Süddeutsche Zeitung

Symbiotisch:Anfassen erwünscht

Das 15. Digitalanalog-Festival im Gasteig fragt nicht nach U und E, sondern pflegt den Austausch

Von Jürgen Moises

Mal hier ein bisschen drehen. Oder am Knopf da drüben. Okay, jetzt verändert sich was. Und wenn man eines der kleinen Kabel umsteckt? Nein, da tut sich nichts. Gar nicht so einfach, so ein analoger Synthesizer. Und noch etwas schwieriger wird es, wenn man versucht, seine Funktionsweise genauer zu verstehen. Spaß machte es trotzdem, beim 15. Digitalanalog-Festival am "Analog-Synthesizer-Karussell" herumzustöpseln und zu -drehen, das Herr Schneider im ersten Stock des Gasteigs aufgebaut hatte. Dementsprechend groß war der Andrang an den elektronischen Geräten, die man sich von zwei oder drei kundigen Helfern auf Nachfrage näher erklären lassen konnte. Auch insgesamt war das 2002 von Stefan und Claudia Holmeier gegründete Festival für analoge und digitale Musik und Kunst an beiden Tagen hervorragend besucht. Und das, obwohl es am Samstag mit der Langen Nacht der Museen starke Konkurrenz hatte.

Die analogen Synthesizer von Herrn Schneider waren nicht die einzigen musikalischen Gegenstände, bei denen man bei Digitalanalog als Besucher Hand anlegen konnte. An den "The Breathers" genannten weißen Luftsäcken konnte man ebenfalls herumdrücken und mittels Luftdruck-gesteuerter Sensoren Töne erzeugen. Vielleicht nur ein nettes "Gimmick", aber eines, das wie das Synthesizer-Karussell auf schöne Weise genau das symbolisiert, wofür Analogdigital steht. Nämlich für den Versuch, Berührungsängste abzubauen, die Grenzen zwischen E und U, zwischen analog und digital abzubauen, und zu zeigen, dass der Austausch, die Symbiose doch viel mehr bringt als jede Abgrenzung.

Wie das im Idealfall aussehen kann, das zeigte unter anderem das Konzert von Superstrings. Nicht nur, weil das Münchner Musik-Projekt mit seinem filmischen Breitwandpop eine perfekte Show ablieferte. Sondern weil in der Person von Mario Schönhofer am analogen Synthesizer ein Gastmusiker mit dabei war und man live miterleben konnte, wie so ein Teil, von einem Profi gespielt, klingt.

Hinzu kommt, dass Superstrings seit zwei Jahren mit Peter Becker aka VJ Autopilot zusammenarbeiten, genauer: seit dem Digitalanalog-Festival 2013. Da haben sie den Visual-Artist kennengelernt. Was zeigt, dass die digital-analoge Symbiose teilweise auch nachhaltig Früchte trägt. Neben dem von Superstrings gab es natürlich auch noch andere schöne Konzerte. Am eher München-lastigen Freitagabend waren das unter anderem die Auftritte von Gurdan Thomas und Impala Ray. Beide übrigens mit Tuba-Spielerinnen. Ein neuer Trend? Überzeugen konnten auch die Klassik-Hip-Hop-Pop-Vermischer Einshoch6 mit einer energiegeladenen Show, die das Publikum vor der Bühne des Carl-Orff-Saals zum Tanzen brachte. Was auch deswegen erwähnenswert ist, weil es diesen Platz zum Tanzen dort die letzten Jahre gar nicht gab. Dass man, wie etwa auch in der Black Box, inzwischen für "Tanzbarkeit" gesorgt hat, ist jedenfalls eine begrüßenswerte Entwicklung.

Im Kleinen Konzertsaal war das Zuhören dagegen nur im Sitzen erlaubt, aber man kann das aufgrund der Enge und der Holztreppen durchaus verstehen. Erleben konnte man dort am Samstagabend unter anderem Berlin Syndrome aus Magdeburg: mit ihren langen Bärten und der Mischung aus Wave- und Postrock eine der Entdeckungen des Festivals. Ähnliches gilt für Muutes aus Hamburg und Queen Kowalski aus Berlin, die ebenfalls am Samstag spielten, oder für Fatcat aus Freiburg, die mit ihrer Funk-Show einheizten.

Ansonsten wollte sich der "digital-analoge" Flow am Samstag nicht so ganz einstellen wie noch am Tag zuvor. Aber vielleicht ist man vom audiovisuellen Overflow einfach nur irgendwann "verkatert". Dass es mit Digitalanalog "noch lange so weiter geht", wie Superstrings-Gitarrist Marc-Sidney Muller zum Publikum meinte, das hofft man natürlich trotzdem und freut sich schon auf die nächsten Ausgaben. Wo auch immer, denn der Gasteig wird in den kommenden Jahren ja bekanntlich renoviert.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2015
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