Strokes und LCD Soundsystem New York:Klaviatur der Coolness

Die "Strokes" spielen das erste Konzert seit ihrem Comeback, "LCD Soundsystem" spielen am selben Wochenende das letzte Konzert der Bandgeschichte: Selten bekam man so anschaulich zwei kontrastierende Pop-Selbstverständnisse vorgeführt.

Jörg Häntzschel

Die Strokes spielen das erste Konzert seit vor zwei Wochen ihre Comebackplatte erschienen ist. LCD Soundsystem spielen das letzte Konzert der Bandgeschichte und machen dann das Licht aus. Was haben sie miteinander zu tun? Nicht mehr als Äpfel und Orangen. Doch manchmal kann man sich dem Vergleich nicht entziehen. So am vergangenen Wochenende in New York, wo am Freitag die einen, am Samstag die anderen den New Yorker Madison Square Garden füllten. Was immer die beiden Bands auch sonst trennt, selten bekam man so anschaulich zwei kontrastierende Pop-Selbstverständnisse vorgeführt.

Strokes und LCD Soundsystem New York: Endspiel: James Murphy und sein LCD Soundsystem bei einem Auftritt in der Schweiz nur wenige Tage, bevor sie im Madison Square Garden ihre Karriere mit einem Abschlusskonzert beendeten.

Endspiel: James Murphy und sein LCD Soundsystem bei einem Auftritt in der Schweiz nur wenige Tage, bevor sie im Madison Square Garden ihre Karriere mit einem Abschlusskonzert beendeten.

(Foto: AP)

Dabei begannen beide ihren Aufstieg mit ähnlichen Impulsen. Casablancas und seine Freunde aus Manhattans besten Wohnlagen begeisterten 2001 vom East Village aus mit ihrem Debütalbum "Is This It" eine an digitalem Fett müde gewordene Generation für Rockmusik, die ganz Muskeln und Knochen war. Dass sie so klang wie Velvet Underground oder Pavement, wen störte es. Druck und Geschwindigkeit waren schließlich unzweifelhaft authentisch.

James Murphy, zehn Jahre älter als Casablancas, witterte um 2005 einen ähnlichen Überdruss. Die diversen Dancefloor- und Elektronik-Stile, die sich in den Neunzigern etabliert hatten, steckten in Redundanz fest. Murphy stach diese Blase mit etwas, das man "Dance Punk" nannte, auf: Zwar waren seine Songs oft aufgebaut wie House-Tracks aus dem Laptop, doch gespielt wurde live; und statt sich hinter Effekten und Posen zu verstecken und sich mit Zitaten zu kostümieren, stand Murphy samt Wampe und Weltschmerz des angehenden Vierzigjährigen für alle sichtbar auf der Bühne.

Keine der Strokes-Platten kam an die Wucht ihres Erstlings heran. Die Welt erwartete das Verglühen der Band, die logische Konsequenz aus allem, was sie getan hatten. Und es sah ja auch ganz danach aus: Mit den Drogenexzessen, den Glamour-Girlfriends und einem Casablancas, der seine eigenen Auftritte kaum mitbekam. Von wegen! Man habe nur ein paar Jahre "Winterschlaf" gehalten, annoncierte die Band, raffte sich für "Angles" tatsächlich noch einmal auf - und meldete im Madison Square Garden ihre Ansprüche auf ihren legitimen Platz in der Popgeschichte an.

Keinen geringeren als Elvis Costello nämlich bemühten sie als Opener und Vaterfigur ihres Konzerts. Seine drei Songs - später folgte noch ein Duett mit Casablancas - waren der Sockel, von dem herab Casablancas als sein eigenes Denkmal das Konzert bestritt, nicht ohne wiederholt die mangelnde Intensität der Fanverehrung zu monieren: "Ihr seid so kühl!", klagte er, und: "Viel zu sanft!"

Auf den Videoleinwänden sieht man ihn zwei Stunden lang, den Blick in den Pop-Himmel gerichtet, in schwarz-weiß an seinem Mikro hängen wie am Kruzifix. Doch dieses Passionsspiel durchzuhalten, will ihm nicht gelingen. "Habt Ihr hier schon mal ein Spiel gesehen? Ist wirklich ziemlich cool!" sagt er über die Basketballarena und klingt wie ein Abteilungsleiter, der seinen Untergebenen bei der Weihnachtsfeier mit der Kumpeltour kommt. Bis ihm einfällt, dass er mit diesem jovialen Gewitzel alles andere als cool wirkt: "Keine Zeit für Smalltalk! Wir haben hier ein Konzert zu spielen!" Doch er kann nicht aufhören. "I've got nothing to say", heißt es in "Ask Me Anything", mit dem die Zugaben begannen, doch das sei "nur ironisch gemeint", erklärt er, falls jemand Zweifel hatte.

