Süddeutsche Zeitung

Remake von "Susi und Strolch":Eskapismusporno mit Hundefänger

  • Am Dienstag startet der Streamingdienst "Disney Plus" in Deutschland mit einem Remake des Klassikers "Susi und Strolch".
  • Das Timing für diesen Film hätte sich Disney wohl kaum besser ausmalen können.

Von David Steinitz

Dieser Film dürfte in die Geschichte eingehen als der härteste Eskapismusporno, den man in der Coronakrise bekommen konnte.

Das Remake des Trickklassikers "Susi und Strolch" ist eine Produktion des Streamingdienstes Disney Plus, der am Dienstag in Deutschland startet. Und wer derzeit einen Ort sucht, und sei es nur in der Fiktion, an dem es nicht nur keine Tröpfcheninfektion, und nicht nur keine Probleme des Jahres 2020, sondern einfach überhaupt keine Probleme gibt, ist hier genau richtig.

Schon das originale Hundeliebesmelodram aus dem Jahr 1955 war mit seinem bieder-romantischen Nachkriegskinocharme ein Meisterwerk der Sublimierungskunst, einer der zuckerwattigsten Filme in der Geschichte der Firma Disney. Und als hätten sie drüben in Burbank, Kalifornien auf dem Gelände der Disneystudios geahnt, was da auf die Welt zurollt, übertrifft die neue Realfilmfassung die Vorlage sogar - denn jetzt geht es auch noch politisch korrekt zu. Während die Konkurrenz bei HBO, Netflix und Amazon mit immer mehr Brüsten und Blut, immer mehr Intrigen und Perversionen um die Zuschauer wirbt, versuchen sie es bei Disney mit dem genauen Gegenteil. Und könnten, je nach Zermürbungszustand der Menschheit in ein paar Wochen, damit aufs richtige Pferd setzen. Beziehungsweise auf den richtigen Hund.

Wie die Version von anno 1955 erzählt auch die neue Adaption von Charlie Bean die Geschichte der Reihenhaushündin Susi, einer feinen Cocker-Spaniel-Dame, und des Mischlingsstreuners Strolch, die sich trotz widriger Hundeklassenherkünfte ineinander verlieben. Denn Susis Herrchen und Frauchen bekommen ein Baby, und das bedeutet für Haustiere nie etwas Gutes, wie Strolch aus eigener Erfahrung weiß: "Wenn das Baby einzieht, zieht der Hund aus." Also tröstet Susi sich mit dem charmanten Vagabunden über den Verlust ihrer Starrolle hinweg.

Der Film zeigt eine ideale Version der alten Südstaaten, ganz ohne Sklaverei und Rassentrennung

Die Retrowelt um die beiden Hunde herum wurde allerdings mit einem besonders wirksam Desinfektionsmittel gegen alte Disneyrassismen nachträglich grundgereinigt. Das kleine "Susi und Strolch"- Städtchen irgendwo im amerikanischen Süden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sieht aus wie ein feuchter Tom-Sawyer-Traum, den sich Mark Twain nicht auszudenken getraut hätte.

Am Fluss schaukeln girlandengeschmückte Mississippidampfer mit Jazzkappellen, durch die Straßen tuckern vereinzelt Vehikel aus den Urzeiten des Automobils, der Einzelhandel besteht vor allem aus bunten Blumenläden und die vielen Einfamilienhäuser sind von einem blendendstrahlenden Weiß, das Meister Proper zum Erblinden bringen würde. Allein das Schwelgen in solchen Details führt dazu, dass das Remake fast dreißig Minuten länger ist als die Vorlage. Vielleicht gab es solche kleinen Städtchen irgendwo im amerikanischen Süden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tatsächlich. Aber in dieser Vergangenheitsschreibung aus dem Hause Disney gehört zum Idyll auch eine Welt ohne Sklaven und Rassentrennung.

Die einzige ernsthafte Bedrohung in dieser Welt? Der Hundefänger

Susis Herrchen und Frauchen waren im Original, das der erzkonservative Walt Disney noch selbst kontrollierte, zwei Weiße. Im Update sind sie ein vorbildliches Diversity-Pärchen aus weißem Mann und schwarzer Frau. Und der "Siamese Cat Song", den im Original zwei siamesische Katzen trällern und der mit seiner Yellowface-Stereotypisierung zum Kanon der rassistischen Großleistungen im Disneykatalog gehört, wurde durch eine harmlose Jazznummer ersetzt.

Überhaupt ist in dieser Welt die einzige ernsthafte Bedrohung der Hundefänger. Wenn man an die Shakespeare'schen Tragödien in "Bambi", "Schneewittchen" oder "Der König der Löwen" denkt, ist das selbst für Disney eine recht geringe Bösewichtfallhöhe. Weil nun aber nicht nur "Game of Thrones"-Fans in der häuslichen Isolation festsitzen, sondern auch Kinder, und weil man als deren Eltern ja nicht den ganzen Tag darüber nachdenken kann, warum immer die Nachbarn mit dem schlechtesten Musikgeschmack am lautesten Musik hören, hat man diesen Film in seiner Harmlosigkeit trotzdem lieb.

Zumal selbst dem zynischsten Prepper beim Sortieren seiner Klopapierstapel im Coronabunker mal für eine Minute warm ums Herz werden dürfte, wenn Susi und Strolch sich bei einer großen Portion Meatball-Spaghetti im Mondenschein zum ersten Mal küssen.

Lady and the Tramp, USA 2019 - Regie: Charlie Bean. Buch: Andrew Bujalski, Kari Granlund. Kamera: Enrique Chediak. Schnitt: Melissa Bretherton. Mit: Tessa Thompson, Justin Theroux, F. Murray Abraham. Disney, 103 Minuten.

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SZ vom 24.03.2020/tmh
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