Syrische Literatur:Apfel mit Oberlippenbart

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Die in Berlin lebende syrische Autorin Rasha Abbas erkundet sehr vergnüglich die Tücken der deutschen Grammatik aus der Perspektive von Migranten, die es mit deutschen Ämtern aufnehmen müssen.

Von Thorsten Glotzmann

Angenommen, das Regelwerk der deutschen Grammatik wäre aus den willkürlichen Beschlüssen eines maliziösen Gremiums hervorgegangen, dann könnte es dabei so zugegangen sein wie in Rasha Abbas' Erzählung: "Ich sehe keinen Grund, warum wir es uns ausgerechnet zur Aufgabe machen sollten, ausländischen Lernenden die Sache einfacher zu machen. Sehe ich in deinen Augen aus wie ein Reisebüro?" So poltern die Herren, ehe sie beschließen, dass der Apfel, der doch weiblich sein müsste, wie es etwa die romanischen Sprachen wollen, jetzt eben maskulin werde. Und der Mond obendrein auch. Basta. "Wir werden die Artikel so gestalten, dass sie jeden Lernenden restlos entmutigen."

Einen solch diabolischen Sprachschöpfungsakt imaginiert die in Berlin lebende syrische Autorin Rasha Abbas in ihrem Kurzgeschichtenband "Die Erfindung der deutschen Grammatik" ( Rasha Abbas: Die Erfindung der deutschen Grammatik - Geschichten. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl. mikrotext, Berlin 2016. Ca. 200 Seiten auf dem Smartphone, 3,99 Euro). Abbas gesellt sich damit der Reihe syrischer Autoren zu, die sich den Themen Flucht, Asyl und Integration humoristisch nähern - wie Assaf Alassaf, der in "Abu Jürgen" von der Warterei auf ein Visum und der Freundschaft eines Syrers und eines deutschen Diplomaten erzählt. Aus den mikrotext-Büchern - wie aus den millionenfach abgerufenen YouTube-Videos des Syrers Firas al-Shater - sprechen kluge, munter fabulierende Beobachter, die sich die eigenartigen Deutschen und ihre noch eigenartigere Sprache mit unverbittertem Humor zu erklären versuchen.

Das Jobcenter entpuppt sich als Adventure Game mit mindestens mittlerem Schwierigkeitsgrad

Für das Genus-Problem, traditionell eine große Hürde beim Lernen des Deutschen, gibt es bei Rasha Abbas eine kreative Lösung: In einer der 15 Geschichten malt die Erzählerin die Substantive auf Blätter, und zwar so, dass ihr Geschlecht nicht zu übersehen ist: "eine Orange mit Busen, eine Suppe, die Antibabypillen schluckt, ein Apfel mit Oberlippenbart, Fische und Züge mit Penissen und zweiköpfige Kinder, mit je einem weiblichen und einem männlichen Kopf."

Meist kreisen Abbas' Erzählungen um ein Motiv, das der Berliner Lebenswelt entnommen sein könnte, doch sie überzeichnet und übersteigert es derart, dass es sich im Grotesken verliert. Mitunter artet das in Albernheiten aus, etwa, wenn die Erzählerin die geschlossenen Cafés und vorweihnachtlichen Schlangen an den Supermarktkassen als Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs deutet und sich in eine Hipster-Apokalypse hineinfantasiert, wobei sie sich gegen die vegetarischen Feinde mit Fleischwasser aus Pflanzensprühbehältern wappnet.

An anderen Stellen aber hat die überbordende Freude am Surrealen auch etwas Entlarvendes. Bei den Behördengängen in Deutschland schaltet sich bei der Erzählerin der Computerspiel-Modus ein, als seien die Dokumente Aufgaben, die sie lösen muss, um ins nächste Level zu kommen. Ihr kommt all das vor wie ein Adventure Game mittleren Schwierigkeitsgrads, bei dem sie auf Hilfselemente wie die Wachstumspilze aus Supermario angewiesen ist - in Gestalt deutscher Freunde, die beim Übersetzen helfen.

Auch das "Monsterlevel" namens Jobcenter besteht sie nur dank des Dolmetschers Saleh: "Wirklich, du bist besser als der Make-Happy-Cheat in den Sims!" In solchen Momenten wohldosierter Fantasie gewinnt Rasha Abbas der traurigen Lageso-Wirklichkeit eine erfrischend komische Note ab. Zugleich macht sie die Monster sichtbar, die sich im Gestrüpp deutscher Grammatik und Bürokratie verbergen.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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