Symposium:Kein Festspielfeigenblatt

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Erstmals diskutieren die Bayreuther Festspiele, welche Rolle Richard Wagner im Nationalsozialismus gespielt hat. Das ist bemerkenswert, schließlich ist das Festival diesem heiklen und für sie durchaus unrühmlichen Thema bisher aus den Weg gegangen.

Von Julia Spinola

Wissen wir nicht fast alles über Wagners Antisemitismus, Hitlers Wagner-Wahn und sein "Hoftheater" Bayreuth? Debattiert die Wagnercommunity nicht seit Jahrzehnten den Judenhass des Meisters und wägt ihn ab gegen die Größe seiner Musik? Keineswegs. Die diesjährigen Festspiele holen das Thema auf starke Weise aus seiner Historizität und rücken es nah an unsere aktuelle Wahrnehmung heran.

Gerade noch saßen wir als Zuschauer vor dem mit Holzvertäfelung, Büchervitrinen und ornamentaler Blütentapete verzierten Salon des Hauses Wahnfried in Barrie Koskys Inszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses. Kurz nach der begeistert aufgenommenen Eröffnungspremiere sitzen Wissenschaftler und Kulturschaffende in eben jenem Salon des Wagner-Wohnhauses und debattieren zum Auftakt eines Wagner-Symposions über Koskys Inszenierung.

Als Lieblingswerk von Adolf Hitler, Reichsparteitagsoper und Durchhalte-Stück auf dem Grünen Hügel gegen Kriegsende schleppen die "Meistersinger" bis heute schwer an ihrem völkisch-chauvinistischen und mehr oder minder offenen antisemitischen Gedankenerbe - bei aller avanciert-musikalischen Kühnheit, die das Stück birgt.

Doch während Kosky das Publikum offensiv mit einer provokanten Bilderflut bestürmte, in der er den Antisemitismus einmal gar in Gestalt einer fast bühnenfüllenden aufgeblasenen Judenkarikatur als omnipräsentes Wahngebilde in den Raum stellte, nehmen die Diskutanten auf dem Podium ihre Aufgabe in einer eher zurückhaltenden Meta-Debatte wahr. "Zuviel des Guten", sei diese Karikatur gewesen, findet der Wissenschaftshistoriker Mitchell G. Ash, während der ehemalige Intendant der Stuttgarter Oper und Präsident der Bayerischen Theaterakademie Klaus Zehelein seine grundsätzliche Skepsis gegenüber der biografischen Deutung von Kunstwerken zum Ausdruck bringt.

Barrie Koskys Regie der "Meistersinger" folgt Freuds Gesetzen des Traums

Einzuwenden wäre, dass Koskys Rekurs auf die Biografie Wagners tatsächlich weniger hermeneutischen, als vielmehr gestalterischen Zwecken dient. Denn seine szenischen Bilder folgen keiner stringenten Deutungslogik im Sinne des Prinzips von Ursache und Konsequenz, sondern sie gehorchen den Gesetzen des Traums, so wie Sigmund Freud sie beschrieben hat. Nach den Regeln von Überdetermination, Verdichtung und Verschiebung webt Kosky ein assoziatives Netz, dessen Konnotationen keine einfachen Antworten suggerieren, sondern die Deutungsanstrengungen des Zuschauers beständig irritieren und in produktiver Bewegung halten.

Die Musikwissenschaftlerin Dörte Schmidt lobte, dass so die "musikalischen Formbemühungen" Wagners szenisch sinnfällig geworden seien. Auf die brisante Aktualität der Inszenierung verwies der ehemalige Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts Micha Brumlick. Es sei Koskys Verdienst, so Brumlick, jenen "eliminatorischen Judenhass" Wagners auf die Bühne gebracht zu haben, den man vornehmlich aus der Sekundär- und Tertiärliteratur kennen würde.

