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"Superstar"-Juror Simon Cowell:Seine Bohlschaft

Melodien für Milliarden: Der Brite Simon Cowell vermarktet weltweit Casting-Shows wie DSDS. Seine Kandidaten haben im Gegensatz zu denen von Dieter Bohlen großen Erfolg.

Wolfgang Koydl. London

Höchste Vorsicht ist immer dann geboten, wenn der Mann im knappen T-Shirt ausgesucht höflich wird. Dann knipst er sein Haifischlächeln aus, lehnt sich im Sessel zurück und mustert die Person auf der Bühne mit den spöttisch hochgezogenen Augenbrauen eines Entomologen, dem man soeben versucht hat, einen braunen Mistkäfer als schillernden tropischen Schmetterling zu verkaufen. "Darf ich mal ganz ehrlich mit dir sein", fragt er dann, und jedem im Saal stockt der Atem. "Das war die vielleicht fürchterlichste Gesangsdarbietung, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe."

Und dann, nach einer präzise bemessenen Pause, die gerade lang genug ist, um den ersten Schlag wegzustecken, folgt der Killer-Punch: "Du hast geklungen wie Cher nach einem Besuch beim Zahnarzt." Simon Cowell hat gesprochen, und sein Urteil ist ebenso endgültig und unwiderruflich wie das eines römischen Imperators, der seinen Daumen über einem unglückseligen Gladiator unten in der Arena gesenkt hat.

Der Musik-Unternehmer, Multimillionär und Misanthrop kann Karrieren im Keim ersticken, oder er kann sie machen. Vor allem aber macht Cowell Geld. Seine Talentshows wie "American Idol" und "America's Got Talent" in den USA sowie "X Factor" und "Britain's Got Talent" in Großbritannien fahren Millionen Dollar und Pfund ein. Ableger wurden in zahlreiche Länder verkauft. Als vorläufig letztes Mitglied einer globalen Pop-Community ist Afghanistan dazugestoßen. Gegen den "Afghan Star" wettern bislang sogar die Taliban vergeblich.

Klebriger Charme

Cowell hatte zwar nicht die Idee zu dem Erfolgsformat, aber er ist das weltweit bekannteste Gesicht des Programms. Als ihn "Idol"-Produzent Simon Fuller auszubooten trachtete, drohte Cowell mit seiner eigenen Konkurrenzsendung. Fuller gab nach. Ohne Cowell ist das Programm eigentlich auch schwer vorstellbar. Vor allem seine brutale Ehrlichkeit ist ein derart fester Bestandteil bei "Britain's Got Talent", dass sie von den meisten lokalen Epigonen der Show in anderen Ländern kopiert wird. Überall sitzt nun ein miesepetriger Beckmesser in der Jury, dessen Aufgabe es ist, säurehaltige Sottisen abzusondern.

In Deutschland beispielsweise spielt der Softie-Sänger Dieter Bohlen diese Rolle. Doch Cowell vermag er nicht das Wasser zu reichen. Denn Bohlen und der Brite mögen mit ihrem klebrigen Charme, der Perma-Bräune und den blitzenden Zähnen zwar wie Brüder wirken - halb Gigolo, halb Vorstadtfriseur. Doch anders als der Alt-Schnulzier Bohlen ist Cowell eine einflussreiche Größe in der internationalen Musikszene. Denn Cowell und seine mit dem Weltkonzern Sony BMG verbundene Produktionsfirma Syko bestimmen letzten Endes, welche Songs Millionen Menschen in aller Welt hören und vor allem kaufen wollen. Gewinner von "Idol" oder "X Factor" stürmen an die Spitzen der Charts - bis sie im Jahr drauf von den nächsten Siegern abgelöst werden, die natürlich ebenfalls von Simon Cowell vermarktet werden.

Obama kann warten

Falsche Bescheidenheit ist Cowell derart fremd, dass er es sich unlängst sogar leisten konnte, dem mächtigsten Mann der Welt einen Korb zu geben. Als US-Präsident Barack Obama ihn zum Abendessen im Weißen Haus einlud, lehnte er bedauernd ab. "Er wollte acht Uhr, ich war nicht vor neun Uhr frei, wir kamen nicht richtig zusammen", teilte Cowell dem fassungslosen TV-Publikum in den USA wortkarg mit. Dass diese Arroganz nicht grundlos ist, lässt sich auch daran ablesen, dass Cowell für Obama interessanter ist als umgekehrt.

Der Twitter-Präsident weiß, dass "American Idol" mehr junge Amerikaner mobilisieren kann als eine Präsidentschaftswahl. Im vergangenen Jahr wählten 100 Millionen US-Bürger den neuen amerikanischen Musik-Superstar. Am Wahlgang, aus dem der Polit-Rockstar Obama erfolgreich hervorging, beteiligten sich nur geringfügig mehr Menschen: 115 Millionen Amerikaner gingen zur Präsidentschaftswahl. Die "American-Idol"-Zuschauer sind eine Zielgruppe, die kein Politiker vernachlässigen kann, und so ist es kein Wunder, dass Obama Interesse gezeigt haben soll, in einer von Cowells Sendungen aufzutreten. Inzwischen haben sogar ernstzunehmende Politikbeobachter angeregt, künftig nicht nur Popstars, sondern auch Präsidenten, Parlamentarier und Premierminister in einer Art Talentshow vorsprechen und per SMS wählen zu lassen.

Pizza und Burger

Cowell freilich dürften solche Überlegungen gleichgültig sein. Für Politik interessiert er sich ebenso wenig wie für gutes Essen oder jede Art von Hochkultur. "Ich bin ein Mann von durchschnittlichem Geschmack", vertraute er einmal dem Playboy in einem Interview an. Er bevorzuge Pizza und Burger und sehe lieber den "Weißen Hai" oder "Raumschiff Enterprise" als "irgendwelche polnischen Filme mit Untertiteln". Doch genau darin sieht er das Rezept für seinen Erfolg: "Wenn mir etwas gefällt, dann stehen die Aussichten sehr gut, dass es auch anderen gefallen wird."

Das muss wohl stimmen: Interpreten wie Westlife, Il Divo oder Leona Lewis mögen zwar keine Kritiker begeistern; sie spielen aber Millionenumsätze ein - und sie wurden von Cowell entdeckt, gemanagt und gefördert. Tatsächlich mutet es befremdlich an, dass ein stämmiger Herr von mittlerweile beinahe 50 Jahren für Millionen Teenager die höchste Popinstanz sein soll. Denn erschwerend kommt dazu, dass Cowells eigener Musikgeschmack fest in den fünfziger und sechziger Jahren verwurzelt ist: Zu seinen Lieblingsinterpreten zählen Herp Alpert und Charles Aznavour, und Bob Dylan hält er für einen grauenvollen Langeweiler.

Der Musikmogul selbst kann weder singen, Noten lesen oder ein Instrument spielen, ja er hört persönlich nicht einmal gern Musik. "Ich sehe lieber fern, wenn ich den ganzen Tag mit Musikern zu tun gehabt habe", gestand er einmal freimütig ein. "Wer den ganzen Tag in einem Fish-and-Chips-Shop arbeitet, wird ja abends auch keinen Fisch mit Fritten mehr essen wollen." So ehrlich wie er mit den Kandidaten in den Shows umspringt, so offen verrät er auch die eigene Triebfeder: "Mich interessiert es nur, Geld zu machen, für mich und für die Leute, für die ich arbeite", enthüllte er. "Das ist absolut das einzige Kriterium, auf das es mir ankommt. Nichts anderes."

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SZ vom 5.5.2009/bey
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