Süddeutsche Zeitung

Symbolverschleiß in der Eurokrise:Säulen aus Athen

Überall Athen: Einst standen die griechische Tempel für steinerne Erhabenheit und wurden mehrfach nachgeahmt, nun müssen sie Tag für Tag als Bebilderung der Euro-Krise herhalten. Ob sie das auf Dauer verkraften?

Johan Schloemann

Jeden Tag sehen wir sie jetzt, mehrmals am Tag, in der Zeitung, im Fernsehen und im Internet: griechische Säulen und griechische Tempel. Meistens ist der Tempel der Athena Parthenos auf der Akropolis abgebildet; zwischendurch sieht man auch mal andere antike Ruinen, man will ja nicht unablässig den stolzen Burgberg von Athen zeigen. Es ist eben nicht leicht, sich von abstrakten, unermesslichen Finanzthemen, denen dramatische Bedeutung zukommt, ein Bild zu machen. Und doch wird ein Bild unbedingt gebraucht.

So sind die fragmentarisch erhaltenen Säulen, insbesondere die dorischen Säulen von der Akropolis, längst zum festen Emblem der griechischen Staatsverschuldung und der Bedrohung der europäischen Gemeinschaftswährung geworden. Jeder der Regierungschefs, die am heutigen Donnerstag zum nächsten Euro-Krisengipfel zusammenkommen, hat diese Säulen im Kopf.

In derselben Weise wurde der düstere Gewitterhimmel über der Skyline der Banktürme in Frankfurt hierzulande zum Standardmotiv, als die Auswirkungen der Finanzkrise 2007 und 2008 zu illustrieren waren - weil man nicht wusste, wie man des Geschehens sonst bildlich Herr werden sollte. Seitdem liegt im Bildgedächtnis ein Schatten über Frankfurt, der auch bei Aufhellung der Lage nicht so schnell verschwindet.

Die Säulen in Athen nun, so lautet die Botschaft der Bilder in Kombination mit Beschreibungen der Notlage des griechischen Staates, diese Säulen stehen auf tönernen Füßen; und wenn sie wanken, dann wankt auch Europa. Und das Loch in der Mitte des Parthenon auf der Akropolis sieht heute so aus, als hätte der aktuelle Geldmangel es geschlagen - und nicht, wie in Wahrheit, die Explosion eines türkischen Munitionslagers im Jahre 1687. Was immer jetzt zur Rettung geschieht, die griechische Ruine wird die Assoziation von Misswirtschaft und "Ramsch"-Anleihen in absehbarer Zeit nicht loswerden.

Damit kehrt sich ins Gegenteil um, was die Säulen der griechischen Tempelarchitektur seit jeher für Europa - und auch für Nordamerika - bedeutet haben: Man hat diese Bauten immer wieder nachgeahmt, weil sie für unumstößliche Solidität standen, für die Anknüpfung an die abendländische Tradition in neuen Zusammenhängen, für steinerne Erhabenheit und für die sakrale Aufwertung säkularer, besonders staatlicher Bauten. Auf diese Institutionen, so lautete die Botschaft der Säulen-Fassaden, kann man sich verlassen.

Nonplusultra für repräsentative Bauten

Der Parthenon - und damit verbunden das Eingangstor der Akropolis, die Propyläen - ist nicht nur ein Solitär, das Wahrzeichen der europäischen Zivilisation schlechthin; die Vervielfältigungsmaschine der westlichen Staatsarchitektur hat den griechischen Tempel auch an unzählige andere Orte verfrachtet.

Schon die Römer übernahmen die griechischen Säulenreihen aus Stein, und seit der Renaissance, seit Alberti und Palladio, wurden sie das Nonplusultra für repräsentative Bauten, die besonders seit dem Zeitalter der Nationalstaaten monumentale Ausmaße annahmen: Staatsbibliotheken, Parlamente, Museen, Musiktheater, Gerichtsgebäude, klassizistische Kirchenfassaden und nicht zuletzt Nationalbanken ließen sich von den Tempeln in Athen und Paestum, in Rom und Agrigent inspirieren.

Dass die antiken Säulen nicht etwa bröckelnde Bonität, sondern gerade auch finanzielle Stabilität ausdrücken sollen, das demonstriert das Gebäude der Bank of England in London: Der Bau von Sir John Soane mit korinthischer Säulenreihe wurde 1833 fertiggestellt, im selben Jahr, als die Banknoten der Bank of England zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt wurden.

Die Bauten der Akropolis waren direkte Vorbilder für das Brandenburger Tor und die Neue Wache in Berlin, für das Lincoln Memorial in Washington und die Propyläen am Königsplatz im "Isar-Athen" München, um nur diese zu nennen. Die klaren dorischen Säulen des Parthenon wurden als klassizistischer Re-Import in der Fassade des früheren Athener Stadtschlosses aufgegriffen, des heutigen griechischen Parlamentsgebäudes am Syntagma-Platz, den die empörten Demonstranten nun zum Schlachtplatz gemacht haben. Das umkämpfte Gebäude stammt von dem deutschen Architekten Friedrich von Gärtner, nach dem der etwas entspanntere Gärtnerplatz in München benannt ist. Überall Athen.

Auch der dorische Eckkonflikt wurde bewältigt

Man hat in den vergangenen Wochen gegen die Gleichsetzung der heutigen mit den antiken Griechen zu Recht eingewandt, dass die Verpflichtung auf jenes Erbe Segen und Fluch zugleich sei - die Griechen müssten ihre Probleme ja auch ohne Perikles lösen. Das stimmt - man muss heute nicht unbedingt Aristoteles lesen, um zu wissen, was der antike Philosoph über Staatseinnahmen geschrieben hat: "Nicht allein das Vorhandene mehrend wird man reicher, sondern auch die Ausgaben vermindernd."

Gleichwohl, wenn es um die bildliche Repräsentation der Euro-Krise und ihrer möglichen Überwindung geht, so steht den heutigen Griechen kaum ein anderes ikonisches Repertoire zur Verfügung, das gleich stark wäre wie die Säulen der Tempel. Nicht nur Aporie, Krise, Chaos, und Zynismus sind griechische Wörter, sondern auch Demokratie und Mathematik. Genau so kann der Tempel passenderweise Schlechtes und Gutes symbolisieren: Der Parthenon war einst zugleich die griechische Staatsbank, hier wurde die Bundeskasse des Delisch-Attischen Seebundes aufbewahrt; der Prachtbau konnte im fünften Jahrhundert vor Christus überhaupt nur durch die Eintreibung von Schulden der von Athen abhängigen Verbündeten finanziert werden.

Aber der Parthenon ist natürlich auch ein Meisterwerk abendländischer Ästhetik und Kalkulation. Wenn die antiken griechischen Baumeister mit ihren Berechnungen den sogenannten dorischen Eckkonflikt bewältigen konnten, dann kann ja vielleicht auch Europas Finanzarchitekten die Quadratur des Kreises gelingen.

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SZ vom 21.07.2011/cris/pak
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