Süddeutsche Zeitung

Suzanne Vega und ihr Hit "Luka":Wie man einen Treffer überlebt

Lesezeit: 8 min

Jeder kennt Suzanne Vegas Radio-Hit "Luka" - und vielleicht noch "Tom's Diner", aber nicht viel mehr. Ein "Two Hit Wonder" schreibt über die Anatomie eines Superhits.

Suzanne Vega

Vor einigen Wochenenden ging ich auf eine kleine, wie ich sie nenne Brot-und- Butter-Tournee. Ich gab zwei Konzerte, eins in Long Island, eins in Saratoga, New York. Beide mit schlimmer Kopfgrippe, aber irgendwie quälte ich mich durch. Wieder zu Hause, checkte ich meine E-Mails, und während ich durch meinen Account und irgendwelche Nachrichtenseiten stöberte, stieß ich, zwischen lauter Fotos von einem Brand in den Universal Studios, auf: mein eigenes Gesicht. Kein aktuelles Bild, sondern eins aus dem Jahr 1990. Ich dachte: Ist mein AOL-Foto-Ordner geplatzt? Hat er sich in alle möglichen Online-Kanäle ergossen?

Dann las ich den dazugehörigen Text: "Ihr erster Hit, Luka, brachte das Thema Kindmissbrauch in die Top 40. Wie aber hieß ihr zweiter Hit? Kleiner Tipp: Er war tanzbar ..."

Ich starrte auf meinen Monitor, immer abwechselnd auf das - mein - Gesicht, dann wieder auf das Feuer in den Universal Studios. Mein Mann Paul sah mir über die Schulter. "Klick sie doch mal an, deine Geschichte!", sagte er.

Da stand: "Mit ihrem schmerzlichen Lied brachte diese New Yorkerin eine Dosis soziales Bewusstsein in die oberen Ränge der Hitparaden. Ihren zweiten und finalen Ausflug in die Charts machte Vega dank eines zunächst unautorisierten Remixes, der von ihrem Lieblings-Imbiss in Manhattan handelte, nämlich 'Toms Diner', den man dann später auch in einigen Episoden der Sitcom 'Seinfeld' sah ..."

"So sollten die nicht über dich reden", sagte Paul. "Wieso?" fragte ich. "Das ist doch alles sehr nett." Ich hatte die Überschrift übersehen. Sie lautete: "Two Hit Wonders". Ach. Das.

Dieses Siegel hatte man mir schon so oft aufgedrückt, dass ich mich schon so gut wie dran gewöhnt hatte. Andererseits hatte Paul natürlich recht - es ist erniedrigend. Es lässt mich lächerlich aussehen. So, als hätte ich mal eben zwei Hits rausgequietscht und sei dann wieder zurück in das Leben einer Rezeptionistin geschlurft. Was selbstverständlich nicht stimmt.

Aber - wie stimmt es denn? Ich selber spreche am liebsten von einer "20-plus-Karriere". Davon, dass ich eine Menge Veröffentlichungen hatte, mit vielen Liedern, die die Menschen gerne hören, und mit zwei Liedern, die besonders viele Menschen besonders gerne hören. Dass zwei meiner Songs große Hits waren, macht meine anderen Songs nicht kleiner, es macht die zwei zu den Kirschen auf der Torte. Wieso sollte ich sie runterreden? Sie waren mein Ticket, mit ihnen konnte ich dem Angestellten-Dasein entfliehen, Künstlerin sein, reisen, zum Beispiel nach Korea, wo der Typ, der meinen Pass abstempelte, sagte: "Sie sind die Suzanne Vega? Hier kennt Sie jedes Kind." Und ich sah aufrichtige Bewunderung in seinem Blick.

Launen des Schicksals

Niemals würde ich mich für diese zwei Hits schämen. Aber ich gebe zu, ich habe schon oft überlegt: Warum ausgerechnet diese beiden? Ich habe andere Lieder geschrieben, die ebenso funkelnd und schön und radiofreundlich waren, zum Beispiel "Book of Dreams", "No cheap thrill", "Frank und Ava" - und so weiter. Aber keiner davon hatte die Lebensdauer wie die zwei. Woran lag das?

Es waren zwei Launen des Schicksals, meinen manche. Das glaube ich nicht. Dafür war es zu schwer, sie zu produzieren und zu arrangieren. Bevor ich "Luka" schrieb, hatte ich dauernd Lou Reeds Berlin-Album gehört - ein großer Teil des Albums handelt von allen möglichen Arten von Missbrauch, inklusive dem häuslichen. Live kam "Luka" überhaupt nicht an. Wenn ich es spielte, beobachtete ich das Publikum von der Bühne aus. Man konnte richtig sehen, wie sich beim Zuhören ihre Mienen veränderten. Man sah zunächst eine Art Stirnrunzeln, dann ein physisches Unwohlsein, finstere Blicke auf den Boden, und als Conclusio: bruchstückhafter, widerstrebender Applaus. Dazu riefen sie nach etwas anderem, für gewöhnlich nach dem Song "Gypsy". Oder irgendeinem anderen, der Dur im Refrain hatte.

