Sulzbach-Rosenberg:"Die Gedanken sind Brei"

Sulzbach-Rosenberg: Sprachforscher mit einem Blick fürs Kuriose: Eugen Oker.

Sprachforscher mit einem Blick fürs Kuriose: Eugen Oker.

(Foto: Archiv Maria Gebhardt)

Eine Ausstellung und mehrere Veranstaltungen erinnern aus Anlass des 100. Geburtstags an den Dichter Eugen Oker

Von Sabine Reithmaier, Sulzbach-Rosenberg

"Wensd niad fuaddgaisd / halzdas / dahoim / niad lang as." Radikal phonetisch hat Eugen Oker seine 1977 zum ersten Mal erschienenen Dialektgedichte aufgeschrieben. Das macht es nicht ganz einfach, "Heimat", so der Titel des Gedichts, zu lesen. Aber es lohnt sich, denn "so wos schüins mou ma soucha." An diesem Montag jährt sich der Geburtstag des Oberpfälzer Dichters zum 100. Mal. Im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, wo sein Nachlass liegt, ist dessen wissenschaftlicher Leiter Michael Peter Hehl gerade dabei, mit seinem Team eine Oker-Ausstellung vorzubereiten.

Es ist schon die dritte, die das Literaturarchiv dem Dichter widmet. Die erste Schau im Jahr 2003 fand noch zu Lebzeiten Okers statt. Mit der zweiten, bereits posthumen Ausstellung zeigte das Archiv erstmals Schätze aus dem Nachlass des 2006 verstorbenen Autors. Nun hat Maria Gebhardt, Okers Witwe, noch einmal 40 Kisten und 20 Aktenordner nach Sulzbach-Rosenberg gebracht. Darin unter anderem "Fritz-Polaroids", selbstironische Oker-Selfies aus den Achtziger- und Neunzigerjahren, Foto-Collagen und Okers 40 Taschenkalender, in die der Dichter tagebuchartig Eindrücke und Erfahrungen notierte. Oft sehr knapp und lapidar. So lautet der Eintrag vom 8. Mai 1945 schlicht: "Krieg aus."

Bislang hatte das Archiv nur einen einzigen Kalender besessen, eben jenen aus dem Jahr 1945. Im Archiv gelandet ist auch Okers Ortsarchiv, die Grundlage für seine BR-Sendereihe "Bayern, wo's kaum einer kennt". Oker hatte die Hörer aufgefordert, Dialektwörter einzusenden. Es kamen Tausende, die er alphabetisch sortierte und sie Orten zuordnete. Zu jeweils 70 Orten legte er Mappen mit Fotos, Notizen, Quellenmaterialien an. "Kulturgeografische Quellenschätze" seien das, sagt Hehl, ein Fundus, der weit über Oker hinaus relevant sei. Amüsant auch der Ordner, in dem Oker jahrzehntelang Wortschöpfungen aus Zeitungen sammelte. Die Kalauer und Überschriften wie "Die Gedanken sind Brei" verarbeitete er ebenfalls in Collagen.

"Da ist vieles dabei, das ihn als Sprachforscher auszeichnet", sagt Hehl. Ein Sprachforscher mit einem Blick fürs Kuriose - das ist aber nur eine der Tätigkeiten des vielseitigen Okers, der am 24. Juni 1919 in Schwandorf als Fritz Gebhardt geboren wurde. "Nach dem Kriege wurde ich kurz hintereinander: Maurer (es gab so wenig Ziegel), Buchhändler (es gab so wenig Bücher) und Lokalredakteur (es gab so wenig Papier). Dann entschloss ich mich, Hafner zu werden. Das bin ich heute noch", stellte er sich 1961 im Klappentext seines ersten Buches "Winnetou in Bayern" den Lesern vor. Sein Dasein als Soldat hatte er eigenmächtig beendet, als er mit den Alliierten einen ganz persönlichen "Sonderfrieden" schloss, desertierte und zu Fuß über den Brenner nach Hause marschierte. Jahre später arbeitete er seine Erfahrungen in der dreibändigen Autobiografie "Lebensfäden", "Lebenspullover" und "Zahlbar nach dem Endsieg" auf. Das Leben verglich er mit einem Pullover, zusammengesetzt aus Erinnerungsfäden.

Er hatte noch jede Menge weitere Berufe: Vermessungstechniker, Sportreporter - "Das Spiel war reich an spannungsarmen Momenten" - Kleinverleger, Sammler, Zeichner. Und er war Deutschlands erster Spielekritiker, schrieb erst für Die Zeit, dann für die Frankfurter Rundschau. Der Spiegel ernannte ihn zum Spielepapst. Trotzdem fand Oker noch die Zeit für Gedichte, Kinderbücher und Romane, gründete 1987 mit seiner Frau "Kuckuck und Straps", den "Verlag mit den kleinsten Auflagen dieser Welt, alle limitiert, nummeriert und signiert". Nach dem Tod des Autors übernahm der Viechtacher Lichtung-Verlag diese Edition; er hat inzwischen eine Reihe von Oker-Werken wieder herausgebracht und legt anlässlich des 100. Geburtstags eine Neuausgabe der "Lebensfäden" vor. In den "ungewöhnlich gewöhnlichen Abenteuern des Fritz Kagerer aus Schwanheim" erzählt Oker von seiner Kindheit, beschreibt eine Jugend im Nationalsozialismus, schildert Erlebnisse im Krieg. Mancher Schwandorfer empfand die Schilderungen als allzu realistisch, glaubte sich oder jemanden aus seiner Familie wiederzuerkennen. 1986 gab es sogar einen Beleidigungsprozess mit der Folge, dass Oker die restliche Zeit seines Lebens Schwandorf mied.

Die jüngste Ausgabe der Gedichte "so wos schüins mou ma soucha" ist - einschließlich einer CD, auf der Oker einige Gedichte vorträgt - 2010 im Amberger Verlag Büro Wilhelm erschienen, eine sehr schön gestaltete Ausgabe.

"Alles hat bei ihm immer auch etwas Spielerisches", sagt Hehl. "Wir haben viel gelacht während der Ausstellungsvorbereitung." Präsentiert wird auch Okers Sammlung an "Obstbiggerln", Obst- oder Würfelzuckerpapiere, die er auf Märkten und in Hotels entdeckte, auf Kartons klebte. Auch hier erwies sich Oker als akribischer Buchhalter, notierte genau, wo und wann er die Sachen mitgenommen hatte, sorgte für eine neue Ordnung im Chaos. Nicht nach Sulzbach-Rosenberg kommen werden zum Bedauern Hehls die vielen Spiele, die Oker gesammelt hat.

Für ihre Dissertation hat sich die Münchner Literaturwissenschaftlerin Barbara Neueder bereits einmal durch den Nachlass im Literaturarchiv gearbeitet. Um die umfangreiche Nachlieferung zu Oker zu durchforsten, wäre wohl die nächste Doktorarbeit fällig. Aber die ist im Moment nicht in Sicht.

Die Lebensfäden des Eugen Oker, Ausstellung Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, 4. Juli bis 1. Okt.; Erinnerung an Eugen Oker, 27. Juni, 20 Uhr, Regensburg, Brandl-Bräu, Ostengasse

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