Superman-Schöpfer:Brillant, visionär, obdachlos

Superman creators Joe Shuster and Jerry Siegel

Joe Shuster (links) und Jerry Siegel, die Erfinder des Mannes, der jeden Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit gewann. Bei ihnen war das leider anders.

(Foto: The New York Post)

Die beiden Erfinder von "Superman" bekamen für ihre Idee zur mit berühmtesten Comic-Figur 130 Dollar - zusammen. Eine großartige Graphic Novel erzählt, wie sie um ihren Erfolg betrogen wurden.

Von Alex Rühle

Sommer 1975, in Hollywood wird gerade um die "Superman"-Filmrechte verhandelt, es fließen immense Summen auf verschiedene Konten, allein Marlon Brando bekommt knapp vier Millionen Dollar für die Anfangsszene, in der er den Vater von Superman spielt: anthrazit- weiße Frisur, leuchtende Toga, ein mächtiger Mann mit wunderschöner Frau an seiner Seite und bewunderndem Volk um sich herum. Mit ruhiger Hand legt er sein eigenes Baby in eine Art Moses-Körbchen und schickt es auf eine intergalaktische Reise ...

Während also im fernen Los Angeles ein Welterfolg geplant wird, findet ein Polizist auf seiner täglichen Streife durch Queens einen alten Mann auf einer Parkbank. Er weckt den Obdachlosen und lädt ihn in ein nahegelegenes Diner auf eine Suppe ein. En passant kommt dabei heraus, dass der hungrige Mann früher mal Zeichner war. "Ach ja, echt", sagt der Polizist darauf. "Irgendwas Bekanntes?" - "Na ja", sagt der Alte bescheiden, "ist lange her" - und er beginnt mit zittriger Hand zu zeichnen.

Diese stille New Yorker Szene bildet die Rahmenhandlung für Julian Volojs und Thomas Campis Graphic Novel über Joe Shuster, den wahren Vater von Superman. Shuster ist in Campis Zeichnungen und Volojs Text das Gegenbild zu Brandos Vater: grauhaarig, gebeugt, schüchtern, einsam. Die einzige Frau an seiner Seite war seine Mutter, die er bis zu ihrem Tod gepflegt hat - soweit ihm das möglich war: Er ist ja selbst halb blind, hatte einen Herzinfarkt, leidet unter Spasmen in den Händen und lebt seit einiger Zeit auf der Straße, weil er das immer noch besser findet, als bei seinem Bruder zur Untermiete zu wohnen. Und das alles wegen eines Stück Papiers, das er als ahnungsloser junger Mann unterschrieben hat ...

Es geht um die Geburt der Comic-Industrie im Jahr 1938 - damals herrschten harte Sitten

Dem deutschen Autor Julian Volojs fielen vor einigen Jahren Briefe des alten Joe Shuster in die Hände, Briefe, in denen der ehemalige Comiczeichner alte Freunde um Geld anbettelt und in entschuldigendem Ton seine Lebensgeschichte ausbreitet. Diese Briefe bilden die Grundlage für Volojs hervorragend recherchierte Comic-Biografie, die sich vor allem auf die Geschichte eines der dreistesten Fälle von geistigem Diebstahl konzentriert: Shuster hat in den Dreißigerjahren gemeinsam mit seinem Freund Jerry Siegel Superman erfunden. Als die beiden nach fünf Jahren endlich einen Verlag fanden, der an ihre Figur glaubte, unterzeichneten sie einen Vertrag über 130 Dollar (die sie sich teilen mussten) und traten alle Rechte an ihrer Figur ab. Dafür bekamen sie eine Anstellung als einfache Mitarbeiter (Honorar: 13 Dollar pro Seite) - und mussten bald mit anschauen, wie ihre eigene Figur abhob und mit publizistischen Superkräften andere Leute steinreich machte.

