Sudhir Hazareesingh: "Black Spartacus":Seine Feder kannte keinen Sonntag

Sudhir Hazareesingh: "Black Spartacus": Toussaint Louverture in einer französischen Darstellung, die einigen Respekt der Kolonialisten vor dem Freiheitskämpfer vermuten lässt.

Toussaint Louverture in einer französischen Darstellung, die einigen Respekt der Kolonialisten vor dem Freiheitskämpfer vermuten lässt.

(Foto: Imago/piemags)

Womöglich war die Haitianische Revolution von 1791 der wichtigste Freiheitskampf der Menschheitsgeschichte. Und Toussaint Louverture war ihr Anführer. Davon erzählt jetzt Sudhir Hazareesinghs große Biografie.

Von Iwan Michelangelo d'Aprile

Die Geschichte von Aufklärung und Menschenrechten lässt sich nicht ohne die Haitianische Revolution schreiben. Nicht nur war die Entstehung moderner, auf freien und gleichen Rechten begründeter Verfassungsstaaten von ihren historischen Anfängen an eingebunden in einen wechselseitigen Verflechtungs- und Bedingungszusammenhang atlantischer Revolutionen, zu dem neben der Nordamerikanischen und der Französischen auch die Haitianische zählt. Darüber hinaus offenbaren sich in ihr die blinden Flecken und Widersprüche zwischen einem europäischen Selbstverständnis, genuiner Repräsentant universeller Werte und Rechte zu sein, und der historischen Tatsache, dass diese häufig erst von diskriminierten und subalternen Akteuren im Widerstand gegen die barbarischen Herrschaftspraktiken der europäischen Kolonialmächte ausbuchstabiert und durchgefochten worden sind.

In der seinerzeit profitabelsten und um den Preis der beschleunigten Deportation von Hunderttausenden aus Afrika verschleppten und auf den Plantagen ausgebeuteten Sklavenarbeitern zum unangefochtenen Exportweltmeister von Kolonialgütern wie Zucker, Kaffee, Indigo oder Baumwolle aufgestiegenen Kolonie waren es die Sklaven selbst, die beginnend mit Aufständen Anfang der 1790er-Jahre die Abschaffung der Sklaverei durchsetzten und mit der Unabhängigkeitserklärung von 1804 das erste historische Beispiel einer erfolgreichen nicht-weißen Dekolonisation gaben.

Mit Sudhir Hazareesinghs 2020 im englischen Original erschienener und der von Andreas Nohl schwungvoll ins Deutsche übersetzten Biografie des bedeutendsten Protagonisten der Haitianischen Revolution, Toussaint Louverture, kann man sich auf den internationalen Stand des Wissens bringen. Auf der Grundlage von in bislang unerreichtem Ausmaß recherchiertem Quellenmaterial und mit hoher methodischer Sensibilität für die Asymmetrien der von den Kolonialmächten dominierten Überlieferungsgeschichte erzählt Hazareesingh Toussaints Leben konsequent gegen den Strich eines eurozentrischen Nachahmungsnarrativs, nach dem die Haitianische Revolution als bloßer kolonialer Wurmfortsatz der Ereignisse in der Pariser Zentrale zu verstehen sei.

Die Anpassung an die lokalen Verhältnisse nannte Louverture "raffiner de politique"

In dem komplexen und hochexplosiven Feld der imperialen Mächtekonkurrenz zwischen Frankreich und Großbritannien und einer auf der mörderischen Sklavenwirtschaft basierenden Inselökonomie wird Toussaint so als ein Akteur erkennbar, dessen politisches Handeln an einer spezifischen erfahrungsgesättigten und den lokalen Gegebenheiten angemessenen Rationalität orientiert war, die seine Erfolge gegen alle Wahrscheinlichkeiten und militärischen Machtverhältnisse erst ermöglichte. Mit einer Wendung aus der Zuckerproduktion hat Toussaint selbst diese Rationalität als "raffiner de politique" bezeichnet.

