Süddeutsche Zeitung

SZ Cinemathek:Emanzipation im Vulva-Boot

Der Dokumentarfilm "#FemalePleasure" erzählt von weiblicher Sexualität und Unterdrückung.

Von Juliane Liebert

Dräuende Ambientsynths, Hochglanzwerbebilder, die Frauen als devote Sexualobjekte zeigen. Dann die Stimme von Leyla Hussein, einer somalisch-britischen Psychotherapeutin, die sich gegen Genitalverstümmelung engagiert. Sie fragt mit bebender Stimme, warum Männer die Sexualität von Frauen fürchten und bekämpfen.

So beginnt der Dokumentarfilm "#Female Pleasure" (der Hashtag im Titel dient wohl als Signal, dass wir es mit modernem Aktivismus zu tun haben), und diese Passage gehört zu den schwächeren des Films. Die Emotionalisierung und allzu allgemeinen Sentenzen lassen "das Patriarchat" als eine Art allumfassende finstere Macht erscheinen, die jedoch glücklicherweise von ein paar unbeugsamen Jedifrauen bekämpft wird. Eine gute Story, aber sie lenkt von den konkreteren Einsichten ab, die Barbara Millers Dokumentation durchaus auch zu bieten hat. Denn glücklicherweise wird es schnell konkreter. Wir sehen die fünf Protagonistinnen in ihrem Alltag, hören ihre Einsichten zum System der (sexuellen) Unterdrückung von Frauen. Eine Episode von hoher Symbolkraft: Vithika Yadav, die in Indien für sexuelle Aufklärung kämpft, ist beim Joggen zu sehen. Als sie um eine Straßenbiegung läuft, schwenkt die Kamera auf ein paar Kühe, die in gemütlicher Heiligkeit mitten in der Stadt auf einem Rasenstreifen stehen. Auch in Indien leben die Milch gebenden Paarhufer nicht im Paradies, aber sicherer als Frauen sind sie allemal.

Vithika Yadav sagt: "Religion ist einer der schlimmsten Mörder der Welt." Und tatsächlich ist Religion, so macht der Film deutlich, eines der mächtigsten Werkzeuge, um Frauen kleinzuhalten. Sicher sind die Zustände im hinduistischen Kastenwesen, die massenhafte Verstümmelung von Mädchen (nicht nur) in Afrika und die Widerstände, gegen die Deborah Feldman sich aus der Parallelwelt des orthodoxen Judentums in New York befreien musste, nicht in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar. Aber Religion spielt überall eine Rolle.

Sogar für die japanische Künstlerin Rokudenashiko, die mit Vulva-Kunst die konservative japanische Gesellschaft herausfordert und dafür wegen Obszönität angeklagt wird. Völlig akzeptiert sind gleichzeitig Shinto-Rituale, bei denen alle an Penislollis lutschen und ein riesiger Phallus in einer Prozession umhergetragen wird. Das ist zwar fröhlicher als Fronleichnam, aber noch hübscher wäre ein großer Umzug mit Rokudenashikos teils sehr witziger Kunst. Neben ihren Manga, die anhand ihrer eigenen Erfahrung von weiblicher Sexualität erzählen, stellt sie Abdrücke ihrer Vulva her, die sie bemalt und zu Miniaturlandschaften ausbaut. Auch digitalisiert hat sie ihren Abdruck, für jederfrau im Internet abrufbar. Sie selbst hat sich ein Vulva-Boot mit dem 3-D-Drucker drucken lassen. Leider wird in den Untertiteln an einigen Stellen mit Vagina übersetzt, wenn eigentlich die Vulva gemeint ist.

In der Welt der ehemaligen Ordensschwester Doris Wagner wiederum war das weibliche Geschlechtsorgan vollkommen tabu. Züchtige Unterröcke verhinderten jedoch nicht, dass sie von einem Pater vergewaltigt wurde. Sie rang sich dazu durch, darüber zu sprechen, wurde ignoriert oder selbst beschuldigt, stand kurz vor dem Suizid. Aber sie kämpfte sich aus der Unmündigkeit und ist heute verheiratet, hat ein Kind und schreibt an ihrer Promotion. Überhaupt zeigt der Film, dass Aufklärung über weibliche Sexualität in viel größerem Ausmaß auch Aufklärung im philosophischen Sinn bedeutet.

Leyla Hussein, deren Rhetorik am pointiertesten ist, erkennbar geschult an Bühnenauftritten und der angelsächsischen Debattenkultur, wendet sich wie auch Vithika Yadav scharf gegen den mit identitätspolitischen Moden spielenden Trick, Gewalt und Unterdrückung mit "kulturellen Traditionen" zu rechtfertigen. Hussein wird deshalb mit dem Tode bedroht und auf der Straße bespuckt. Ihren Humor hat sie trotzdem nicht verloren: "Würde Männern massenhaft der Penis abgeschnitten, gäb es deshalb einen neuen Irakkrieg."

Regisseurin Barbara Miller will Mut machen. Das führt dazu, dass sie ein wenig zu sehr darin schwelgt, wie großartig ihre Protagonistinnen sind. Doch ein klarer Verstand, eine beeindruckende Entschlossenheit, Witz und Lebenslust zeichnet sie tatsächlich alle aus.

#Female Pleasure, D/Schweiz 2018 - Regie, Buch: Barbara Miller. Kamera: Anne Misselwitz. Schnitt: Isabel Meier. X Verleih, 101 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2018
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