"Joe Shuster" - Graphic Novel über die Schöpfer von Superman - Juni 2018 = "80 Jahre Superman", von dt. Autor Julian Voloj (Münster)

Julian Voloj (Text) und Thomas Campi (Zeichnung): "Joe Shuster - Vater der Superhelden". Carlsen Verlag, Hamburg 2018. 176 Seiten. 20,60 Euro.

Voloj und Campi beweisen mit ihrer Graphic Novel über ihren tragischen Antihelden Shuster gutes Timing - Superman ist in diesem Jahr 80 Jahre alt. Im Frühjahr 1938 flog er seinen ersten Einsatz, in dem er ein Auto voller Verbrecher ausleerte ("and the car, itself, smashed to bits!"). Er kam in diesen "Action Comics #1" aus heiterem New Yorker Himmel und war von da an nicht mehr wegzudenken aus dem Pantheon der großen Heldenfiguren. Die Leute liebten ihn von Anfang an, bald schon erschien Superman in 90 Zeitungen, 20 Millionen Menschen lasen allwöchentlich die Abenteuer des bescheidenen Reporters Clark Kent, der nie erwähnt, wer er wirklich ist. Alle anderen Verlage zogen mit eigenen Superhelden nach, Shuster und Siegel hatten ein ganz neues Genre erfunden.

So erzählen Voloj und Campi nebenher auch von der Geburtsstunde der Comic-Industrie - und zugleich davon, wie Superman, die wahrscheinlich einflussreichste Kunstfigur des 20. Jahrhunderts, selbst ein Amalgam aus Comic- und Starfiguren seiner Zeit und ein strahlender Gegenentwurf zum Leben seiner Erfinder war.

Joe Shuster und Jerry Siegel stammen beide aus jüdischen Einwandererfamilien, die osteuropäischen Pogrome haben sie tief im seelischen Gepäck - und verschlingen als Jungen, die eher still am Spielfeldrand des Lebens stehen, die ersten Comicstrips. Der italienische Zeichner Campi zeigt den kleinen Joe Shuster einmal in einer Collage aus Comics der Zwanzigerjahre sitzend, als würde er eher in diesen Geschichten leben als in seinem Schulalltag.

Als der erste "Superman"-Film gedreht wird, haben seine Schöpfer keinen Cent mehr

Die beiden Jungs lernen sich in der Schule in Cleveland kennen, Shuster malt damals auf Tapetenresten. Weil er keinen Arbeitstisch hat, erarbeitet er später die ersten Superman-Skizzen auf dem Brotbrett seiner Mutter, weshalb freitags Zeichenpause ist - da braucht sie das Brett, um Challahbrot für den Sabbat zu backen. Shusters Schulfreund Jerry Siegel amalgamiert die Superman-Idee aus Zorros Geheimidentität und frühen Science-Fiction-Figuren, Shuster setzt seinem zivilen Alter Ego Clark Kent die Brille des schlaksigen Harold Lloyd auf, gibt ihm die Kinnpartie des Frauenhelden Douglas Fairbanks, und gemeinsam siedeln sie die Story, anders als sonstige fantastische Comics der Zeit, in einer amerikanischen Großstadt an.

Thomas Campis Bilder haben nichts von der harten Linie der Superheldencomics, im Gegenteil, er zeichnet das Amerika der Vorkriegsjahre in gedeckten Pastelltönen, weichen Linien, mildem Nachmittagslicht, die Bilder erinnern an Edward-Hopper-Gemälde und zeigen so ein fast verträumtes, unschuldiges Amerika. Zugleich nehmen diese Hopper'schen Bilder auch die spätere Einsamkeit und das Altern der beiden Helden leise vorweg.

Als Superman dann richtig abhebt, verschwindet er aus Campis Zeichnungen, er taucht nur immer wieder als ferner, für seine Schöpfer unerreichbarer Glanz oder gar höhnisches Abbild auf: Auf einer Frisbeescheibe, die 1940 an den beiden mittellosen Autoren vorbeifliegt (und einen beim Lesen wundern lässt, wie früh das eigentlich losging mit dem Merchandising), oder als T-Shirt-Aufdruck der beiden übermächtigen Verleger, gegen die Shuster und Siegel 1948 einen Prozess anstrengen. Sie verlieren dabei alles - den Prozess, ihren Job und Schuster auch die Hoffnung.

Julian Voloj schafft es, in die eigentliche Geschichte dieses amerikanischen Albtraums und Niedergangs, der sich über 30 Jahre hinzieht und eher an ausweglose Kafkalabyrinthe als an Superheldenstorys erinnert, viele Nebenhandlungen einzuweben, etwa, wie stark das ganze Genre der Superheldengeschichten von jüdischen Zeichnern, Autoren und Verlegern geprägt wurde. Während sie nicht wussten, was aus den eigenen Angehörigen drüben in Europa wurde, imaginierten die Autoren auf der anderen Seite des Atlantiks unverwundbare Weltenretter herbei: Shuster und Siegel lassen Superman kurz nach dem Überfall auf Polen Hitler und Stalin schnappen und vor den Völkerbund in Genf bringen. Goebbels tobte.

Nach dem Krieg geriet die ganze Comic-Industrie dann ins Visier des Komitees für unamerikanische Umtriebe, das mit unverhohlen antisemitischer Hetze gegen Verleger wie Autoren zu Felde zog.

Bei all diesen fein ausgestrichelten Bezügen verliert Voloj seine beiden machtlosen Supermänner nie aus den Augen, sondern folgt ihnen mit fast schon quälender Genauigkeit durch ihren jahrzehntelangen Kampf um "Wahrheit und Gerechtigkeit", der bei ihnen, anders als bei ihrem Helden, nur zu Verbitterung (Siegel), versteinerter Melancholie (Shuster) und verlorenen Prozessen, Schulden und Vergessen (beide) führte. Dabei zeigt Voloj auch, wie symptomatisch ihre Schicksale für das ganze Genre waren - ihr einstmaliger Konkurrent Bill Finger, der die Figur des "Batman" miterfunden hat, verwandelte sich in einen fernen Leidensgenossen, wurde sein Name zu seinen Lebzeiten doch nie erwähnt. Roy Lichtenstein, der seine Kopien der Superman-Bilder teuer verkaufte, wird einem auch nicht wirklich sympathisch, wenn er sein Kontextualisierungsblabla vom Stapel lässt und man kurz zuvor gesehen hat, wie Joe Shuster, der für die Originale einst zehn Dollar bekommen hatte, mittlerweile als Bürobote arbeiten muss und vor Scham im Boden versinkt, als er eines Tages eine Lieferung bei National Publications, seinem alten Arbeitgeber, abgeben muss.

Und dann, im Spätherbst ihres Lebens, erfahren die beiden Männer doch noch so etwas wie Gerechtigkeit: Jerry Siegel schrieb vor der "Superman"-Premiere einen verzweifelten Brief an all seine Bekannten, der so peinlich war für die Produktionsfirma Warner, dass diese den beiden 1978 eine Rente bewilligte und sie als Erfinder ihrer Figur anerkannte. Zu spät, um die Wunden wirklich zu heilen, aber immerhin entstand so endlich ein Bewusstsein, dass es da zwei alte Männer gab, die once upon a time eine archetypische Figur und ein ganzes Genre erfunden hatten. Das Buch endet damit, dass Joe Shuster wieder ein Dach über dem Kopf findet. Dass er 1992 nach schwerer Krankheit hoch verschuldet starb, lässt Voloj gnädigerweise aus.

Julian Voloj (Text) und Thomas Campi (Zeichnung): "Joe Shuster - Vater der Superhelden". Carlsen Verlag, Hamburg 2018. 176 Seiten. 20,60 Euro.

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