Zum Tod von Sybil Gräfin Schönfeldt:Das Glück der Welt im Kopf

Zum Tod von Sybil Gräfin Schönfeldt: Sybil Gräfin Schönfeldt war bis zuletzt auch für die SZ als Kinderbuchkritikerin tätig.

Sybil Gräfin Schönfeldt war bis zuletzt auch für die SZ als Kinderbuchkritikerin tätig.

(Foto: Hoffmann/imago)

Die Journalistin, Übersetzerin und Literaturkritikerin Sybil Gräfin Schönfeldt ist gestorben. Die Kinder- und Jugendliteratur verliert eine ihrer leidenschaftlichsten Leserinnen. Ein Nachruf.

Von Roswitha Budeus-Budde

In ihrem langen Leben sah sich Sybil Gräfin Schönfeldt immer als Kulturvermittlerin. Als Journalistin lernte sie schon ganz am Anfang, kurz nach dem Krieg, als Leserbriefredakteurin im Bauer Verlag in Hamburg, was Menschen bewegte, eine Zeitung zu kaufen. Das Gute und Schöne war in der Nachkriegszeit wenig gefragt, es ging darum, sich in einer neuen Gesellschaft zurechtzufinden: "Diese Erfahrungen haben den Universitätshochmut bei mir korrigiert", sagte Sybil Gräfin Schönfeldt.

Was sie aber nicht davon abhielt, ihre Themen genau zu recherchieren. Schönfeldt ist als Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin mehreren Generationen von Lesern bekannt geworden. Einer ihrer größten Bucherfolge bleibt "Knaurs großes Babybuch", für das sie in einer gynäkologischen Klinik volontierte. Und was sie für ihre berühmten Artikel und Bücher übers Kochen wissen musste, eignete sie sich in der Versuchsküche der Firma Maizena an. In vielen deutschen Küchenregalen stehen heute die Bücher mit Titeln wie "Kochbuch für den großen alten Mann" oder "Kochbuch für die kleine alte Frau", deren Texte sie mit Erinnerungen aus ihrem eigenen Leben garnierte. Die spielten auch in ihren Benimmbüchern eine große Rolle, zum Beispiel dem "Einmaleins des guten Tons". Ihre Kritiker fanden ihre Tisch- und Benimmregeln bürgerlich altbacken, übersahen dabei aber, wie liberal die Autorin gutes Benehmen als eine unausgesprochene Übereinkunft beschrieb, die wir selber treffen, eine Konvention, die sich zudem täglich wandelt. In den Achtzigerjahren, erinnerte sich Sybil Gräfin Schönfeldt später, sei sie mit ihrem Thema auf harte Ablehnung gestoßen: "Wenn du dann auch noch Gräfin heißt, haben die Leute von dir ein völlig falsches Bild".

1927 wurde Schönfeldt als Tochter eines österreichischen Reichsgrafen geboren. Ihre Mutter starb kurz nach ihrer Geburt, das Mädchen wuchs bei den Großeltern und Großtanten in Nassau auf. Anekdoten aus ihrer großen Verwandtschaft und Erlebnisse mit dem Vater, der als Pressesprecher der UFA in Berlin arbeitete, tauchen in vielen ihrer Bücher auf.

"Wenn sich die Kunst in den Dienst einer Sache stellt, gewinnen oft weder die eine noch die andere."

Mit siebzehn Jahren wurde sie zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Ihre Autobiografie "Sonderappell", die 1979 erschien, ist eine Abrechnung mit der NS-Zeit und dem Drill der Mädchen in dieser Institution. Deren Arbeitsdienstführer und Funktionärinnen waren nach Kriegsende nicht zur Rechenschaft gezogen worden und attackierten Schönfeldt heftig, verhinderten sogar eine Verfilmung des Buches. Sybil Gräfin Schönfeldt schilderte darin ihre Entwicklung von einer überzeugten Hitler-Anhängerin zur politischen Autorin, die sich schämte, nicht eher das Grauen des Regimes erkannt zu haben. Als Literaturkritikerin setzte sie sich später besonders mit Büchern auseinander, die sich mit dem Holocaust beschäftigten.

Nach dem Krieg studierte Schönfeldt Germanistik und Kunstgeschichte und promovierte über "Formprobleme in der Lyrik Josef Weinhebers". 1952 volontierte sie beim Göttinger Tageblatt, und als sie danach in der Hamburger Presse-Landschaft ankam, bald für Die Zeit und deren Magazin schrieb, war es deren damaliger Feuilletonchef Paul Hühnerfeld, der sie als eine der wenigen Frauen der Redaktion beauftragte, über den gerade neu gegründeten Jugendbuchpreis zu berichten. Zusammen mit Hühnerfeld etablierte sie die Kinder- und Jugendliteraturkritik in der Wochenzeitung. Es waren die Jahre, in denen bedeutende Kinderbuchverlage wie Dressler, Oetinger, Klopp, Ravensburger, und dtv junior von Frauen geleitet wurden, und Schönfeldt wurde ein wichtige Figur dieser Szene.

Sie hatte 1957 den Kaufmann Heinrich Schlepegrell geheiratet und um ihre zwei Söhne aufzuziehen auf eine feste Anstellung verzichtet, auch auf eine Position in der Chefredaktion der Zeitschrift Constanze. Sie blieb ihr Leben lang Freiberuflerin und sah diese Lebensform gerade für Journalistinnen als eine große Chance an. Sie wurde selbst Jurorin und Vorsitzende des Kinder- und Jugendbuchpreises und des Arbeitskreises für Jugendliteratur. Sie arbeitete unter anderem für den Stern, das Hamburger Abendblatt und den NDR und schrieb weiter Kolumnen und Rezensionen zu Jugendbuchthemen. Von 1969 an tat sie sich auch mit Barbara Bondy zusammen, die damals die Wochenendausgabe der SZ leitete, und schrieb bis zuletzt für die Kinder- und Jugendbuchseiten im Feuilleton dieser Zeitung.

Daneben entstand ihre Biografie von Astrid Lindgren, die erste in deutscher Sprache, außerdem übersetzte Schönfeldt bedeutende Literatur aus dem Englischen. Es wurden schließlich 120 Bücher von Autorinnen und Autoren wie Edith Nesbit, Pearl S. Buck, Charles Dickens und Lewis Carroll.

Ihr untrügliches Gespür für Sprache ließ sie auch die antiautoritäre Literatur der Siebzigerjahre kritisch sehen. Ihr Credo war: "Wenn sich die Kunst in den Dienst einer Sache stellt, gewinnt oft weder die eine noch die andere". Ausnahmen waren möglich, wenn sie literarische Qualität spürte, zum Beispiel bei Friedrich Karl Waechter. Aber sie blieb skeptisch, wenn Didaktik und sozialpädagogische Absichten zu deutlich waren, wie es öfter einmal der Fall ist in der Kinder- und Jugendliteratur. Auch gegen Altersbeschränkungen wehrte sie sich und plädierte dafür, Kindern das Nachdenken voll und ganz zuzutrauen.

Je älter sie wurde, desto mehr forderte sie von sich, trotz schlechter Gesundheit mit preußischer Disziplin weiterzuarbeiten: "Wenn du dich erst gehen lässt, bist du verloren". Bis zuletzt wusste sie, "dass jeder Mensch seine eigene Welt im Kopf trägt und gerade darum glücklich sein kann." Mit 95 Jahren ist Sybil Gräfin Schönfeldt am 14. Dezember 2022 in Hamburg gestorben.

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