auftrag und die Geschichte Bayreuths, es bedarf eines Durchblicks durch die Stiftungssatzung und durch so manches Lügengewebe um Personen und Strategien. Das ist Menschen aus anderen Bereichen in der Tat kaum zuzumuten.

Wie schön, Mädels! Nun macht mal.

SZ: Sie schrieben auch schon 1995, das Problem Bayreuth werde "historisch und ästhetisch und politisch neu zu bedenken" sein. Warum genügen nicht neue Personenkonstellationen?

SZ-Interview mit Wagner-Urenkelin Nike: Der bisherige Leiter der Bayreuther Wagner-Festspiele: Wolfgang Wagner (88)

Der bisherige Leiter der Bayreuther Wagner-Festspiele: Wolfgang Wagner (88)

(Foto: Foto: AP)

Wagner: Neue Personen können sehr wohl Neues bewirken. Das Neue darf aber nicht mit einer erhöhten medialen Verwertung der Festspiele verwechselt werden. Das Neue kann nur aus künstlerischen Erwägungen, aus der interpretatorischen und programmatischen Phantasie kommen.

SZ: Können Sie ein paar wesentliche Punkte aus Ihrem Konzept nennen, die eine künstlerische und strukturelle Weiterentwicklung der Festspiele bedeuten würden? Braucht Bayreuth Revolution oder Evolution?

Wagner: Bitte weder marxistisch noch biologistisch! Bayreuth braucht stringentes Kunst-Denken, das heißt "bessere" Auswahl und Koordination der Künstler, kühnere Programmgestaltung. Zum Ausgleich gegen den etwas einförmigen Wagner-Monotheismus im Sommer braucht Bayreuth zusätzlich eine "experimentelle Saison" - in der junge Künstler den Raumklang und die Medienkünste Wagners weiterdenken.

SZ: Wie würden Sie auf ein mögliches Plagiat reagieren, wenn Sie in einem Konzeptpapier von Eva und Katharina Wagner Eigenes wiederfinden?

Wagner: Wäre ich ein überirdischer Charakter, würde ich sagen: Wie schön, Mädels, dass Ihr meine Ideen verwirklichen wollt! Nun zeigt mal, dass ihr das auch könnt.

SZ: Warum sind die Namen Richard Wagner und Bayreuth, diese Festspiele, ein so neuralgischer Punkt in der deutschen Befindlichkeit bis heute?

Wagner: Das hat viel mit der deutschen Geschichte, der späten Nationwerdung, den Identitätsproblemen der Deutschen zu tun. Nach dem Krieg noch einmal in anderer Brechung und Drehung. Es hat aber genau so viel zu tun mit den Wundern der Partituren, mit Wagners Kunst des Aufrührens archaischer Gefühle, der erotisch-magischen Wirkung seiner Musik. Tja, das haben Thomas Mann und Nietzsche schon besser gesagt. Ich füge nur hinzu, es hat auch mit der einmaligen Verrücktheit des Ganzen zu tun: Ein mittelloser Komponist diktiert der Welt seine Wünsche, baut ein Haus nur für seinen "Ring". Die Witwe zimmert daraus "Festspiele", erfindet das dynastische Modell für die Leitung.

SZ: Warum ist Bayreuth für Sie selbst so wichtig? Ist der Gedanke, die Forderung des Dynastischen in diesem Umfeld noch zeitgemäß?

Wagner: Vielleicht hilft ein Blick auf meine Prägungen. Ich bin in Wahnfried und im Festspielhaus, vor allem aber in der geistigen und künstlerischen Atmosphäre Wieland Wagners aufgewachsen. Habe mit meinen Schwestern in der Choreographie meiner Mutter auf der Festspielbühne getanzt. Später habe ich mir dieses emotionale Erbe durch die geistige Auseinandersetzung mit Wagner, seinem Kontext, seinen Werken erarbeitet. Und die Praxis des Festspielmachens in Weimar gelernt. Die "Eignung" für eine Festspielleitung ist da, das wird keiner bestreiten. Dennoch plädiere ich für eine Teilung der Gewalten: repräsentative Funktionen für die Wagners in Bayreuth, die künstlerische Leitung aber bitte in die Hände der besten Musiktheater-Macher dieser Welt!

SZ: Was sollte jetzt, sofort in Bayreuth geschehen?

Wagner: Die Verantwortlichen müssen sich Zeit lassen. Sie haben ja längst einen Interims-Intendanten installiert, es kann dem Traumschiff nichts passieren. Sie müssen die Langfristigkeit ihrer jetzigen Entschlüsse einsehen: Eva scheidet bald aus, Katharina wird einen Verlängerungsvertrag nach dem anderen bekommen und wieder werden sich keine anderen Bewerber melden. Will man diese unendliche Perspektive? Dass ein Wagnerspross in Bayreuth Wagner inszeniert, nur weil er Wagner heißt? Lernen wir nichts aus der Geschichte?

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