Das Ende der Welt muss verschoben werden, wieder einmal. Die finale Schlacht von Gut gegen Böse, die Rückkehr des Messias und das Jüngste Gericht - all das erschien den Anhängern des sogenannten Islamischen Staates greifbar nah. Vor zwei Jahren hatten sie den Ort Dabiq erobert, ein Nest im Norden Syriens, unweit der türkischen Grenze. Dabiq ist strategisch gänzlich uninteressant und hat auch sonst nicht viel zu bieten: ein paar Dutzend Häuser, überragt von einem Hügel, umgeben von Feldern. Trotzdem jubelte der IS: Laut zwei Hadithen (so nennt man die Überlieferungen aus dem Leben Mohammeds) soll hier einmal die entscheidende Schlacht geschlagen werden, die den Jüngsten Tag einleitet. Ein Kampf um Dabiq steht nun zwar unmittelbar bevor - nur wird es wohl anders, als die alten Schriften voraussagen.
Eigentlich, so die Prophezeiung Mohammeds, sollten in Dabiq einmal die Muslime gegen ein riesiges Heer von Ungläubigen antreten: "Sie werden sich gegen Euch unter 80 Flaggen vereinen, und unter jeder Flagge sind 12 000 (Männer)", heißt es in der Überlieferung. Die hier beschriebene Allianz der Kreuzzügler konnte für viele Dschihadisten nur eine Metapher für die internationale Anti-IS-Koalition unter Leitung der USA sein - und dass die Sache letztlich negativ für die Ungläubigen ausgehen wird, verrät der Hadith auch: Ein Drittel der Muslime werde während der Schlacht fliehen, ein weiteres Drittel getötet, die verbleibenden Kämpfer aber würden schließlich einen glänzenden Sieg erringen, der die Apokalypse herbeiführt.
Nun ist dieses Endzeitszenario nur eines von mehreren, die im Islam bekannt sind. Dabiq wurde erst wieder ein Begriff, als Abu Musab al-Sarkawi den Ort erwähnte, der 2006 getötete Gründer der IS-Vorgängerorganisation. Wie wichtig das Dorf aber für die Ideologie der Dschihadisten geworden ist, zeigt die prominente Rolle, die sie ihm in der Propaganda einräumen: Das über das Internet verbreitete Hochglanzmagazin des IS ist nach Dabiq benannt, in Videos beschwören Rekruten aus dem Westen, dass sie hier einmal Soldaten aus ihren Heimatländern massakrieren werden. Bei der medial inszenierten Enthauptung des Entwicklungshelfers Peter Abdul-Rahman Kassig nahm sein als "Jihadi John" bekannt gewordener Mörder klaren Bezug auf die Endzeitmythologie: "Heute beerdigen wir den ersten amerikanischen Kreuzritter in Dabiq", sprach der Vermummte in die Kamera. "Wir warten sehnsüchtig auf das Eintreffen des Restes eurer Armeen."
Nun bereiten sich aber keine Kreuzritter, sondern Muslime auf die Schlacht um Dabiq vor: Türkische Soldaten wollen den Ort bald mit der von ihnen unterstützten Freien Syrischen Armee einnehmen. Dass auch die Türken ein Gespür für Symbolik haben und sich gerne auf Dabiq beziehen, zeigt ein Blick in die Geschichte: Am 24. August 1516 besiegte hier der osmanische Sultan Selim I. das Heer der Mameluken. Deren Reich stand zumindest nominell in der Nachfolge des Ur-Kalifats, Selim setzte ihm ein Ende, als er in der Folge große Teile der arabischen Welt eroberte. Die Offensive "Schutzschild Euphrat", mit der die Türkei den IS gerade von ihren Grenzen vertreibt, begann auch an einem 24. August - die türkischen Panzer rollten am 500. Jahrestag des Sieges von Dabiq auf syrischen Boden.