Die Diskussion zur Inszenierung von Barrie Kosky bildete den Auftakt eines zweitägigen Symposions mit dem Titel "Diskurs Bayreuth". Mit ihm realisieren die Festspiele zum ersten Mal das lang angekündigte Vorhaben eines künstlerisch-wissenschaftlichen Begleitprogramms, das sich mit der ambivalenten Wirkungsgeschichte Wagners auseinandersetzen soll. Festspielchefin Katharina Wagner treibt so ambitioniert jene Öffnung der Festspiele voran, die längst überfällig war. Für den musikalischen Teil des Begleitprogramms wählte man vor allem Werke von Gegnern oder Opfern des nationalsozialistischen Regimes. Mit dem Sextett op. 55 von Hans Pfitzner stand jedoch das Werk eines Protagonisten des "Dritten Reichs" auf dem Programm, als "Provokation", wie die Kuratorin Marie Luise Maintz erklärte. Für die nächsten Jahre ist man mit zeitgenössischen Komponisten im Gespräch, die über ihre Auseinandersetzung mit Wagner referieren sollen. 2018 soll es sogar eine Musiktheater-Uraufführung geben.

Den unmittelbaren Anstoß zu diesem Begleitprogramm habe die Verpflichtung Barrie Koskys als Regisseur gegeben, erklärt Marie Luise Maintz. Und von Anfang an sei klar gewesen, dass sich das Symposion zu allererst dem Thema "Wagner im Nationalsozialismus" widmen müsse, um das man auf dem Grünen Hügel allzu lange einen Bogen gemacht habe.

Die am Zentrum für Jüdische Studien arbeitende Literaturwissenschaftlerin Irmela von der Lühe legte in rhetorisch brillant dar, wie dezidiert und scharf sich Thomas Mann mit Bayreuth und mit seiner eigenen Wagner-Verehrung auseinandergesetzt hat, indem er Nietzsches Wagner-Kritik radikalisierte. Mann habe schon früh gesehen, dass aus dem bei Wagner vorgeprägten und vom Wagner-Kult beschworenen Hoheitsanspruch der deutschen Musik ein politischer Übermachtsanspruch abgeleitet worden sei.

Brumlick attestierte in seinem Vortrag dem Werk Wagners ein zukunftsträchtiges Potenzial - etwa indem er die Leitmotivtechnik mit Freuds Traumdeutung und den "Ring" mit der Kapitalismuskritik von Karl Marx in Verbindung brachte. Auch die Untergangsszenarien - der Weltenbrand der "Götterdämmerung", der "Wahn"-Monolog des Sachs in den "Meistersingern" - nähmen indes schon die Katastrophen des 20. Jahrhunderts voraus. Von einer Usurpation Wagners durch Hitler könne daher ebenso wenig gesprochen werden, wie man indes umgekehrt Wagner zum Propheten Hitlers erklären könne.

Immer wieder zitierte Autorität: Hans Rudolf Vagets neues Buch "Wehvolles Erbe"

Daran, dass der Bayreuther Wagner-Kult, den große Teile des deutschen Bürgertums mitgetragen haben, von Anfang an völkisch und antisemitisch geprägt gewesen sei, ließen Brumlick und von der Lühe in ihrer Diskussion keinen Zweifel. Auch das sogenannte "Neu-Bayreuth" nach 1945 sei letztlich nur Ausdruck einer Verdrängung gewesen, weil Wieland Wagners Inszenierungen eine Flucht ins Unverbindliche unternahmen.

Der Publizist Gerhard Koch suchte dann nach dem geistigen Erbe Wagners bei Hans Pfitzner, Karlheinz Stockhausen, Alexander Skrjabin und Hans-Jürgen Syberberg. Klaus Zehelein und der Komponist Dieter Schnebel wurden als Zeitzeugen einer vermeintlichen "Stunde Null" zum Neuanfang des Musiklebens in Bayreuth und bei den Darmstädter Musiktagen Dass auch es auch hier mehr Kontinuitäten als Brüche gab, verdeutlichten die Vorträge von Mitchell Ash und Dörte Schmidt . Als immer wieder zitierte Autorität im Hintergrund prägte das neu erschienene Buch von Hans Rudolf Vaget "Wehvolles Erbe - Richard Wagner und Deutschland" die Diskussionen.

Wenn der "Diskurs Bayreuth" in den kommenden Jahren so engagiert und fundiert fortgesetzt wird, kann man sich zudem auf eine spannende Publikationsreihe freuen. Schon dieses Jahr bot dieses Rahmenprogramm weit mehr als nur ein Festspieleigenblatt.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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