Diese schöne Trotzreaktion auf den neofaschistischen Anschlag in Halle war überfällig. Anstatt nur mit Empörungsworten Hilflosigkeit gegenüber antisemitischen Gewalttaten zu demonstrieren, wird in Hamburg gebaut. Die Bürgerschaft hat am Mittwoch, in ihrer letzten Sitzung vor der Neuwahl, als Reaktion auf den Anschlag einstimmig beschlossen, den Vorschlag des Landesrabbiners Shlomo Bistritzky zu unterstützen, die einst größte Synagoge Nordeuropas in fünf bis sechs Jahren neu zu errichten. Im Grindelviertel, so der Wunsch der jüdischen Gemeinde, soll die einstige Bornplatzsynagoge am originalen Platz in der ursprünglichen Architektur rekonstruiert werden. Dazu wurden bereits 600 000 Euro an Bundesmitteln für eine Machbarkeitsstudie eingeworben.
Das 1906 im historisierend romanischen Stil eröffnete Gebäude mit seiner 40 Meter hohen Kuppel war in der Reichspogromnacht zerstört und 1939 von den Nazis geschleift worden - auf Kosten der jüdischen Gemeinde. Nachdem die Fläche lange als Parkplatz der benachbarten Universität genutzt wurde, befindet sich dort seit 1988 ein unbeachtetes Bodendenkmal, das mit Pflastersteinmosaik den verlorenen Baukörper als Grundriss nachzeichnet. Als "starkes Symbol jüdischen Lebens" soll das imposante Gebäude in die Stadt zurückkehren - denn die jüdische Gemeinde in Hamburg wächst kontinuierlich, besitzt aber nur beschränkte Räumlichkeiten.
Natürlich ist der Wunsch, das faschistische Angriffsziel von 1938 im Stil der Vorkriegszeit neu entstehen zu lassen, eine Trotzreaktion gegen die Dogmen der Gegenwartsarchitektur, wonach man unbedingt im Stil der Zeit zu bauen habe. Deshalb hat Hamburg jetzt seine Wiederaufbaudebatte, noch ein leiser Wind unter größeren Stürmen, wie man sie vom Berliner Stadtschloss oder wegen der Rekonstruktion des Frankfurter Domviertels kennt. Aber der Streit rollt an und ist in kürzester Zeit dem altbekannten Argumentationskonflikt verfallen: Kann eine originalgetreue Rekonstruktion emotionale Wunden heilen, oder ist sie Ausdruck eines "revisionistischen Geschichtsverständnisses", wie jetzt der Vorwurf wieder lautet?
Kann man "das Gedenken hinter sich lassen"? Kritik gibt es an der exakten Rekonstruktion
Die Position von Philipp Stricharz, dem Vorstand der jüdischen Gemeinde Hamburgs, erfährt große Zustimmung der politischen Parteien. Nach Stricharz' Ansicht ist dem Versuch der Nazis, die jüdische Kultur auszurotten, vernünftig damit zu begegnen, dass man das Judentum in seiner damaligen Erscheinung wieder sichtbar macht - sonst hätte Hitler mit seiner Auslöschungspolitik ja gewonnen. Und damit spricht er im Sinne seiner Gemeinde, die sich ihr Gotteshaus in großer Einmütigkeit als rekonstruierenden Neubau mit modernisiertem Innenleben wünscht.
Miriam Rürup, die Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, ist aber genau der große politische Konsens gegenüber der Rekonstruktionsidee suspekt. Sie glaubt, die Bornplatzsynagoge in ihrer alten Gestalt würde den Eindruck eines "Schlussstrichs" erwecken, ein Symbol sein für eine konservative Wende, die "das Gedenken hinter sich lassen" will. Sie plädiert für einen Architekturwettbewerb, der mit zeitgenössischen Mitteln die "Lücke" und "Leere" baulich thematisiert, die durch die Schoa verbrochen wurden. Der Vorgängerbau dürfe höchstens in Anleihen "zitiert" werden.
Die Grundlage dieses Streits ist der alte ideologische Konflikt der Nachkriegszeit. Damals wollte die angeblich "gute" Moderne den Spuk des "bösen" Historismus vertreiben, der symbolisch mit Faschismus gleichgesetzt wurde. Damals setzte sich eine moralische Verknüpfung durch, die bis heute wirkt. Dabei gab es diese saubere Front niemals. Ein Großteil der "modernen" Nachkriegsplaner stammte direkt aus dem Wiederaufbaustab von Albert Speer, und die wichtigsten Ahnherren der Moderne - von Mies van der Rohe über Le Corbusier bis zu Philip Johnson - haben allesamt intensiv mit dem Faschismus kollaboriert. Doch deren geistige Erben erklären heute immer wieder mit großem Aplomb ausgerechnet die Bewahrung historischer Qualitäten in der Baukultur als politisch rechts verdächtig.
Erst kürzlich brach diese zweifelhafte Diskussion wieder massiv auf, als das modernistische Architekturmagazin Arch+ die Wiederherstellung zerstörter Architektur wie am Frankfurter Römer pauschal als "Rechte Räume" denunzierte. Dabei sind richtig Rechte wohl viel eher in den Scheibenhaussiedlungen der klassisch modernen Stadtplanung zu Hause als in originalgetreu wiederaufgebauten Stadtkernen wie in Ypern, Middelburg oder Warschau. Dort heilten nach Abzug deutscher Panzer tatsächlich Wunden, indem die Planer die heute überall als Verlust beklagte Identität ihrer Städte akkurat wiederherstellten.