Syrisches Kino:Erotik und Politik

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Die 25-jährige Nahla (Manal Issa) gibt sich noch ihren Träumereien hin, während der Terror langsam in ihren Alltag eindringt. (Foto: Grandfilm)

Die Regisseurin Gaya Jiji erzählt in ihrem Drama "Mein liebster Stoff" eine Geschichte aus Damaskus kurz vor dem Krieg.

Von Philipp Stadelmaier

"Wir reden nicht darüber, mach lieber deine Hausaufgaben", mahnt die Mutter das Mädchen, das gerade von Nachrichten aus dem Internet erzählt. Auch im Radio wird von Protesten berichtet. Auf der Straße fordern Demonstranten das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Bekämpfung der Korruption und das Ende des Ausnahmezustands. Polizei und Militär reagieren mit Gewalt und Verhaftungen.

Wir sind in Damaskus, im Jahr 2011. Es ist der Beginn des syrischen Bürgerkrieges, der bis heute andauert und zur humanitären Katastrophe geworden ist. Das junge Mädchen mit den kurz geschorenen Haaren lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern in einem Apartment. Sie warnt: "Es wird etwas Schreckliches passieren."

Aber "Mein liebster Stoff", der erste Spielfilm der syrischen Regisseurin Gaya Jiji, dreht sich weniger um die Vorherseherin des künftigen Schreckens, als um ihre unverheiratete, fünfundzwanzig Jahre alte Schwester Nahla (Manal Issa). Und die sieht die Dinge weniger klar.

In erster Linie hat Nahla, die in einer Kleiderboutique arbeitet, andere Sorgen - nämlich erotische. Ein in den Vereinigten Staaten lebender Syrer, der zurück in die Heimat gekommen ist, um eine Ehefrau zu finden, findet in ihren Augen zunächst wenig Gnade. Stattdessen fantasiert sie von einem idealen, schnurrbärtigen Liebhaber, der sie mit der Zartheit seiner Worte und Liebkosungen verwöhnt. Als in der Wohnung über ihr eine Frau ein Bordell einrichtet, wird Nahla ganz in den Bann der dort herrschenden schummrigen Atmosphäre gezogen, in der sie sich schließlich auch gelegentlich einnistet. Sie gibt vor, ihren imaginären Liebhaber zu treffen, aber die Bordellchefin erkennt den Schwindel schnell: "Wie oft am Tag besorgst du es dir eigentlich selbst?"

Gleichzeitig fällt Nahlas Blick auf Spannungen, auf Kleinigkeiten, die für sich erst mal keine Bedeutung haben müssen, aber doch schon aufgeladen sind mit bedrohlichen Vorahnungen: der Streit mit einer Kundin in der Boutique, der gierige Blick eines Mannes vom Laden gegenüber. Wenn Nahla anfangs mit dem Bus durch die nächtliche Stadt fährt, sieht sie durchs Fenster eine Wohnung, in der ein Mann einen Vorhang zuzieht. Bei einer späteren Busfahrt entdeckt sie an derselben Stelle einen Soldaten, der auf den Dächern patrouilliert. Die Präsenz des Militärs wird immer offensichtlicher.

Auch das Bordell in ihrer Nachbarswohnung entdeckt Nahla erst mit der Zeit. In diesem "geschlossenen Haus" verkehrt ein Soldat, der sich von den Frauen arabische Märchen erzählen lässt, um sich von der Brutalität seines Alltags abzulenken. Regisseurin Jiji zeichnet auf subtile Weise nach, wie Krieg und Tod immer mehr in den Alltag eindringen. Besonders Nahla, die in ihrer Traumwelt lebt und einen etwas verschleierten Blick auf die Wirklichkeit hat, repräsentiert diesen Moment, an dem der Film spielt, kurz bevor der Krieg richtig losgeht. Dieses Zwischenreich, in dem der Horror sich schon ankündigt, aber noch nicht präsent ist. Als könnte man an den Schrecken dieses Krieges noch nicht ganz glauben. Als würde ein ganzes Land in einem Traum leben, an der Schwelle zum Aufwachen im Schrecken.

Jiji, die erst in Paris Film studiert hat und später dorthin geflüchtet ist, hat nicht nur einen Film über Frauen im Damaskus der Vorkriegszeit gemacht; vor allem verwebt sie auf großartige Weise Erotik und Politik. Die kommenden Albträume kündigen sich an unter der Maske eines kitschigen Traummannes mit Schnurrbart. Denn der Körper von Nahlas imaginärem Liebhaber, dem großen Abwesenden des Films, verweist schon auf die zukünftigen Abwesenden: auf die Entführten, Toten, Geflohenen. Immer wieder geht die Kamera auf Tuchfühlung, ganz nah ran an die Haut, die Gegenstände, den Stoff der Wirklichkeit. Als würde sie sich versichern wollen, dass man das, was man sieht, noch berühren kann. Was wir sehen, sind nicht nur die Toten von morgen, sondern, aus heutiger Perspektive, auch von gestern: Spuren der Auslöschung eines mittlerweile zerstörten Lebens.

Mon tissu préféré , Frankreich, Deutschland, Türkei 2018 - Regie und Buch: Gaya Jiji. Kamera: Antoine Héberlé. Mit Manal Issa, Ula Tabari, Souraya Baghdadi. Grandfilm, 94 Minuten.

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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