Der rassistisch befestigten Sozialhierarchie aus wenigen, allermeist weißen Plantagenbesitzern, einer Minderheit europäisch-indigener Gens de couleur und der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, in der "die verschiedenen Schattierungen der Hautfarbe den Unterdrücker vom Unterdrückten" unterschieden (Toussaint), stellte er dabei nach Hazareesingh das eigenständige Programm eines "kreolischen Republikanismus" und einer auf Rechtsgleichheit und Interessenausgleich basierten multiethnischen Gesellschaft entgegen.

Toussaint wurde um 1740 als Sohn von aus dem heutigen Benin stammenden und nach Haiti verschleppten Eltern auf einer Zuckerplantage geboren und dort aufgrund seiner Fähigkeiten bald für Dienstleistungs- und Verwaltungstätigkeiten als Kutscher, Tierpfleger und Pflanzenheilkundler eingesetzt. Mit Mitte dreißig wurde er in die förmliche Freiheit entlassen und war vor Ausbruch der Revolution sogar selbst zum Plantagenbesitzer aufgestiegen.

Sudhir Hazareesingh: "Black Spartacus": Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture. Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler. C.H. Beck, München 2022. 551 Seiten, 38 Euro.

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture. Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler. C.H. Beck, München 2022. 551 Seiten, 38 Euro.

Seine privilegierte Stellung und seine intime Kenntnis der unterschiedlichen sozialen und ethnischen Gruppen setzte er geschickt ein, um dem Sklavenaufstand von 1791 zum entscheidenden Erfolg zu verhelfen. Er nutzte die militärischen Ressourcen der mit Großbritannien verbündeten spanischen Royalisten, die den Ostteil der Insel beherrschten, stellte den Sklavenaufstand aber zugleich in den ideellen Horizont des französischen Revolutionsdiskurses.

Während die Abgesandten der französischen Republik zwar wortreich die Menschenrechte beriefen ("ihre Zungen kannten keinen Sonntag", registrierte Toussaint erstaunt deren Geschwätzigkeit), aber dennoch paternalistisch auf ihre Rechte als Kolonialmacht pochten und lediglich den Gens de couleur Bürgerrechte zugestanden, hielt Toussaint den Druck so lange aufrecht, bis die Pariser Nationalversammlung im Frühjahr 1794 erstmals in der Menschheitsgeschichte die Sklaverei abschaffte. Erst jetzt schloss er sich der französischen Republik an und verstand sich von nun an bis zu seinem Lebensende als freier Bürger Frankreichs.

In einer vierjährigen Abwehrschlacht verteidigte er die neuen Freiheiten erfolgreich gegen die sofort einsetzende Konterrevolution von weißen Plantagenbesitzern und der britischen Armee, indem er der haushohen militärischen Überlegenheit der Invasoren die Partisanentaktiken eines in jahrzehntelanger Sklaverei entwickelten "marronistischen" Widerstands entgegensetzte. Als ehemaliger Kutscher kannte er die Inseltopografie wie kein Zweiter und traf stets vor seinen Widersachern auf dem Schlachtfeld ein. Mithilfe seiner botanischen und ökologischen Kenntnisse machte er die auf der Insel herrschenden Naturkräfte zu wirksamen Verbündeten (etwa indem er Schlachten bis in die Regenzeiten hinauszog).

Sudhir Hazareesingh: "Black Spartacus": Die Republik erkämpft man nicht an einem Tag. Noch 1803 mussten sich die Haitianer, wie hier dargestellt, wieder gegen die französischen Kolonialisten erheben.

Die Republik erkämpft man nicht an einem Tag. Noch 1803 mussten sich die Haitianer, wie hier dargestellt, wieder gegen die französischen Kolonialisten erheben.

(Foto: 1803/imago images/KHARBINE-TAPABOR)

Beim Wiederaufbau der durch die Kriege verwüsteten Inselökonomie bewies er diplomatisches Geschick. Er schloss Handelsabkommen mit der US-amerikanischen Regierung, erreichte eine Aufhebung der amerikanischen und britischen Seeblockade und holte - unter der Voraussetzung der Anerkennung der neuen Ordnung - emigrierte weiße Plantagenbesitzer zurück, deren Handelsbeziehungen und kaufmännische Kenntnisse unabdingbar waren. Den kulturellen Zusammenhalt der Gesellschaft stärkte er durch eine aus europäisch-katholischen Elementen und afrikanischen Vodou-Traditionen zusammengesetzte Befreiungstheologie.