Das könnte ein Hit sein

Es war mein damaliger Manager, Ron Rierstein, der "Luka" aus allen anderen herauspickte. "Handelt der Song tatsächlich davon?", fragte er mich eines Tages im Backstageraum von Folk City. In meiner Erinnerung entspann sich daraus folgende Unterhaltung.

Ich: "Keine Ahnung. Was denkst Du denn, von was er handelt?" Er: "Wenn ich mich nicht irre, singst du ihn aus der Perspektive eines misshandelten Kindes." "Stimmt. Ein Neunjähriger namens Luka." "Wie kommst du auf den Namen?" "Luka ist so ein Neunjähriger, der in meinem Haus wohnt. Der übrigens kein Stück misshandelt wird. Aber ich mag den Namen Luka; er ist universell, er wird in vielen Ländern benutzt, und Jungs und Mädchen können ihn beide tragen." "Weißt du", sagte Ron, "ich glaube, das könnte ein Hit sein."

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Musik als Sozialkritik und die Reaktionen auf die Missbrauchs-Thematik in "Luka".

An dieser Stelle johlte ich los. "Was redest du denn da? Bei den Konzerten will niemand irgendwas wissen von Kindesmissbrauch. Nie wird danach gefragt, alles wollen immer nur 'Gypsy' hören oder 'The Queen and the Soldier'." "Der Song ist sozialkritisch, und das macht ihn wichtig. Momentan gibt es nicht sehr viele solcher Songs, diese Generation braucht mehr davon . . ."

Es war übrigens das Jahr 1985. "Ich will aber keinen sozialkritischen Song daraus machen, es sollte ein kleines Portrait sein! Ich hasse sozialkritische Songs! Außerdem weiß jeder, dass sie beim Publikum nicht ankommen." "Aber es ist nun mal ein sozialkritischer Song. Er handelt von Kindesmissbrauch, das hast du selber gesagt. Wie kannst du behaupten, er funktioniert nicht? Mit der Musik, die wir in den Siebzigern gemacht haben, konnten wir den Vietnam-Krieg beenden!" Das letzte schrie er. Seine Wangen waren mittlerweile dunkelrosa.

Bob Dylan und die Kriege der Welt

Wir stritten noch eine halbe Stunde weiter, ob Songs politische Botschaften haben sollten oder nicht. Ich spielte den zynischen Part, mit dem Totschlagargument: Wenn das tatsächlich so funktioniert hat damals, warum haben Bob Dylan und Joan Baez dann nicht ein für allemal alle Kriege beendet? Gab es je einen besseren Antikriegssong als "Masters of War"? Nein. Trotzdem führen wir seither Krieg.

Ron schrie, dass Musik Teil des Dialogs der amerikanischen Kultur sei, genau wie Märsche und Protestkundgebungen, die die Entscheidungen dieser Nation mitbeeinflusst hätten. Ich blieb skeptisch. Aber ich war irgendwann einverstanden, "Luka" zu produzieren. Nicht für das aktuelle Album - mein erstes -, sondern erst für das darauffolgende.

Die emotionale Klimax im vierten Vers

Unser Produzent Steve Addabbo traf auf der Straße einen Keyboarder namens Peter Wood. Steve spielte ihm das Lied vor, Peter hatte gleich Ideen für das Arrangement. Meine eigenen Ideen sind meistens simpel, melodisch. Mr. Wood hingegen schuf Raum für ein Gitarrensolo, er änderte die Melodie im vierten Vers. Und wie ich heute, nach Jahren, weiß, ist das die emotionale Klimax, weil es an der Stelle - "You don't ask WHY" - hoch geht, es ist die oberste gesungene und gespielte Note.

Der fertige Song hat vier Verse, und wir präsentieren die melodische Idee nicht jedes Mal gleich. Der vierte Vers hat einen Bogen wie eine gute Erzählung, und wenn der Song zu Ende geht, hat man das Gefühl, eine Reise gemacht zu haben. Das ist der Job des Arrangeurs: die Musik zu nehmen und sie wie ein Puzzle zusammenzusetzen, um beim Zuhörer die Emotionen rauszukitzeln, ihn zu berühren.

Wir haben noch viel andere Dinge an diesem Lied gemacht, die Tonart Dur aber haben wir beibehalten. Ich wollte Dur, da mich die Kombination aus Moll und einem kleinen leidgeprüften Jungen auf einer Haustürmatte wütend machte. Mir schien, dass die meisten missbrauchten Kinder traurig und ängstlich sind, aber dass sie ihr Schicksal irgendwann als Tatsache des Lebens akzeptieren, als etwas fast Erwartbares. Eine Art Pragmatismus. So kam ich auf Dur, und wir beließen es dabei. Im fertigen Song klang es aufmunternd, froh, fast triumphierend, was gar nicht meine Absicht war.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie "Luka" ein Radio-Hit wurde und wie es sich anfühlt, ein "Two Hit Wonder" zu sein.

