Stumme Werbetafeln:Botschaft des totalen Versagens

Wie kraftvoll die Krise ist, machen die ungenutzten Plakatwände an Brooklyns Stadtautobahnen deutlich.

Richard Fleming

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Wie kraftvoll die Krise ist, machen die ungenutzten Plakatwände an Brooklyns Stadtautobahnen deutlich.

Nichts spricht so deutlich von einer anhaltenden Krise, wie eine leere Werbefläche. Der Gowanus District, jenes herunter gekommene Hafen- und Industrieviertel im Süden von Brooklyn, ist voll von diesen leeren grauen Blechtafeln, die matt in den Himmel ragen. Nur ein paar bunte Fetzen zeugen noch von den Werbekampagnen, die einstmals um die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf dem Gowanus Expressway heischten, einem tristen Stück Stadtautobahn, das den Belt Parkway mit dem Brooklyn-Queens-Expressway verbindet. Die einzige Botschaft, die sie nun verkünden, ist die Botschaft vom totalen Versagen. Sollte es eine Talsohle der Weltwirtschaft geben, in der die Werbung verschwindet, dann ist sie hier in Brooklyn errreicht.

Quelle: SZ vom 9.6.2010/sueddeutsche.de/fris

Alle Bilder und Text: Richard Fleming

Aus dem Englischen von André Weikard

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Wenn Fernsehsender ihre Dreißig-Sekunden-Spots nicht mehr verkaufen können, wird sie niemand vermissen, denn das Programm läuft ja weiter. Wenn Zeitschriften keine Anzeigenseiten mehr verkaufen, dann merkt kaum ein Leser etwas davon, schließlich drucken die Magazine ja keine weißen Seiten zwischen ihre Artikel. Plakatwände funktionierten allerdings nur als Teil einer imposanten, physischen Struktur, auf einem Gebäude, einem Pfeiler, als weithin sichtbare Blickpunkte im Stadtbild oder in der Landschaft. Und so kommt es zu jenem Paradox, dass man sie eigentlich viel deutlicher wahrnimmt, wenn sie leer bleiben, als wenn sie die strahlend bunten Werbebilder zeigen, die eine Limonade, ein Schuhgeschäft oder einen Baumarkt anpreisen.

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Auf einmal bemerkt man, das diese Tafel ja den Blick auf die Skyline oder die Landschaft verstellt. Und da drängt sich dann auch die Frage auf, ob die Menschen nicht das Recht auf einen freien Blick haben, wenn sie auf einem Highway unterwegs sind, den sie ja letztlich mit ihren Steuern bezahlt haben? Sind Werbetafeln nicht letztlich eine Form der Umweltverschmutzung, die man verbieten sollte, wie man es im Bundesstaat Vermont schon vor 42 Jahren getan hat?

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Das Seltsame ist jedoch, dass einen die Tafeln ohne ihre Botschaften viel direkter beschäftigen, dass sie nun viel bedeutsamer sind. In ihrer monochromen Einheitlichkeit und mit ihren Museums-taulichen emailierten Stahlrahmen wirken sie wie monumentale Leinwände in einer riesigen Freilichtausstellung, die in einem anderen Kontext bei Sammlern und Mäzenen Spitzenpreise erzielen würden.

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Im Lichte der gegenwärtigen Wirtschaftskrise kann man sie allerdings auch als Metaphern für einen Aufruf verstehen, eben kein Geld mehr auszugeben. Das wäre ein radikaler Bruch mit den Grundlagen der amerikanischen Gesellschaft. In den USA betragen die Verbraucherausgaben 70 Prozent des Bruttosozialprodukts. Auch wenn das Gesundheitswesen einen großen Teil dieses Werts ausmachen, so zeigt das, dass die Wirtschaft nicht nur stagnieren würde, wenn die Bürger aufhören würden, Unmengen zu konsumieren.

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Genau das meinte Präsident Bush, als er die Bürger nach den Anschlägen vom 11. September aufforderte "Geht einkaufen", um zu beweisen, dass die Terroristen das Gesellschaftsmodell Amerikas nicht aus der Balance bringen. Das ist auch der Grund dafür, dass die Umweltbewegung in Amerika traditionell an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder sogar bekämpft wird. Denn ein "grüner Lebenswandel" bedeutet eben nicht nur, Kaffeefilter aus Recyclingmaterial zu kaufen, sondern den eigenen Konsum radikal einzubremsen und damit auch die Volkswirtschaft.

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Außer den wirklich Armen kennen Amerikaner den Unterschied zwischen "brauchen" und "haben wollen" nicht mehr. Luxus gilt heute als Grundbedarf. Autos und Handys gelten als notwendige Grundausstattung des täglichen Lebens. In einer Gesellschaft, die seit einem guten Jahrhundert den öffentlichen Nahverkehr verkümmern ließ und gleichzeitig das Wuchern der Suburbias vorantrieb, ist das kein Wunder.

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Nun wäre Werbung schon lange verschwunden, wäre sie nicht so wirksam. Und so nötig. Würden die Produzenten von Waren und Gütern wirklich daran glauben, dass der freie Markt die Überlegenheit ihrer Angebote schon erkennen wird, dass sie ja letztlich Grundbedürfnisse befriedigen ...

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... könnten sie die Werbung als Luxusausgabe vernachlässigen. Wenn Verbraucherausgaben aber letztlich ein Produkt der Werbeindustrie sind, was bedeutet dann der Zusammenbruch eines Kommunikationsapparates wie der Werbetafeln von Gowanus? So verkehrt sich der Aufruf zum konstanten Konsum auf den Werbetafeln entlang den Stadtautobahnen von Brooklyn in einen Appell an die Bürger, die Prioritäten ihrer Gesellschaft neu zu definieren.

© SZ vom 9.6.2010/sueddeutsche.de/fris
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