Süddeutsche Zeitung

Studie: Deutsche lesen weniger:So wird das nie was mit Pisa

Vom Verschwinden des Gelegenheitslesers: Jeder Vierte greift nie zum Buch, Eltern geben ihren Kindern kaum Anregung zur Lektüre, und Migranten bilden eine neue Lese-Mittelschicht.

B. Taffertshofer

Jugendliche und Erwachsene in Deutschland verlieren die Lust am Lesen. Das zeigt eine neue Studie der Stiftung Lesen, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wurde. Zum dritten Mal seit 1992 haben Forscher mehr als 2.500 über 14-Jährige nach ihren Lesegewohnheiten befragt.

Während vor acht Jahren noch fast jeder Dritte zwischen elf und 50 Bücher im Jahr las, schafft dieses Pensum heute nur noch jeder Vierte. Stefan Aufenanger, wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Lesen, spricht deshalb von einem "Verschwinden des klassischen Gelegenheitslesers".

Nahezu unverändert hoch bleibt der Studie zufolge die Zahl der Nichtleser: 25 Prozent der Befragten gaben an, nie zu einem Buch zu greifen. Als Vielleser, die mehr als 50 Bücher pro Jahr verschlingen, bezeichneten sich dagegen nur drei Prozent.

Die Studie gibt mehrere Hinweise darauf, woher die wachsende Lesefaulheit rührt. Offenbar fehlen oft schon in der Kindheit entscheidende Impulse, obwohl immer mehr Menschen das Lesen als "wichtig" betrachten. So gaben beispielsweise 45 Prozent der 14- bis 19-Jährigen an, dass sie als Kind nie ein Buch geschenkt bekamen. Zum Vergleich: 1992 berichteten noch 72 Prozent dieser Altersgruppe von häufigen Buchpräsenten. Die Zahl der Bücher pro Haushalt sinkt nach der Studie ebenfalls.

Mehr Sprach- und Leseförderung

Spätestens seit dem internationalen Pisa-Vergleich ist bekannt, dass deutsche Schüler vor allem beim Lesen schlecht abschneiden. Jeder fünfte 15-Jährige hat beim Verstehen von Texten Probleme. Die Autoren der Lesestudie fordern nun mehr Sprach- und Leseförderung in Kindertagesstätten und Schulen. Zwar gebe es in einigen Bundesländern inzwischen gute Ansätze, aber verlässliche Angebote in der Breite fehlten weiterhin.

Diese Ergebnisse sind besonders bedenklich, da das Lesen mehr als andere Fähigkeiten vom Elternhaus geprägt ist. Kinder von nichtlesenden Eltern packt in den seltensten Fällen die Lesefreude. Die Folgen mangelnder Lesefähigkeit zeigen sich in der Schule aber in allen Fächern. Denn wer nicht richtig lesen kann, verliert auch im Mathe- oder Geschichtsunterricht schnell den Anschluss.

Die aktuelle Lesestudie, die vom Bundesbildungsministerium finanziert wurde, zeichnet erstmals auch ein differenziertes Bild von den Lesegewohnheiten der Migranten - und räumt mit Vorurteilen auf: Der Untersuchung zufolge nehmen Migranten mindestens genauso häufig ein Buch zur Hand wie Deutsche. 36 Prozent der Befragten gaben an, ein- oder mehrmals in der Woche zu lesen, elf Prozent sogar täglich. "Deutsch sprechende Migranten bilden eine neue Lese-Mittelschicht - mit großem bildungspolitischen Potential", sagte Andreas Storm, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium. Sie seien wichtige Multiplikatoren, um auch bildungsferne Migrantenfamilien für das Lesen zu begeistern.

Die Studienautoren widerlegen außerdem die Annahme, dass die neuen Medien die Lesekultur zerstören. Zwar lesen immer mehr Menschen am Bildschirm, dennoch möchte die Mehrheit nicht auf gedruckte Bücher verzichten. Printmedien werden weiterhin als besonders glaubwürdig empfunden. Auch bieten sie den Menschen offenbar mehr Orientierungshilfe. 20 Prozent der Befragten beklagten, dass "sie sich beim Lesen am Bildschirm verzetteln".

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SZ vom 05.12.2008/jb
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