Wir brauchten ganze drei Jahre, um den Song zu arrangieren, zu produzieren und ihn auf Hochglanz zu polieren. Ich war viel zu abgelenkt mit den anderen Songs, um speziell wegen "Luka" nervös zu sein. Ich hatte das Gefühl, als würde ich an meinen Nägeln von einer Klippe hängen - ich sollte es noch oft haben in meiner Karriere.

An den Tonspuren arbeitete ich dann mit einem Mann namens Shelley Yackus - damals ein Top-Soundingenieur - und es war eine Riesensache, dass wir ihn überhaupt bekamen und er sich am Ende eines großen Teils der Platte annahm. Ich wollte, dass er die Drums betonte. Alle anderen hatten Angst, dass man die Akustik-Gitarren dann nicht genug hörte, aber in "Luka" war der Gitarrenklang so schön und satt, dass man sich auch mit den Drums nicht zurückhalten musste.

Kaum hatten wir das Album fertig, sollte es auch schon sechs Wochen später erscheinen. Wir waren auf Tournee, als es rauskam - und über Nacht änderte sich alles. Buchstäblich. Gerade hatten wir noch in halbleeren Clubs gespielt - am nächsten Tag war der Laden voll. Und das bis zum Ende des Jahres. Inklusive Carnegie Hall und Radio City Music Hall.

Eine riesige, gesellschaftliche Sache

"Luka" war an die Radiostationen verteilt worden. Und sofort ein Erfolg. Wieso? Warum diese enorme Resonanz? Wegen des Themas, unter anderem. Viele Hörer schrieben mir über ihre Erfahrungen mit Missbrauch. Übrigens bis heute. Letztes Wochenende hat mir ein Teenage-Mädchen geschrieben, das als Kind missbraucht wurde, wie sehr es sich mit "Luka" identifiziere. Das war auch damals das Erstaunliche daran: So viele Menschen in Amerika, aber auch aus anderen Ländern und Kulturen dieser Erde, identifizierten sich mit meinem erfundenen Charakter. Ich hatte gedacht, es sei eine kleine, persönliche Sache. Aber mein Manager Ron hatte recht behalten: Es war eine riesige, gesellschaftliche Sache.

Dann wieder hing der Erfolg des Songs mit seinem Klang, seiner Chemie zusammen, zumal viele Hörer gar nicht verstanden, wovon das Lied handelte. Es klang gut im Radio, klang gut vor und nach anderen Songs, die verschiedenen Qualitäten der Produktion waren in einer Art und Weise verschmolzen, die bei den Hörern haften blieb, so dass sie den Song noch einmal hören wollten. Manche Dinge haben so einen Zauber. Später erzählte mir jemand in Indonesien, dass "Luka" in seiner Landessprache "verwundet" bedeute. Davon hatte ich natürlich keine Ahnung, als ich den Text schrieb.

Mit dem Beifall, dem Erfolg und der harten Arbeit kamen natürlich die Kritik, die Parodien und auch die Beschwerden. "Ich habe keine Lust, schon morgens beim Kaffeetrinken etwas über missbrauchte Kinder zu hören", schrieb mir ein Typ. Die schlimmsten Briefe aber kamen von Vereinen gegen Missbrauch. "Wie können Sie es wagen, zu suggerieren, ein Kind sei selber verantwortlich für seine Behandlung!", begann eine typische Beschwerde. Irgendwann später habe ich alle diese Briefe weggeworfen, und mit ihnen die Parodien, die in der Regel so begannen:"My name is Loofah, I live on the Bathroom floor..." Zum Totlachen, der Nächste bitte.

Wie im Drogenrausch

"Hit", also Treffer - das Wort trifft es ziemlich gut. Es ist, als würde man sehr intensiv mit sehr vielen Menschen zur selben Zeit kommunizieren. Die Verbindung ist wie die mit Baseballschläger und Ball: krachend, schnell. Und wie bei Drogen erlebt man, wie sich plötzlich die Realität verändert. Man kann sich dran gewöhnen.

Diese spezielle Intensität hielt acht Monate an bei mir, ich würde sagen: bis Tracy Chapman auf dem Cover des Rolling Stone erschien. Später wurde dann "Tom's Diner" ein Hit. Aber von ganz anderer Qualität als "Luka", mit seiner eigenen kleine Geschichte, auf die ich auch sehr stolz bin. Aber davon ein andereres Mal. Und was das Siegel " Two Hit Wonder" angeht - naja, immerhin besser als "One Hit Wonder". Danke allerseits!

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Quelle:
SZaW vom 12./13.07.2008/ehr
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