Unbeschwert von der Selbstverpflichtung zu Coolness

Doch die Zweifel waren ganz anderer Art: Sie rührten von Casablancas merkwürdiger Angespanntheit und Distanz. Die Rockergesten wirkten, eben, wie Gesten. Die Mitsing-Hymnen wurden gegrölt wie im Fußballstadion. Und die Energie, mit der die Songs rausgehämmert wurden, schien eher der Disziplin geschuldet als innerem Feuer. Wie anders war alles am Abend darauf bei LCD Soundsystem: Unbeschwert von der Selbstverpflichtung zu Coolness konnte Murphy wirklich cool sein. Mit dem ersten Stück, der Erfolgsnummer "Dance Yrself Clean" von der letzten Platte schien er anzuheben zu einer abgeschmackten Hitparade.

Statt dessen entwickelte er aus diesem frenetisch bejubelten Anfang eine dreieinhalbstündige Symphonie, die intellektuell so mitreißend war, dass man sich streckenweise hinsetzen musste, um das alles zu prozessieren. Ein "relativ großartiges Erlebnis" versuche man zu erzielen, informierte er die Zuschauer zu Beginn, von denen ein großer Teil im Murphy-Kostüm - schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, weißes Hemd - gekommen war. Doch bei ihm wirkte die Koketterie charmant, nicht schleimig.

Zumal das ja noch bescheiden formuliert war. Kaum waren ein paar packende Nummern absolviert, begann Murphy, einen immer tiefer in die Tunnel seiner Kompositionen zu ziehen, bis man sich dort hoffnungslos verirrt hatte. Abstrakte Räume taten sich auf, die nur aus endlos wiederholtem "Yeah, Yeah, Yeah, Yeah, Yeah-Yeah-Yeah-Yeah- Yeah" bestehen, oder aus "Ahaaa-Ahaaa", und doch eine Weile lang absolut bewohnbar erscheinen. Disco-Kracher verlieren schleichend Disco und Krach, bis nichts übrig ist als Murphys charakteristisches mechanisches Dauermahlen.

Der notwendige Stresstest

Doch just in dem Moment, da die völlige Stagnation erreicht scheint und die ersten Sorgen aufkommen, ob Murphy am Ende doch so lethargisch ist, wie er aussieht, explodiert auf der Bühne wieder eine neue Idee, die die paar monotonen Sekunden rückblickend als für den weiteren Verlauf notwendigen Stresstest legitimieren. Am großartigsten gelang das im Mittelakt des Abends, als Murphy sein ausuferndes Opus "45:33" aufführte. Murphy schien die Popgeschichte wie einen fahrenden Zug zu zerlegen und auf der Strecke wieder zusammenzubauen.

"Seltsam" sei es in dieser "Box-Arena" zu spielen, murmelte Murphy eingangs. Doch anders als Casablancas nahm er noch den letzten der 20000 Zuschauer mit. Es war als zurrte er die Insassen der Riesenschüssel zu maximaler Dichte zusammen. Allerdings war ja auch einiges geboten - bis zu 30 Leute waren auf der Bühne beschäftigt: Die mad scientists seiner Band, die teils in weißen Kitteln an ihren Apparaten arbeiteten, ein Background-Chor in Silberjacken, ein Bläserensemble und diverse Nebenfiguren in Raumanzügen und mit Neon-Apparaturen vor dem Gesicht. Schließlich, für "North American Scum", drei Mitglieder der befreundeten Indie-Rocker Arcade Fire.

Und all die Größe gelingt mit scheinbar so einfachen Mitteln. Bei "Losing My Edge" ist das Publikum so weit, dass ein harmloses Daft-Punk Sample, das Murphy per Knopfdruck abfährt, für Ekstase sorgt. Bei "New York, I Love You But You're Bringing Me Down" reichen ein paar aus dem Flugzeugfenster geschossene Wolkenvideos für allgemeines Wegfliegen.

Und dann wird der Abend und mit ihr die Band in weißen Luftballons begraben. Aus. Murphy, könnte noch lange weitermachen aber er hat den Rock 'n' Roll gründlich genug studiert, um zu wissen, wann der Stecker zu ziehen ist. Die Strokes hingegen sind an ihrem eigenen Exzess-Gebot gescheitert. Nun sind sie verurteilt dazu, einfach immer weiter zu machen.

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