1801 erließ er eine neue Verfassung, in der nicht nur "für immer" die Sklaverei abgeschafft und für Menschen aller Hautfarben gleiche Grundrechte festgeschrieben wurden, sondern die zugleich den ehemaligen Sklaven 25 Prozent des Ertrags ihrer Plantage garantierte. Das Ganze begleitete er durch eine - hier erstmals in ihrem vollen Umfang erkennbare - Textproduktion und Öffentlichkeitsarbeit, zu der eine Korrespondenz von durchschnittlich 200 Briefen pro Tag ebenso zählte wie zahllose Verlautbarungen und Presseartikel in Zeitungen von Philadelphia bis Paris. Seine Feder kannte keinen Sonntag.

Häufige Klage: Die Sklaverei sei durch bloße "Vertragsknechtschaft" ersetzt worden

Bei aller sympathisierenden Darstellung zeigt Hazareesingh immer auch die Widersprüche und Paradoxien von Toussaints politischem Handeln auf. So gelang der forcierte ökonomische Wiederaufbau nur um den Preis einer geradezu militaristischen Reorganisation der Plantagenwirtschaft. Zwar waren die Arbeiter nun formal freie Anteilseigner, aber zugleich galt ein rigoroses lebenslanges Kündigungsverbot (das auch ein Scheidungsverbot einschloss). Nicht zu Unrecht nahmen die Klagen vieler Schwarzer zu, dass die verhasste Sklaverei durch eine bloße "Vertragsknechtschaft" ersetzt worden sei. Die Folge waren Aufstände und - von den europäischen Kolonialmächten durch Waffenlieferungen an alle Parteien befeuert - neu aufflammende Bürgerkriege, auf die Toussaint mit einer zunehmend autokratischen Regierungspraxis reagierte.

Den Abschluss der Haitianischen Revolution mit der Unabhängigkeitserklärung von 1804 erlebte Toussaint nicht mehr. Der inzwischen in Paris regierende Napoleon entsandte 1802 ein Heer von bis zu 40 000 Soldaten auf die Insel, um die französische Herrschaft zu sichern und die Sklaverei wieder einzuführen. Unter dem Vorwand von Verhandlungen wurde Toussaint nach Frankreich verschleppt und in einer Bergfestung in den Voralpen inhaftiert, wo er in Einzelhaft und ohne jegliche medizinische Versorgung 1803 verstarb. Viel zu spät, als er selbst 1821 von den Briten in Sterbehaft auf die südatlantische Insel St. Helena verfrachtet worden war, bereute Napoleon die Entmachtung seines erfolgreichsten karibischen Generals als einen seiner größten Fehler.

Dennoch vergaß sich, wie Hazareesingh in einem ausführlichen Schlusskapitel zeigt, Toussaints kühner Kampf um die Anerkennung universeller Rechte in der Folge nicht mehr. Die unterschiedlichen dekolonialen Befreiungsbewegungen von den United Irishmen über neuseeländische Maoris, Abolitionisten des nordamerikanischen Bürgerkriegs bis hin zur gegenwärtigen "Black Lives Matter"-Bewegung erkannten in Toussaint einen Vorläufer, der ihre Forderungen erstmals aufs weltpolitische Tapet gebracht hat. Aufklärung und Menschenrechte sind nicht nur historische Errungenschaften - auch das lässt sich aus Hazareesinghs fulminanter Studie lernen -, sondern immer auch ein Kommendes, je neu zu Realisierendes.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur und Klassenkampf
:Ein beschissenes Leben bleibt ein beschissenes Leben

Horst baut Mist, Willy versucht, ein guter Mensch zu sein: Christian Baron hat mit "Schön ist die Nacht" eine fulminante Proletariergeschichte geschrieben. Klassenkampf - ist das heute noch relevant? Ja, ist es.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: