"Sundown" im Kino:Ein Mann versinkt

"Sundown" im Kino: Treibenlassen für immer: Für Neil (Tim Roth) ist Acapulco eine Art Endstation.

Treibenlassen für immer: Für Neil (Tim Roth) ist Acapulco eine Art Endstation.

(Foto: Ascot Elite)

Der mexikanische Filmemacher Michel Franco ist ein Dystopiker aus einem Land voller Gewalt. In "Sundown" zeigt er eine Reise in die Hoffnungslosigkeit, unter der Sonne von Acapulco.

Von Tobias Kniebe

Ein Hotel hoch auf den Klippen, endloses Pazifikblau. Die Sonne brennt, die Suite muss ein Vermögen kosten, ein lautloser Kellner bringt Tequilas und Margaritas, Poolwasser schwappt über den Rand der Unendlichkeit, heißt es nicht so, Infinity Edge? Falls man Filmbilder mit Geld aufladen könnte, mit Luxus und Urlaubsgefühl und Einsamkeit, dann ist es wohl das, was der mexikanische Regisseur Michel Franco zu Beginn seines Film "Sundown" versucht.

Ein Mann dümpelt im Wasser, halb über eine Luftmatraze geworfen, als ob er gern für immer nur treiben würde. Er ist nicht allein, da sind noch eine Frau und zwei ältere Teenager, manchmal reden sie mit ihm, dann antwortet er freundlich, wie von sehr weit weg. Er trinkt mit, er sitzt mit beim Abendessen, und als alle hektisch aufbrechen, plötzliche Tränen, ein Todesfall, fährt er auch mit zum Flughafen. Beim Check-in aber fehlt sein Pass, wie kann das sein, ja schrecklich. Er zuckt die Schultern, bleibt zurück.

Man kann sehr wenig lesen im Gesicht des englischen Schauspielers Tim Roth, was hier natürlich Absicht ist. Und doch ist gleich klar, dass die Sache mit dem Pass nicht stimmt. Dieser Mann, Neil ist sein Name, will einfach nur seine Ruhe haben, kein Teil eines Dramas mehr sein, und ob er noch Teil dieser Familie sein will, darüber denkt er jetzt offenbar nach. Anfangs reagiert er noch auf Anrufe, erfindet neue Ausreden und Verzögerungen, dann schaltet er sein Telefon einfach ab.

Der Mann redet kaum noch, Hirn und Wille sind existenziell erschlafft

Das ist nicht nett natürlich, so ein Lügengebäude, und dass er die Frau (Charlotte Gainsbourg) mit dem Stress und der Trauer der Beerdigung alleinlässt. Ist dies eine lang erkaltete Ehe und ein feiger Abgang, das mexikanische Äquivalent von Zigaretten holen und nie mehr wiederkommen? Man könnte es meinen, aber die Sache scheint anders gelagert zu sein. Er habe weder Frau noch Kinder, erklärt Neil einer Strandverkäuferin, die mit ihm ein Bier trinkt. Er wirkt seltsam glaubwürdig in diesem Moment.

Während Neil in seiner Verlorenheit immer interessanter wird, gilt das leider nicht für diese Berenice (Iazua Larios), die der Film ihm nun zur Seite stellt. Er sagt kaum mehr als fünf Worte zu ihr, wie sollte er auch, sein Hirn und sein Wille sind existenziell erschlafft, das haben wir jetzt verstanden. Wenn sie im Bikini so neben ihm steht, sieht sie etwa vierzig Jahre jünger aus, was sie dann aber nicht daran hindert, mit ihm zu schlafen und ihm nicht mehr von der Seite zu weichen.

Soll Berenice für das reale Mexiko stehen, das einem in Acapulco begegnen kann? Immerhin hat es Neil jetzt unter die Einheimischen verschlagen, in ein Billighotel am lauten und überlaufenen Caletilla-Strand. Ein mexikanischer Regisseur, denkt man, könnte zur Dynamik der beiden ja irgendetwas zu sagen haben, und sei es nur, dass sie hinter seinem einzigen Hemd und den paar Bieren, die er bezahlt, seinen Reichtum wittert. Aber nein, sie ist ohne Bedürfnisse. Im ersten Moment war sie noch eine Verkäuferin, die von ihrem Job leben musste, irgendwie in der Realität verankert. Jetzt hat sie offenbar endlos Zeit, Neil helfend, liebend und meist stumm zur Seite zu stehen.

So wird sie abstrakt und soll es wohl auch sein, reine Chiffre eines späten unverdienten Glücks und der Frage, ob dieser Mann noch zur Dankbarkeit fähig ist. Wetten würde man darauf nicht, denn Michel Franco ist ein Regisseur mit denkbar düsterem Weltbild. Seine bisherigen Filme handelten von Entmenschlichung, sowohl in extremer Armut als auch in extremem Reichtum, und kumulierten zuletzt in "Nuevo Orden/Die neue Weltordnung", einer dystopischen Zukunftsvision mit Superreichen und einer Revolution von unten, militärischem Gegenschlag und einer wahrhaft höllischen Botschaft: Lasst alle Hoffnung fahren ...

Die Gewalt in Mexiko blitzt auch diesmal auf, etwa mit einer Schießerei, die am Strand plötzlich ausbricht, die Neil aber vollkommen kaltlässt. Dann gibt es Regelungen des Familienerbes, die klarmachen, dass er wirklich mit allem abschließt, und Halluzinationen, die zeigen, dass auch ein ererbtes Vermögen und zeitlebens wohlgepflegte Untüchtigkeit nicht vor den Schuldgefühlen eines echten Kapitalistenschweins schützen. Es geht um einen westlichen Mann, der immer zu viel hatte und nichts daraus machen konnte, um einen Weg in den Sonnenuntergang. Dass aber Mexiko und seine Menschen diesem Szenario kaum etwas hinzuzufügen haben, hätte man gerade bei diesem Regisseur nicht gedacht.

Sundown, Mexiko, Frankreich, Schweden 2021 - Regie und Buch: Michel Franco. Kamera: Yves Cape. Mit Tim Roth, Charlotte Gainsbourg, Iazua Larios, Henry Goodman. Verleih: Ascot Elite, 83 Minuten. Kinostart: 9. Juni 2022.

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